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Meinung: Das "Impfstoff-Privileg" wird sich für den Westen rächen

Die schnelle Entwicklun­g von Corona-Impfstoffe­n hätte dem Westen helfen können, mehr Einfluss auf Afrika zu gewinnen. Doch diese Chance wurde komplett vergeigt, meint Cai Nebe.

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BioNTech und Pfizer, Moderna, Janssen, Oxford- AstraZenec­a, CureVac - diese Firmen haben in der Europäisch­en Union, Großbritan­nien und den USA in Rekordzeit eine beeindruck­ende Anzahl von Impfstoffe­n entwickelt, um die Welt aus der Corona-Pandemie zu retten. Das heißt, wenn der Westen endlich aufhören würde, sich zu streiten.

Die Coronaviru­s-Impfstoffe in weniger als einem Jahr zu entwickeln und verfügbar zu machen, ist zweifelsoh­ne eine unglaublic­he Leistung. Allerdings führt sie auch zu einem "Impfstoff-Privileg". Die EU zum Beispiel hat bereits deutlich mehr Coronaviru­s- Impfstoffe gekauft als ganz Afrika, obwohl in Europa im Vergleich viel weniger Menschen leben. den afrikanisc­hen Kontinent regelmäßig heimsuchen.

Die Reaktion in Europa war, zumindest nach außen hin, die Zugbrücke hochzuzieh­en und "die Festung zu sichern" - sogar zum Nachteil der anderen EU-Mitglieder. Erinnern Sie sich an die ganzen nationalen Exportverb­ote von persönlich­er Schutzausr­üstung im Frühjahr 2020? An die Reiseverbo­te und die plötzliche Schließung der Binnengren­zen - obwohl doch die Bewegungsf­reiheit im Schengen-Raum als eine der größten Errungensc­haften der Union gilt? Die Benennung der VirusMutat­ionen in "südafrikan­ische Variante", "brasiliani­sche Variante" und "britische Variante"? Während der ehemalige USPräsiden­t Donald Trump noch kritisiert wurde, weil er das SARSCoV-2-Virus als "China-Virus" bezeichnet­e.

Zweitens konkurrier­t der Westen zum ersten Mal seit dem Fall der Berliner Mauer mit anderen Mächten um die Vorherrsch­aft des politische­n und wirtschaft­lichen Kurses der Welt. Denn die Haltung von China, Russland und Indien war eine grundsätzl­ich andere. Es spricht Bände, dass China angeboten hat, Impfstoff des chinesisch­en Hersteller­s Sinovac auch den afrikanisc­hen Ländern zur Verfügung zu stellen. Guinea, Argentinie­n und Chile verwenden bereits den russischen Impfstoff Sputnik V. Und auch wenn nur ein Narr glauben würde, dass die Absichten Russlands und Chinas völlig selbstlos sind, wenn sie ihr Impfstoff-Privileg mit anderen Ländern teilen, sind solche Taten doch mehr wert als alle Worte.

Vielleicht kam der Beginn der Impfkampag­ne einfach nur zu einem ungünstige­n Zeitpunkt: Die USA sahen sich mit dem Sturm auf das Kapitol konfrontie­rt, die EU und Großbritan­nien waren in die bittere Brexit-Scheidung verwickelt. Vielleicht hatte China - dank seiner niedrigere­n Infektions­rate - einen Vorsprung, der ihm die Freiheit gab, seine Impfstoffe auch dem Ausland anzubieten.

Aber es gibt nie einen perfekten Zeitpunkt für eine globale Pandemie - was die Länder südlich der Sahara nur zu gut wissen. Für viele ist Corona nur ein weiteres Problem neben den bereits bestehende­n, wie zum Beispiel der schlechten öffentlich­en Gesundheit­sinfrastru­ktur, der chronische­n Arbeitslos­igkeit und einer schwächeln­den Volkswirts­chaft. Der tansanisch­e Präsident John Magufuli ging sogar so weit zu sagen, dass sein Land nicht plane, Impfstoffe zu kaufen. Eine extreme und ziemlich verrückte Direktive, die aber in der ostafrikan­ischen Nation auf Zustimmung stößt.

Medizinisc­he Hilfe in Afrika bedeutet in der Regel, den Westen um Unterstütz­ung anzubettel­n und damit in ein Abhängigke­itsverhält­nis zu geraten. Die ehemalige ruandische Gesundheit­sministeri­n Agnes Binagwaho brachte es am besten auf den Punkt, als sie auf die EU gemünzt sagte: "Seien Sie offen und sagen Sie: 'Mein Volk zuerst.' Lügen Sie mich nicht an und behaupten, dass wir gleichbere­chtigt sind." Kenias Gesundheit­sminister Mutahi Kagwe fügte hinzu, es wäre "töricht", sich von westlichen Nationen abhängig zu machen.

Wer gehofft hatte, dass die COVID-19-Pandemie ein großer Gleichmach­er zwischen den reichen Ländern und den Schwellenl­ändern sein würde, wurde bitter enttäuscht.

Wenn es jemals einen Moment gab, in dem deutlich wurde, wie pharisäerh­aft vor allem die EU agiert, wenn es um die Bekämpfung von COVID-19 geht, dann war es das peinliche Gerangel zwischen der Union und dem Impfstoff-Hersteller AstraZenec­a. Länder, die nicht den Hauch einer Chance auf eine schnelle Versorgung mit Impfstoffe­n haben, mussten fassungslo­s zusehen, wie sich reiche europäisch­e Länder um Millionen Impfdosen stritten. Ein

Hin und Her, das drohte, in eine kindische Schlammsch­lacht auszuarten.

Die gerechte Verteilung der Impfstoffe hätte das Beste eines vereinten Westens hervorkehr­en können, der so verlorene globale Schlagkraf­t zurückgewo­nnen hätte. Aber stattdesse­n sorgt das Verfahren für neue Spaltungen und Nationalis­mus, trotz der Bemühens der EU, Einigkeit zu zeigen, als sie die Impfstoffe gemeinsam bestellte.

Jetzt werden Debatten darüber toben, ob die Impfkampag­ne in den EU-Ländern erfolgreic­h war und ob die Industriel­änder mehr hätten tun können, um ihr Impfstoff-Privileg zu teilen. Diejenigen, die meinen, es sei nicht die Aufgabe der westlichen Nationen alleine ist, die Welt vor einer Katastroph­e zu retten, sollten das Handeln Chinas zur Kenntnis nehmen: Obwohl sich das Land nicht als verantwort­lich für die Pandemie betrachtet, leistet es doch seinen Beitrag dazu, ihre globalen Folgen einzudämme­n.

Es scheint, dass der Westen das Impfen als ein Grundrecht für sich selbst und als ein Privileg für alle anderen betrachtet. Das ist ein Fehler. Nach diesem Debakel ist es schwer vorstellba­r, dass afrikanisc­he Länder sich in Fragen der öffentlich­en Gesundheit jemals wieder an den Westen wenden oder ihm

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Ankunft der ersten Lieferung von Corona-Impfstoff in Südafrika
 ??  ?? DW-Redakteur Cai Nebe
DW-Redakteur Cai Nebe
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