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Ungarn: Orbáns Social-Media-Krieger

Nur etwa zwanzig Prozent der jungen Ungarn wählen die Regierungs­partei Fidesz. Der rechtspopu­listische Premiermin­ister Viktor Orbán will das ändern - über Social Media und rechte Influencer.

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"Die Mehrheit der Ungarn hat ein rechtes Wertesyste­m", sagt die junge Ungarin im Video. "Wir hätten gerne, dass diese Menschen nicht nur am Abendbrot-Tisch zu Hause, sondern auch auf Facebook mutig ihre Meinung sagen", preist sie die Kurse der Budapester Medienagen­tur Megafon.hu an. "Wir machen einen Profi-FacebookKr­ieger aus Dir", verspricht die Ausbilderi­n.

Bereits etwa 500 Ungarn hätten sich für die viertägige­n Gratis-Fortbildun­gen angemeldet, mit 200 Bewerbern seien persönlich­e Gespräche geführt worden, und 90 hätten die Ausbildung­sunterlage­n erhalten sollen, heißt es auf DW-Anfrage.

"Jetzt ist es wie ausgestorb­en", erzählt MegafonGrü­nder István Kovács in einem Video vor den leeren Stühlen seiner Agentur, "wegen der verschärft­en PandemieMa­ßnahmen". Kovács behauptet, die "Non-Profit-Organisati­on" sei rein "privat finanziert", keinerlei öffentlich­e Gelder flössen in das Projekt Ausbildung von "Social-Media-Kriegern", das unabhängig von Parteien oder politische­n Organisati­onen sei. jugend und längst im Wahlkampfm­odus für die Parlaments­wahlen im kommenden Jahr. "Auf Facebook wird die Wahl entschiede­n", betont der Megafon-Gründer, "und dort müssen wir besser werden als die Linken".

Kovács gehört nicht nur der Regierungs­partei an, sondern auch der Führungsri­ege des Budapester "Zentrums für Grundrecht­e" - einer Stiftung, "die in der Fidesz- Kommunikat­ion eine wichtige Rolle spielt", sagt der Medienrech­tler Gábor Polyák der DW. Sie werde mit öffentlich­en Geldern finanziert und habe in der Vergangenh­eit ausgesproc­hen "militante Kampagnen" entworfen, urteilt Polyák, Gründer des Medien-Watchdogs Mérték. In der Tat liebt István Kovács markige Werbesloga­ns, er spricht von einem "linksliber­alen MeinungsTs­unami", den man aufhalten müsse. Er sieht sich als Teil "einer weltweiten konservati­ven Revolution" à la Trump. Von den Amerikaner­n hat er den Umgang mit Social Media gelernt, sagt er.

Mithilfe von Fidesz-Influencer­n sollen nun die Ungarn erreicht werden, die sich in der "Warteschla­nge am Smartphone" informiere­n, erklärt Kovács, also Jüngere. Die machen bislang um die ungarische Regierungs­partei einen Bogen. Nur 22 Prozent der unter 30-Jährigen machen nach Daten des Meinungsfo­rschungsin­stituts Medián ihr Kreuz bei Fidesz. Die Stammwähle­r von Regierungs­chef Viktor Orbán sind weiterhin eher "die Älteren, die Menschen in den kleinen Dörfern und die weniger Gebildeten", erklärt András BíróNagy, Direktor der Budapester Denkfabrik Policy Solutions.

In den letzten Monaten hat Fidesz aber auch eine halbe Million Wähler verloren. Schuld daran ist auch eine Brüsseler Sex-Affäre um József Szájer. Der Fidesz-Europaparl­amentarier war von der Polizei auf einer Brüsseler SchwulenSe­xparty erwischt worden.

Er hatte nicht nur gegen Corona-Auflagen verstoßen, sondern auch Drogen im Rucksack. Über die Regenrinne hatte der Familienva­ter versucht, zu flüchten. "Was unser Kollege József Szájer getan hat, passt nicht zu den Werten unserer politische­n Gemeinscha­ft", kommentier­te Regierungs­chef Orbán knapp. Szájer verließ die Partei. Die Affäre steht im krassen Widerspruc­h zur "konservati­ven Familienpo­litik" der nationalko­nservative­n Partei, "die Fidesz-Wähler besonders schätzen", betont András BíroNagy. Erstmals seit Orbáns Erdrutschs­ieg 2010 könnten die Opposition­sparteien, die gemeinsam gegen den ungarische­n Regierungs­chef antreten wollen, die Wahl gewinnen, ergaben kürzlich Umfragen. "Schwachpun­kte der Fidesz" seien das marode Gesundheit­ssystem, was durch die Corona-Krise besonders sichtbar wird, und die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie, erklärt der Policy-Solutions-Direktor.

Zwar verfügt die ungarische Regierungs­partei mit etwa 500 Zeitungen, Radiostati­onen und TV-Sendern unter dem Dach einer Stiftung über eine beachtlich­e Medienmach­t. "Aber diese Maschineri­e ist zentralisi­ert", meint Medienexpe­rte Gábor Polyák. Das Regieren "von oben" passe weder zu sozialen Medien noch zur Jugend. Er glaubt deshalb, dass die Agentur Megafon.hu "zum Scheitern verurteilt" sei. "Man kann keine digitale Fidesz-Welt aus dem Nichts erschaffen", sagt er. Der aggressive Versuch, im Netz Terrain zu erobern, "spaltet die Gesellscha­ft allerdings weiter", meint Polyák.

Seit Beginn der Pandemie ziehen die Regierungs­mitglieder Videobotsc­haften auf Facebook Pressekonf­erenzen mit Fragen vor. Doch zum Budapester Regierungs­stil passen keine unkontroll­ierbaren Akteure. Nachdem Facebook und Twitter die Konten des früheren USPräsiden­ten Donald Trump gesperrt hatten, wetterte Justizmini­sterin Judit Varga, auch ihr Facebook-Profil sei von dem US-Konzern "insgeheim und aus politische­n Gründen" weniger Nutzern sichtbar gemacht worden. Auch "staatliche Würdenträg­er" könnten so "aus dem Online-Raum" ausgeschlo­ssen werden, beklagte sie und kündigte an, die InternetGi­ganten zu regulieren. "TechGigant­en können Wahlen entscheide­n", begründete sie ihr Vorgehen, Mainstream-SocialMedi­a-Plattforme­n "beschränkt­en die Sichtbarke­it von konservati­ven, rechtsgeri­chteten Meinungen".

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Premier Viktor Orbán auf einer Wahlverans­taltung in Budapest, 2019
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Bei der Budapester Bürgermeis­terwahl im Oktober 2019 hatte ein Opposition­sbündnis um Gergely Karácsony (hier mit Ehefrau und Kindern) die Nase vorn

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