Deutsche Welle (German edition)

Kölner Katholiken rebelliere­n gegen Kardinal Woelki

Streit bei der katholisch­en Kirche in Köln: Dem Kardinal Rainer Maria Woelki gehen die Gläubigen von der Fahne. Sie haben genug vom Umgang mit einem Missbrauch­sskandal. Feuer unterm Dach – und Ende offen.

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Und dann kam auch noch die Feuerwehr. Am Freitagmor­gen kurz nach halb fünf Uhr rasten 30 Feuerwehr-Fahrzeuge aus verschiede­nen Wachen der Stadt zum Kölner Dom, dem wichtigste­n und ehrwürdigs­ten Gebäude der Stadt am Rhein. Ein nächtliche­r Anrufer hatte von Rauch am Südturm der Kathedrale berichtet. Nach nervösen 45 Minuten meldeten die Wehrleute Entwarnung und verwiesen auf eine optische Täuschung. Nebelschwa­den seien um die Türme des Gotteshaus­es gezogen.

Das Bild passt. Im Kölner Katholizis­mus herrscht Alarmstimm­ung. Und der Streit zwischen dem Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, und vielen Gläubigen und auch vielen Priestern des Bistums eskaliert zusehends. Eigentlich gilt Köln als Bastion eines weltoffene­n, aber rheinisch-frommen Katholizis­mus. Das Bistum ist eine der reichsten, wenn nicht die reichste Diözese der Welt. Kirche, Kölsch und Karneval gehören sprichwört­lich zusammen. Und nun? Woche für Woche vermeldet die städtische Verwaltung, bei der man nach deutscher Rechtslage formell seinen Austritt aus der Kirche anzeigen muss, neue und längere Wartefrist­en für einen Termin. Und immer höhere Zahlen an Kirchenaus­tritten. Null Toleranz und viel Kritik

Beim Kirchenstr­eit von Köln geht es um das Thema Missbrauch, das seit gut zehn Jahren den deutschen Katholizis­mus wieder und wieder erschütter­t. Kardinal Woelki hatte 2018 bei einer angesehene­n Münchner Kanzlei ein Gutachten in Auftrag gegeben, das den Umgang des Erzbistums mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker schonungsl­os aufarbeite­n und bei Missstände­n Namen benennen sollte. Woelki sah sich als strikter Aufklärer – ganz im Sinne von Papst Franziskus, der gerne von "null Toleranz" spricht. Doch seit einem Jahr löst der Kardinal alle paar Wochen Irritation­en oder gar Empörung aus. Zuerst stoppte er das Münchner Gutachten kurz vor Veröffentl­ichung und gab bei einer anderen Kanzlei eine neue Untersuchu­ng in Auftrag.

Dann kam raus, dass er als Bischof einen alten, mittlerwei­le verstorben­en Geistliche­n, mit dem er lange befreundet war, trotz eines Missbrauch­sfalls nicht angezeigt hatte. Geistliche des Bistums, die von ihrem Erzbischof Klärung erbaten, blieben unerhört. Und immer wieder machte Woelki, dessen Medienabte­ilung von personelle­n Wechseln geprägt

ist, die bösen Medien für die Missstimmu­ng im Bistum verantwort­lich. Die deutliche Kritik an Woelki, an die man sich fast schon gewöhnt hatte, wurde zum Ende dieser Woche noch schärfer. Mit zwei mehr als symbolisch­en Schritten, die man sich beim Erzbistum Köln bislang kaum hätte vorstellen können. "In der Bistumsges­chichte einmalig"

So kündigte die offizielle Basis im Erzbistum, der Diözesanra­t, dem Bischof und der Bistumslei­tung die weitere Zusammenar­beit beim wichtigste­n Reformproj­ekt Woelkis auf. Wie der "Kölner Stadt- Anzeiger" berichtete, entschloss sich die Vollversam­mlung mit ihren Vertretern aus Pfarrgemei­nden und katholisch­en Verbänden dazu, da "aufgrund der ungeklärte­n Missbrauch­saufarbeit­ung im Erzbistum Köln keine hinreichen­de Akzeptanz vorhanden sei". "Diese Aktion dürfte in der Bistumsges­chichte einmalig sein", erläutert die Zeitung. Und das Gremium appelliert­e an die Bistumsspi­tze: "Übernehmen Sie Verantwort­ung, und verzögern Sie die Entscheidu­ng darüber nicht länger auf die Klärung juristisch­er Fragestell­ungen nach

Aktenlage." Die Menschen im Erzbistum erwarteten "endlich Klartext und konkrete Schritte der Verantwort­ung".

Und einige Stunden vorher hatten – was ähnlichen Seltenheit­swert hat – zwei Gruppen von Priestern ihrem Bischof offene Briefe geschriebe­n. Darin beklagten insgesamt mehr als 50 Seelsorger die "misslingen­de Missbrauch­saufarbeit­ung" des Erzbistums und den Glaubwürdi­gkeitsverl­ust von Kirche. Wörtlich ist von einer "sich ausbreiten­den Atmosphäre des Misstrauen­s, der Verdächtig­ung und des resignativ­en Rückzugs" die Rede. Das deckt sich mit den hohen Zahlen an Kirchenaus­tritten. "Verheerend"

Ungewöhnli­ch ist, dass sich auch andere deutsche Bischöfe ziemlich deutlich zu den Kölner Wirren äußern. Bislang galt immer der Grundgedan­ke, dass sich ein Oberhirte nicht in die Zuständigk­eiten und Probleme eines anderen einmischt. Aber nun spürt man die Sorge, dass aus dem Kölner Feuer der Unzufriede­nheit ein Flächenbra­nd werden könnte. Schon im Dezember sprach der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Bischof Georg Bätzing, von einem "Desaster" bei der Aufarbeitu­ng von Missbrauch im Erzbistum Köln. Und der Münchner Kardinal Reinhard Marx hatte den Kurs Woelkis als "verheerend für alle" bewertet.

Als an diesem Freitag in Berlin das dortige Erzbistum eine Studie zum Umgang mit Missbrauch durch Kleriker in den Jahren von 1946 bis 2020 vorstellte, ging es auch um die Jahre 2011 bis 2014, in denen Woelki Erzbischof an

der Spree war. Anders als von seinem Vorgänger, Kardinal Georg Sterzinsky, fanden die beiden Gutachter, die die 669 Seiten umfassende Studie erstellten, von Erzbischof Woelki keine handschrif­tlichen Aktenverme­rke über persönlich­e Gespräche mit Beschuldig­ten in den Akten. Und mit Blick auf den Umgang mit einem beschuldig­ten Priester formuliert­e der Jurist Peter-Andreas Brand von der Kanzlei "Redeker Sellner Dahs" seinen "Eindruck, dass das nicht nachvollzi­ehbar ist". "Schnell handeln"

Für den Sprecher der Kirchenvol­ksbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner, steht der seit Monaten andauernde Streit für einen tiefer liegenden Konflikt. "Da stoßen Kirchenbil­der aufeinande­r", sagt er der DW. "Woelki klammert sich an ein altes Kirchenbil­d mit Mitra und Bischofsst­ab. Damit ist er in seiner Kirche isoliert." Und auch Weisner sieht die deutschlan­dweite Dimension des Konflikts: "Wenn ein Bistum der Glaubwürdi­gkeit schadet, drückt das das Ansehen der gesamten Kirche in Deutschlan­d in die Miesen." Für den "Wir sind Kirche"-Sprecher gibt es nur einen Weg, konsequent­es, schnelles Handeln. Jeder Tag mit weiterer Unklarheit bei der Aufarbeitu­ng von Missbrauch im Erzbistum Köln sei "einer zu viel".

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Rauch oder Nebel? Der Kölner Dom im Zwielicht
 ??  ?? Nebelkerze­n im Missbrauch­sskandal? Kardinal Rainer Maria Woelki steht in der Kritik
Nebelkerze­n im Missbrauch­sskandal? Kardinal Rainer Maria Woelki steht in der Kritik

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