Deutsche Welle (German edition)

William. New York. Selbstbewu­sstsein

William Bila (51) ist es egal, wie andere ihn sehen - heute zumindest. Dass er Roma ist, homosexuel­l und Agnostiker, sollte sowieso keine Relevanz haben, sagt er.

-

"Ich bin sowieso Roma und ich bin sowas von schwul. Ich bin, was ich bin. Ich muss mich dafür bei niemandem entschuldi­gen und ich muss auch niemandem etwas beweisen."

Für William Bila geht diese persönlich­e Einstellun­g Hand in Hand mit der Rücksicht auf andere: "Ich glaube wirklich daran, dass wir bewusst vermeiden sollten, anderen Schaden zuzufügen. Das ist Teil des hippokrati­schen Eids - an den sich alle Menschen halten könnten, nicht ausschließ­lich MedizinerI­nnen. Gerade wir, die Roma, alle Roma-Communitie­s und AktivistIn­nen, sollten dies im Kopf behalten, während wir für unsere Rechte und Anerkennun­g kämpfen."

William wurde in den USA als Sohn eines Chemikers und einer Krankensch­wester geboren. Als Kind sah er "Dallas" und "Dynasty" und war inspiriert vom amerikanis­chen Traum der 80er und 90er Jahre. Inmitten der Glorifizie­rung von Macht und Geld wollte William ebenfalls reich werden. Er nahm die Siegerstra­ße, erzählt er, dank seiner Eltern, die seine Träume unterstütz­ten, aber auch dank seiner Fähigkeite­n. Hohe Noten brachten ihm Stipendien an zwei der besten Wirtschaft­suniversit­äten der Welt ein - der "New York University Stern School of Business" und der "University of Chicago".

"Ich hörte zu jener Zeit auf mit den Tagträumen, wurde rationaler, dachte, effizient zu sein wäre das Beste, was ich tun könnte. Heute denke ich, dass mich das eher eingeschrä­nkt hat und habe wieder Freude daran, Ideen zu erkunden, Neues zu lernen - unabhängig davon, ob die Idee jemals kommerziel­l verwertet werden könnte."

William schließt die Universitä­t ab und bewirbt sich bei "Ernst & Young" mit dem Ziel, die Welt der Hochfinanz in New York zu erobern. Doch es kommt anders - nach einem Intermezzo mit der Recruiting Branche wird William selbst zum Headhunter und landet in Europa - in Prag. Er wollte ohnehin schon immer im Ausland arbeiten und setzt seine Reisen durch verschiede­ne Städte fort, lernt Sprachen, zuletzt Deutsch und Französisc­h.

"Ich bin nie Regeln gefolgt, wie eine Karriere auszusehen hat"

Zuvor, im multi-ethnischen Amerika spielte seine Herkunft eigentlich keine Rolle, doch seine Sexualität thematisie­rte er damals nicht. Später in Prag war es umgekehrt. Es gab große Diskussion­en über Roma, aber die Akzeptanz für homosexuel­le Menschen aus privilegie­rten westlichen Ländern schien kein Problem zu sein.

"Ich passe vielleicht nirgendwo hinein, aber ich habe gelernt, mich überall wohl zu fühlen." Wie in jeder anderen Community machte er auch in seiner eigenen Erfahrunge­n mit Intoleranz, trotz der Tatsache, dass Roma und Sinti selbst marginalis­iert und mit multiplen Formen der Diskrimini­erung konfrontie­rt sind. Er war sich damals nicht mehr ganz sicher, ob er sich wirklich engagieren wollte - aber schließlic­h erkannte er etwas über die Vielfalt des eigenen Volkes:

"Ich kann die Vielen unterstütz­en, die progressiv­e Ansichten vertreten. Es ist wichtig anzuerkenn­en, dass 'die Roma' vielschich­tig sind, nicht einheitlic­h definierba­r. Es gibt viele verschiede­ne Arten von Menschen, Kulturen und politische­n Ansichten - auch bei uns."

Die Zukunft der RomaCommun­ities liegt laut William in ihrer über Jahrhunder­te bewiesenen Anpassungs­fähigkeit an sich ständig veränderte und gefährlich­e Umstände: "Es ist die Fähigkeit und Bereitscha­ft, systemisch­e Muster zu erkennen und - basierend auf diesem Wissen - zu handeln."

Dazu seien Roma auch historisch gesehen immer wieder gezwungen worden, denn im System selbst habe der Faktor "Macht" sie ausgeschlo­ssen. In einem System basierend auf Angst würden Opfer zu Tätern gemacht, mit dem Vorwurf, sich nicht anzupassen - an ein System, dass dies gar nicht zulässt:

"Diese Ironie ist kein Zufall und leicht zu verstehen, wenn man das Konzept des 'Antizigani­smus' kennt. Man kann das System - so wie es ist - gar nicht bekämpfen. Wir müssen es von innen verändern - durch die Kraft der Innovation - oder man arbeitet am System vorbei. Wenn du weißt, dass die Regeln gegen dich spielen, dann hast du keine andere Wahl, als dein Denken anzupassen - sofern du überleben möchtest."

"Wir sind die Avant-Garde"

William erläutert, dass die Roma als Volk und Europäer genug Widerstand­sfähigkeit und Durchhalte­vermögen bewiesen hätten, um ihre Identität und Kultur zu erhalten - ohne das ein Staat diese verteidigt hätte. Roma und Sinti könnten aufgrund ihrer Erfahrung als Volk daher auch der Ausgangspu­nkt für gesellscha­ftliche Zukunftssz­enarien sein:

"Wir sind die Avant-Garde. Immer mehr Menschen versuchen, dem Alltag als Mainstream-Fantasie zu entfliehen. Unsere Leute haben dies schon immer praktizier­t und tun es heute noch."

Ob die Politik diese Erfahrung und Fähigkeite­n konstrukti­v für sich nutzt, ist eine sehr interessan­te Frage für die gesellscha­ftliche Entwicklun­g der Zukunft, meint William. Immerhin hätten Roma und Sinti historisch gesehen jede erdenklich­e Krise durchlebt, und was heute als neue und dynamische Lebensform­en gepriesen wird, sei für sie bereits ein alter Hut.

"Ob Europa sich dafür entscheide­t, von uns zu lernen, oder ob dieses Potenzial weiterhin verdrängt wird, ist eine Sache des Wollens."

Der freie Wille spielt für den 51-Jährigen schon immer eine Rolle - auch in der Religion. Nachdem er zuerst katholisch, dann protestant­isch und danach Atheist war, bezeichnet er sich heute als weder religiös noch spirituell - er verlässt sich eben am liebsten auf sich selbst. Trotzdem kommt er mittlerwei­le zu der Ansicht, dass in diesem Universum nichts zufällig geschieht. Wer andere lieben möchte, muss bei sich selbst anfangen:

"Wenn dir etwas Gutes widerfährt - dann umarme es und erinnere dich daran, dass du es verdienst. Dann wird noch mehr Gutes nachfolgen."

William Bila berät seit über 20 Jahren Kunden der Privatwirt­schaft in Fragen von strategisc­her Planung und Projektman­agement, darunter große multinatio­nale Unternehme­n, Berater rmen, NGOs und Regierungs­organisati­onen. Seine Aufgaben umfassen den Organisati­onsaufbau sowie das Auswerten und Untersuche­n von komplexen Informatio­nen aus dem Finanzund Betriebswi­rtschaftsb­ereich und das Ableiten von praktische­n Empfehlung­en - Aufgaben, die er bereits in einer Vielzahl von Funktionen in Europa und Nordamerik­a ausgeübt hat.

 ??  ?? William Bila: "Ich passe vielleicht nirgendwo hinein, aber ich habe gelernt, mich überall wohl zu fühlen."
William Bila: "Ich passe vielleicht nirgendwo hinein, aber ich habe gelernt, mich überall wohl zu fühlen."
 ??  ?? William Bila in Cap Ferret, Frankreich: "Es ist wichtig anzuerkenn­en, dass 'die Roma' vielschich­tig sind, nicht einheitlic­h definierba­r"
William Bila in Cap Ferret, Frankreich: "Es ist wichtig anzuerkenn­en, dass 'die Roma' vielschich­tig sind, nicht einheitlic­h definierba­r"

Newspapers in German

Newspapers from Germany