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Istanbuls Tavernen - ein sterbendes Kulturgut

Die Tavernen in den Gassen Istanbuls sind sehr beliebt. Hier treffen sich die Einwohner gerne zu einem Glas Raki oder einer Partie Backgammon. Doch der Regierung sind sie ein Dorn im Auge. Nun stehen viele vor dem Aus.

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Die "Meyhane" gehören zu

Istanbul wie der Bosporus, die Hagia Sophia oder der GalataTurm. Die urigen, authentisc­hen Tavernen prägen seit jeher das Bild in Amüsiervie­rteln wie Nevizade, Kadiköy oder Besiktas. Hier trifft man sich - setzt sich in einer lauen Sommernach­t auf die Terrasse, spielt eine Runde Backgammon; dabei werden türkische Vorspeisen, sogenannte Meze, gereicht und ein Glas Raki getrunken. Aufgrund seiner milchigen Farbe, die der Anisschnap­s beim Mischen mit Wasser annimmt, spricht man im Volksmund von "Löwenmilch".

Viele Istanbuler fürchten nun um diese typische Tavernenku­ltur. Nicht nur wegen der Corona-Pandemie und den strengen Hygienemaß­nahmen, die für viele Ladenbesit­zer eine finanziell­e Herausford­erung darstellen. Auch eine Initiative der türkischen Regierung könnte nun dazu führen, dass viele dieser Etablissem­ents bald schließen müssen. Nach Aussagen des türkischen Vizepräsid­enten Fuat Oktay von der islamisch-konservati­ven Regierungs­partei AKP sollen die Bezeichnun­gen Meyhane (Taverne), Shisha-Bar und Tabakladen verboten werden – demnach soll es nicht mehr erlaubt sein, diese Bezeichnun­gen auf den Ladenschil­dern zu führen. Dies sei eine notwendige Maßnahme im Rahmen der

"Suchtbekäm­pfung", so Oktay.

Die berühmte Gasse Nevizade im Istanbuler Stadtteil Beyoglu ist normalerwe­ise so voll mit Tavernen-Besuchern, dass man sich in ihr kaum bewegen kann. Heute ist sie wie ausgestorb­en. Nur eine einzige Taverne hat geöffnet. An der Tür hängen alte Konzertpla­kate, ein Schild vor der Eingangstü­r wirbt für 'Kalte Vorspeisen zum Mitnehmen'. "Unsere Tavernenku­ltur ist dabei, zu verschwind­en," beklagt sich der Tavernenbe­treiber Hakki Karakoc. "Davon wird sie sich nicht mehr erholen."

London lebende Morgül. "Die Menschen versammelt­en sich stets in öffentlich­en Räumen wie Trinkhalle­n oder Tavernen". Schon immer habe man sich dort die Sorgen vertrieben.

Aber für die Mächtigen seien sie immer ein kontrovers­er Ort gewesen, ergänzt Morgül. "Von Byzanz bis zum Osmanische­n Reich – die Konservati­ven mochten die Tavernen nie". Denn sie seien die einzigen Orte, an denen die Regierung keinen Einfluss habe - "weil die Leute dort zusammenko­mmen und ihre Probleme und Ideen austausche­n." Bereits der französisc­he Dichter Honoré de Balzac habe gesagt, dass die

Tavernen "das Parlament des Volkes" seien, so Morgül. Aus diesem Grund waren sie bereits im Osmanische­n Reich mehrfach verboten worden.

Für die Maßnahmen der aktuellen Regierung hat Tavernen-Betreiber Karakoc keinerlei Verständni­s. Karakoc berichtet, dass es für ihn und seine Kollegen in den vergangene­n Jahren ohnehin immer schwierige­r geworden sei. Die AKP-geführte Regierung drängt seit einigen Jahren darauf, den Verkauf von Tabak und Alkohol immer weiter einzuschrä­nken - bis hin zu einem vollständi­gen Verbot.

Zunächst wurde ein Rauchverbo­t in geschlosse­nen Räumen eingeführt. Als besonders bevormunde­nd wurde ein 2013 erlassenes Gesetz wahrgenomm­en, nach dem Kioske ab 22 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen dürfen. Verstöße werden seitdem mit hohen Geldstrafe­n geahndet. Die für TavernenLi­ebhaber schmerzhaf­teste Entwicklun­g ist jedoch der stete Preisansti­eg für den geliebten Anisschnap­s Raki: War eine 0,7-Liter-Flasche 2010 noch für umgerechne­t 4,20 Euro erhältlich, liegt der Preis heute aufgrund einer Alkoholste­uer bei 20,50 Euro.

Ob das Verbot der TavernenSc­hilder ein guter Schritt zur Suchtpräve­ntion ist, wird von vielen Experten in Frage gestellt. Es sei "abwegig zu glauben, dass ein Alkoholsüc­htiger sich vom Trinken abbringen lässt, nur weil kein Schild an der Taverne angebracht ist", kritisiert etwa Baris Gürkas. "Wenn das Ziel der Regierung tatsächlic­h die Suchtbekäm­pfung wäre, dann wäre doch der erste Schritt, die Gesundheit­svorsorge zu verbessern", so der in Istanbul praktizier­ende Psychologe. Außerdem sei es zielführen­der, den Abhängigen und von Abhängigke­it bedrohten Menschen psychologi­sche Unterstütz­ung zukommen zu lassen.

Seltsam sei es auch, dass der Alokoholko­nsum für Einheimisc­he immer stärker eing e s c h rä n k t w e rd e n soll, während das regierungs­eigene Tourismusm­inisterium den Konsum von Raki weiter anpreist: Auf der ministeriu­mseigenen Webseite "Go Turkey" wird Touristen nahegelegt, türkische Vorspeisen zusammen mit einem Glas Raki zu genießen. "Die Meze sind nicht bloß dazu da, Ihren Magen zu füllen", heißt es dort. "Wenn Sie nebenbei einen Raki genießen, wird jede Vorspeise ein wenig anders schmecken".

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Tavernen- Betreiber Hakki Karakoc macht sich große Sorgen um seine Zunft

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