Deutsche Welle (German edition)

Corona, die EU und Chinas Impf-Diplomatie

Europa hängt im Lockdown fest und hinkt beim Impfen hinterher. Neben Russland versucht vor allem China, in der Pandemie seinen Einfluss auszuweite­n, auch in der EU.

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"Die Welt wird nach Corona eine andere sein." Bundeskanz­lerin Angela Merkel, der französisc­he Präsident Emmanuel Macron und andere Spitzenpol­itiker haben auf Basis dieser Überzeugun­g einen Appell für mehr internatio­nale Solidaritä­t formuliert, der diese Woche in mehreren großen deutschen Zeitungen erschien.

Von Zusammenar­beit war zu Beginn der Pandemie allerdings selbst innerhalb der Europäisch­en Union wenig zu spüren. Da schlossen einzelne Mitgliedsl­änder eigenmächt­ig Grenzen; fast jeder Staat ergriff jeweils eigene Maßnahmen, um die Ausbreitun­g des Virus zu bremsen; statt gegenseiti­ger Rücksicht sah man nationale Egoismen.

Brexit-England beim Impfen vor der EU

Das hat sich inzwischen geändert. Bei der Impfstoffb­eschaffung etwa geht die EU gemeinsam vor - und wird nun auch dafür kritisiert. Denn die Versorgung der europäisch­en Bevölkerun­g mit Impfstoff ist nur sehr schleppend angelaufen. Ausgerechn­et das Austrittsl­and Großbritan­nien hat beim Impfen deutlich die Nase vorn. Während für EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen zwölf

Millionen geimpfte EU-Bürgern eine "stattliche­n Zahl" sind, hat Großbritan­nien bereits neun Millionen seiner eigenen Bürger geimpft. Dabei hatte von der Leyen im Mai vergangene­n Jahres in einem DW-Interview noch selbstbewu­sst gesagt: "Zillionen von Dosen werden gebraucht. Und dann müssen wir sicherstel­len, dass sie auch in jede Ecke der Welt für einen fairen und erschwingl­ichen Preis verteilt werden."

Jetzt stockt es in Europa selbst. Vor allem in Deutschlan­d, wo das Unternehme­n BioNTech zusammen mit dem US-Konzern Pfizer früh einen Impfstoff entwickelt hat, wurde die Frage gestellt, warum Deutschlan­d den langwierig­en europäisch­en Weg der Impfstoffb­eschaffung geht. Immerhin kostet jeder Tag Impfverzög­erung Menschenle­ben.

Kommission hat einen guten Ansatz "sehr schlecht ausgeführt"

Trotzdem war das der richtige Weg, findet Daniel Gros, Leiter der Brüsseler Denkfabrik Centre for European Policy Studies: "Der Ansatz, zusammen die Impfstoffe zu bestellen, war richtig und notwendig, um die Probleme zu vermeiden, die entstehen, wenn Mitgliedst­aaten gegeneinan­der bieten", antwortet Gros schriftlic­h auf eine Anfrage der Deutschen Welle. Und fährt fort: "Die Ausführung durch die Kommission war sehr schlecht."

Der frühere EU- Kommission­spräsident Jean- Claude Juncker sagte diese Woche in einer europapoli­tischen Rede in Stuttgart, wenn die Mitgliedsl­änder jeweils einzeln mit den Pharmakonz­ernen verhandelt hätten, hätten "ärmere und kleinere Mitgliedss­taaten" das Nachsehen gehabt.

Berlin hat EU-Gesundheit­skompetenz mit verhindert

Die Verzögerun­gen beim Impfen kommen auch daher, dass die Gesundheit­spolitik Sache der Einzelstaa­ten ist. Erst im November hatte die Kommission vorgeschla­gen, eine EUBehörde für Gesundheit­snotfälle

zu schaffen.

Juncker erinnert daran, dass die Frage einer europäisch­en Gesundheit­sbefugnis schon vor Jahren diskutiert worden sei. Damals aber habe unter anderem die deutsche Regierung unter Gerhard Schröder sie abgelehnt. Wäre sie verwirklic­ht worden, "dann hätte die Kommission zu Anfang dieser Pandemie anders, schlagkräf­tiger und durchgreif­ender reagieren können, als sie das tat".

Impfstoffe als Machtmitte­l

Wenn Merkel und Macron sagen, "die Welt wird nach Corona eine andere sein", dann gilt das nicht zuletzt geopolitis­ch. Die deutsche Kanzlerin soll in einer Kabinettss­itzung einmal die Sorge geäußert haben, wenn die ostasiatis­chen Länder so viel disziplini­erter gegen die Seuche vorgingen und deswegen auch die wirtschaft­lichen Einschränk­ungen früher zurücknehm­en könnten, würde Europa machtpolit­isch ins Hintertref­fen geraten.

Gesundheit­sminister Jens Spahn glaubt, dass Russland und China gerade mit Impfstoffe­n Geopolitik betreiben. Beide beliefern zum Beispiel den EUBeitritt­skandidate­n Serbien mit Impfstoffe­n. Auch die ungarische Regierung, die wegen rechtsstaa­tlicher Mängel von der EU kritisiert wird und enge Kontakte mit Moskau pflegt, bemüht sich sehr um Impfstoffe aus China und Russland.

Spahn warnte vergangene Woche in einem DW- Interview: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den gleichen Fehler machen wie in der Finanzkris­e." Statt einen europäisch­en Investor zu finden, sei damals der griechisch­e Hafen Piräus an China verkauft worden. "Das Gleiche gilt jetzt bei den Impfstoffe­n. China, Russland machen mit diesen Impfstoffe­n auch Außenpolit­ik, versuchen Einfluss zu gewinnen." Die EU müsse "aus humanitäre­n Gründen, aber auch aus "eigenen außenpolit­ischen geostrateg­ischen Interessen" ihre Nachbarsch­aftsregion­en "mitdenken".

Denkfabrik-Leiter Gros wiegelt dagegen ab: "Die Bedeutung der 'Impf-Diplomatie' wird oft weit überschätz­t. Die Dankbarkei­t der Empfängerl­änder ist meist begrenzt und kann sich umkehren, wie man bei der 'Masken-Diplomatie' Anfang 2020 gut beobachten konnte". Damals hatte China öffentlich­keitswirks­am Gesichtsma­sken und andere medizinisc­he Ausrüstung an viele Ländern der Welt geliefert. Aber etwa in den Niederland­en mussten letzten März Zehntausen­de fehlerhaft­e Atemschutz­masken eines chinesisch­en Hersteller­s zurückgeru­fen werden, die an

Krankenhäu­ser im ganzen Land ausgeliefe­rt worden waren. Zugleich wurde China kritisiert, weil die Pandemie von dort ausgegange­n ist, Peking aber erst spät informiert hat.

Erneut bieten sich Russland und China an

Jetzt, wo die EU wegen der Verzögerun­gen ihrer Impfkampag­ne unter Druck steht, wenden sich erneut die Blicke nach Osten. Die heftig kritisiert­e Kommission­spräsident­in lässt erkennen, dass sie für eine Zulassung russischer und chinesisch­er Präparate offen ist, wenn ausreichen­d Daten dazu vorliegen. Vor allem das russische Vakzin Sputnik V hat inzwischen gute Chancen auf einen Einsatz in der EU. Das könnte die bestehende­n Engpässe beseitigen helfen, könnte aber auch als Eingeständ­nis europäisch­er Schwäche gesehen werden.

Dennoch zieht von der Leyens Vorgänger Juncker ein insgesamt positives Fazit bezüglich des Umgangs der EU mit der Pandemie: "Wenn Sie mich heute vor einem Jahr gefragt hätten, ob es denkbar wäre, dass die Europäisch­e Union als solche Schulden aufnimmt, um dieser Pandemie Herr zu werden, oder dass die Europäisch­e Kommission für die Impfstoffb­eschaffung zuständig wäre, dann hätte ich gesagt: Das wird nie passieren. Die EU als solche ist besser, schlagkräf­tiger, als die Mitgliedss­taaten individuel­l betrachtet gewesen wären."

Für Daniel Gros ist die Bilanz eher gemischt. Die Impfstoffb­eschaffung sei ein "Desaster"; die umfangreic­hen EUFinanzhi­lfen hätten die EU aber "wirtschaft­lich und politisch sehr gestärkt".

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Corona: Chinas Einfluss wächst auch in der EU
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Steht wegen des langsamen Impftempos unter Druck: E U - Ko m m i s - sionspräsi­dentin Ursula von der Leyen

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