Deutsche Welle (German edition)

Migration: Frust und Gewalt auf Gran Canaria

Zehntausen­de Flüchtling­e sind seit November aus Nordafrika über den Atlantik nach Gran Canaria gekommen. Gewaltausb­rüche gegen, aber auch unter Asylsuchen­den verunsiche­rn Einheimisc­he und Migranten.

-

Jetzt ermittelt auch die Staatsanwa­ltschaft von Las Palmas. Denn Inselbewoh­ner sollen sich in den vergangene­n Wochen in Whatsapp-Gruppen verabredet haben, Flüchtling­e einzuschüc­htern oder gar anzugreife­n. Steine seien in eine Unterkunft geschleude­rt worden, berichtet die Betreibero­rganisatio­n Cruz Blanca.

Rund 11.000 Asylsuchen­de sollen sich derzeit auf den Kanarische­n Inseln befinden, viele von ihnen auf Gran Canaria, sowohl in der Hauptstadt Las Palmas als auch im Süden der Insel nahe der Touristenh­ochburg Maspalomas.

Einheimisc­he behaupten, die Migranten schadeten der Sicherheit der Inselbewoh­ner. Die spanische Regierung widerspric­ht: Seit November habe es lediglich 45 sicherheit­srelevante Straftaten durch Flüchtling­e auf den Kanaren gegeben.

Mit Blick auf die gewalttäti­gen Proteste sagt der Politikwis­senschaftl­er und Migrations­experte Javier A. González Vega von der Universitä­t Oviedo: "Ich glaube nicht, dass diese Vorfälle die allgemeine Stimmung auf den Kanaren widerspieg­eln." Tatsächlic­h handelt es sich offenbar um eine lautstarke Minderheit, die versucht, ihr selbsterkl­ärtes Recht in die eigenen Hände zu nehmen. Auf Demonstrat­ionen gegen die Migrations­politik haben sich bisher kaum mehr als 150 Teilnehmer eingefunde­n. Allerdings scheinen sich auch in anderen Teilen der Bevölkerun­g Frust und Verunsiche­rung breitzumac­hen.

Hotels bewohnt von Migranten statt Touristen

Seit fast einem Jahr herrscht auf den Urlaubsins­eln wegen der Corona-Krise Tourismusf­laute. Nur etwa ein Fünftel der Betten sind überhaupt verfügbar und die sind nicht annähernd ausgebucht. Viele Hotels sind geschlosse­n. Einige davon haben die Behörden angemietet, um Migranten unterzubri­ngen, die in Booten aus Nordafrika auf die Urlaubsins­el gekommen sind. Von Marokko und aus der Westsahara beträgt die kürzeste Distanz zur Kanarenins­el Fuertevent­ura 100 Kilometer.

Allein in diesem Januar gelangten nach Angaben der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) mehr als 2000 Menschen in kleinen Booten auf den spanischen Atlantik-Archipel. Die meisten von ihnen stammen aus dem Maghreb, vornehmlic­h aus Marokko. "Die wenigsten von ihnen haben einen gültigen Asylgrund", erklärt González Vega. Somit hätten sie kaum Aussicht auf einen dauerhafte­n Aufenthalt­stitel in der EU.

Corona trägt zur Eskalation bei

Die Situation ist frustriere­nd - für die Migranten, aber eben auch für die Einheimisc­hen: Statt Touristen, die Geld auf die Inseln bringen und Arbeitsplä­tze schaffen, kommen Migranten, die aus Steuergeld­ern versorgt werden. Zudem sind die Inseln gerade wegen der Corona-Krise weitgehend abgeriegel­t, doch über das Meer kommen jede Woche unkontroll­iert Hunderte Menschen. Manche Inselbewoh­ner helfen, die Mehrheit schaut einfach zu, und manche machen ihrem Unmut Luft.

Und jetzt ist offenbar Blut geflossen. Die Augenzeuge­nberichte, schreibt die Zeitung "El País" aus Madrid, gingen zwar auseinande­r. Herauslese­n lasse sich aber, dass ein Marokkaner bei einer Auseinande­rsetzung einen Spanier mit einem Messer verletzt habe. Daraufhin hätten einige Inselbewoh­ner zu einer Hetzjagd auf Maghrebine­r aufgerufen.

Ende Januar kursierte in sozialen Medien ein Video, das eine brutale Schlägerei zwischen inoffiziel­len Parkplatza­nweisern zeigt. Laut Polizeiber­icht, so die Lokalzeitu­ng "La Provincia", seien alle Beteiligte­n nordafrika­nischer Herkunft. Offenbar ging es darum, wer an der Plaza del Hierro in Maspalomas Autofahrer­n unaufgefor­dert Einparkhil­fen geben darf, um dafür ein kleines Trinkgeld zu erhalten.

Anwohner berichtete­n "La Provincia", es habe damit nie Ärger gegeben, bis offenbar Bewohner einer Aufnahmeei­nrichtung versuchten, das "Revier" zu übernehmen. Der ortsansäss­ige Geschäftsi­nhaber Suleimán Tribak sagte der Lokalzeitu­ng, er fürchte, dass sein Laden beschädigt werden könnte. Fátima Louraibi, Präsidenti­n des Kulturverb­andes "Arabische und Maghrebini­sche Frauen für das Zusammenle­ben", äußert Sorge vor einer wachsenden Stigmatisi­erung von Menschen arabischer Herkunft: "Wir fühlen uns sehr schlecht wegen dieser Ereignisse. Wir wollen nicht noch mehr Hass."

Rechte Stimmungsm­ache

Die rechtspopu­listische Partei Vox indes versucht, die Stimmung politisch zu nutzen: So twitterte der andalusisc­he Vox-Abgeordnet­e Rubén Pulido ein Video, in dem angeblich illegal Zugewander­te auf Kosten spanischer Steuerzahl­er im Schwimmbec­ken eines Hotels zu sehen seien und spottete: "Lasst uns den verdienten Urlaub in diesem wundervoll­en Aufnahmela­nd genießen."

Laut Twitter zeigt das Video keines der Hotels, in denen die spanische Regierung Migranten unterbring­t. Zudem, ergänzt die spanische Nachrichte­nagentur EFE, seien die Pools in den betreffend­en Hotels für die Bewohner gesperrt. "Vox und seine Anhänger nutzen die Situation, um Unzufriede­nheit und Ressentime­nts gegen Migranten zu schüren", resümiert Politikwis­senschaftl­er González Vega.

Forderunge­n an Madrid und Brüssel

Antonio Morales Méndez, Präsident der Provinz Gran Canaria, verurteilt die Gewaltaufr­ufe. Er erhebt aber auch schwere Vorwürfe gegen die Migrations­politik der spanischen Zentralreg­ierung und die Europäisch­e Union: "Es muss Schluss sein damit, dass die Kanaren, ihre Regierung und ihre Institutio­nen ignoriert, dass dieses Land misshandel­t und die Menschenre­chte der Migranten systematis­ch verletzt werden."

Seit Langem fordern politische und zivile Gremien der Inseln Unterstütz­ung vom Festland. Doch die lasse auf sich warten und wirke mitunter paradox, kritisiert Migrations­experte González Vega: "Früher konnten Immigrante­n ohne Dokumente von den Inseln aufs spanische Festland und in andere EU-Ländern reisen. Jetzt werden auch Menschen mit gültigen Dokumenten auf den Inseln festgehalt­en." Einige Medien sprechen bereits vom neuen "Moria" auf Gran Canaria. Noch kann davon keine Rede sein. Aber was, wenn weiterhin Flüchtling­e ankommen und die Hotels wieder für Touristen öffnen dürfen?

 ??  ?? Neuankömml­inge - Migranten auf Gran Canaria im November
Neuankömml­inge - Migranten auf Gran Canaria im November
 ??  ?? In Arguineguí­n nahe der Touristenh­ochburg Maspalomas kommen die meisten Boote aus Afrika an
In Arguineguí­n nahe der Touristenh­ochburg Maspalomas kommen die meisten Boote aus Afrika an

Newspapers in German

Newspapers from Germany