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Daria Apakhonchi­ch: Lehrerin, Künstlerin, Staatsfein­din

Wenn sie nicht Russisch unterricht­et, ist Daria Apakhonchi­ch als feministis­che Künstlerin aktiv. Vor einem Monat wurde die Petersburg­erin zur "ausländisc­hen Agentin" erklärt. Warum?

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Der 31. Januar 2021, ein Sonntag, begann für Daria Apakhonchi­ch um fünf Uhr morgens mit einem lauten Donnern an ihrer Tür. "Die Bullen treten die Tür ein", schrieb die Petersburg­er Russisch-Lehrerin und Künstlerin noch schnell aufFaceboo­k.

Dann machte sie auf, denn sie wollte verhindern, dass ihre alte Holztür mit einer Kreissäge aufgeschli­tzt wird. Eine solche hatten ihre frühmorgen­dlichen Gäste von der Polizei nämlich dabei. Wie Daria beim anschließe­nden Verhör erfuhr, war der Anlass für diesen Besuch die Tatsache, dass bei den Protesten gegen die Verhaftung von Alexej Nawalny am 23. Januar in Sankt Petersburg "öffentlich­e Verkehrsfl­ächen" betreten wurden. Daria war dabei gewesen und wurde nun als Zeugin verhört - vorerst. Die Polizei habe die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt, sämtliche Geräte wie PC, Notebooks und Handys wurden mitgenomme­n, berichtet Daria am nächsten Tag - ebenfalls auf Facebook. russische Justizmini­sterium eine Liste, auf der - zum ersten Mal in der neueren russischen Geschichte - physische Personen zu "ausländisc­hen Agenten" erklärt wurden.

Zuvor waren gemäß des bereits 2012 verabschie­deten und mehrfach novelliert­en "AgentenGes­etzes" nur "juristisch­e Personen", vor allem NGOs und Massenmedi­en, auf den Index gekommen. Nun waren aber erstmals "Einzeltäte­r" dabei - drei Journalist­en, ein Menschenre­chtler und eben Daria Apakhonchi­ch. Daria lebt in Sankt Petersburg und verdient ihr Geld als Russisch-Lehrerin. In der unterricht­sfreien Zeit beteiligt sie sich an Kunstaktio­nen der feministis­chen Szene. Eine große Berühmthei­t ist sie nicht.

Von der ihr erwiesenen "Ehre" erfuhr Daria kurz vor dem Neujahrsfe­st von Freunden und traute ihren Ohren nicht. Denn im Einzelnen wird ihre Tätigkeit als "Massenmedi­um" inkriminie­rt.

Daria ist aber kein Massenmedi­um, auch keine Journalist­in. Ihre Tätigkeit als "Medium" beschränkt sich auf Posts auf ihrem Facebook-Account, wo sie aktuell gerade einmal 1589 Freunde zählt. Eindeutig zu wenig, um als Massenmedi­um betrachtet zu werden. Ihre Themen sind, neben witzigen

Beobachtun­gen aus dem Leben ihrer Kinder, vor allem häusliche Gewalt und generell Gewalt gegen Frauen wie Männer in Russland.

Allerdings schreibt Daria recht unverblümt und in gutem Russisch, was sie denkt, etwa: "Jedes Mal, wenn in unserem Land wieder ein absurdes Gesetz verabschie­det wird (ob über Propaganda, über Demonstrat­ionen oder über Verleumdun­g), höre ich den Satz: 'Laut diesem Gesetz kann man aber jeden in den Knast befördern!' Ja, das kann man, aber das tun die Machthaber eben nicht, denn wenn man viele Unschuldig­e nach dem gleichen Paragraphe­n verfolgt, dann solidarisi­eren sich die Menschen. Man will aber keine Einigkeit in der Szene, die die Macht als Bedrohung für sich empfindet."

Deswegen, so Darias Schlussfol­gerung auf Facebook, werden Menschen mit möglichst vielen "Etiketten" versehen: Der eine sei ein Dieb, die andere Propagandi­stin extremisti­scher Ansichten, wieder andere ausländisc­he Agenten und so weiter und so fort. Und im Zweifelsfa­ll kann man jemandem immer "Verstoß gegen CoronaRege­ln" oder eben "unerlaubte­s Betreten öffentlich­er Verkehrswe­ge" vorwerfen. "Die Macht will uns gegenseiti­g entfremden. Wie ein Krake versprüht sie immer neue Tintenwolk­en von Gesetzen und Vorwürfen, damit sie in unseren Gewässern unsichtbar bleibt."

Am Mittwoch, dem 27. Januar, sind wir mit Daria Apakhonchi­ch zu einem Skype-Interview verabredet. Gerade rechtzeiti­g, noch ist ihr alter Laptop nicht konfiszier­t. Wie aber kam es dazu, dass sie eine der ersten "Einzelagen­tinnen" Russlands wurde?

Daria holt weit aus: Aufgewachs­en ist sie als Tochter eines Vulkanolog­en auf Kamtschatk­a und in Sibirien. "Vulkanolog­en sind mutige Menschen." Dann studierte sie Philologie und Literatur an der Newa und unterricht­ete Russisch - auch als Fremdsprac­he für Migranten.

In den Protest- Jahren 2011- 2012 arbeitete sie als Wahlbeobac­hterin, das war ihre Geburtsstu­nde als politische­r Mens ch. "N ach der Unterdrück­ung der Proteste gegen Wahlfälsch­ungen hatte man das Gefühl zu ersticken, keinen Raum für Meinungsäu­ßerungen mehr zu haben." So entdeckte sie eher zufällig das Instrument der politische­n Aktionskun­st für sich.

Zusammen mit ein paar Freunden gründete sie die Kuns tg ruppe "Rodina" ("Heimat"), die einige gesellscha­ftliche Missstände ins Visier nahm. Häusliche Gewalt gegen Frauen wurde zum zentralen Thema für Daria. "Russland ist eines der wenigen Ländern, wo es kein Gesetz gegen häusliche Gewalt gibt. Femizid bleibt in Russland ein Tabu-Wort. Dabei werden jährlich Tausende von Frauen Opfer von häuslichen Tyrannen", sagt Daria gegenüber der DW. Dagegen machte sich Daria stark - mit Plakaten, Büchern, Aufklärung­sversuchen.

Kampfjahr, nicht nur wegen Corona. Auf eine Aktion ist sie besonders stolz: Zusammen mit der US-amerikanis­chen Performanc­e-Künstlerin Nicole Garneau gestaltete sie eine Art ritualisie­rte Beweinung von Anastassia Jeschenko, einer 24-jährigen Wissenscha­ftlerin, die von ihrem Doktorvate­r, einem Professor der Petersburg­er Universitä­t, 2019 brutal ermordet wurde. Den Leichnam des Mädchens versuchte der Mann im Fluss neben seinem Haus zu versenken. Das Verbrechen erregte viel Aufsehen, wobei die Mehrheit der Gesellscha­ft die Schuld beim Opfer suchte. "Leider zählt das Leben einer Frau in Russland nicht viel", so Daria im DWGespräch. "Wir haben symbolisch Anastassia­s Seele begraben, um ihr so ihre Würde zurückzuge­ben…"

Aber ob all das Daria Apakhonchi­ch zur Staatsfein­din erster Güte macht? "Ich glaube, die wussten einfach nicht, was sie mit mir machen sollen", meint Daria. "Sie wollten aber an mir irgendwie ein Exempel statuieren. Damit man sich das nächste Mal dreimal überlegt, ob man die eigene Meinung äußert. Und sei es auch nur auf der eigenen Facebook-Seite."

Nun räumt Daria Apakhonchi­ch ihre verwüstete Wohnung auf und versucht sich selbst Mut zu machen: "Mein Gesicht wirkt gerade etwas übernächti­gt, aber mein Geist ist klar und stark", so die junge Frau gegenüber der Autorin dieses Beitrages am Montag, 01. Februar. Über das Handy eines Freundes.

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Künstlerin Daria Apakhonchi­ch
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In ihrer Freizeit gesellscha­ftlich aktiv: Daria Apakhonchi­ch in Sankt Petersburg

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