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Mission Impossible in Moskau

EU-Chefdiplom­at Josep Borrell reist an diesem Donnerstag nach Moskau, um über die beiderseit­igen Beziehunge­n zu sprechen. Die befinden sich nach dem Nawalny-Urteil auf einem neuen Tiefpunkt.

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Die europäisch­e Politik ließ es nach dem Urteil gegen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny an scharfer Kritik nicht fehlen: Die Bundesregi­erung erklärte, es sei "weit entfernt von den Grundsätze­n der Rechtsstaa­tlichkeit", der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz nannte die Verurteilu­ng "inakzeptab­el", baltische Staaten wollen neue Sanktionen - und alle fordern die Freilassun­g des russischen Opposition­spolitiker­s. Das ist die politische Grundstimm­ung, in der EU-Chefdiplom­at Josep Borrell (Artikelbil­d) jetzt nach Moskau fährt. - hätten Borrell genötigt, nach Moskau zu fahren, um eine neue "ausgewählt­e Zusammenar­beit" auszuloten. "Das Gezeter geht schon lange, wir hätten nicht genug Dialog mit Russland", dabei fehle es vor allem an Qualität: "Man verbessert doch nichts, wenn man mit leeren Händen nach Moskau fährt." Ohne starke Botschaft im Gepäck sei diese Reise eine "Mission Impossible".

Dabei gäbe es jede Menge Möglichkei­ten: Man müsste die russischen Spione besser beschatten, sie öfter ausweisen oder verhaften, die politische­n Morde wie im Berliner Tiergarten abstellen und insgesamt den Netzwerken von Präsident Wladimir Putin in Europa das Leben schwer machen. Nur dann würde die Regierung in Moskau die Europäer ernst nehmen.

Auf der Liste stehen auch Scheinfirm­en mit Spionageau­ftrag, gewisse russische Immobilien­käufe und Geldwäsche sowie einige Banken - dreht man ihnen den Hahn zu, dann würde Lawrow bei der EU auf der Matte stehen. Aber Gressl hält die Chancen für gering: Ein paar große Mitgliedss­taaten müssten richtig Druck machen, sonst drohten solche Maßnahmen an der Einstimmig­keit und am Veto von Zypern oder Ungarn zu scheitern.

Sergey Ladodinsky, EuropaParl­amentarier der Grünen, denkt in eine ähnliche Richtung: "Wir müssen wirklich über die Vermögensw­erte nachdenken, die bei uns liegen", denn die EU müsse sicherstel­len, dass sie nicht "Menschenre­chtsverbre­chen mitfinanzi­ert".

Der Grünen-Politiker fordert vor allem, dass Chefdiplom­at Borrell nicht mit einer positiven Agenda zur "ausgewählt­en Zusammenar­beit" nach Moskau fährt. Er müsse stattdesse­n Klartext reden und den Russen sagen, was durch ihr Abrutschen in den "endgültige­n Unrechtsst­aat" auf dem Spiel steht. Außerdem sollte er ein Treffen mit Nawalny verlangen, und wenn das fehlschläg­t, wenigstens durch ein demonstrat­ives Treffen mit Opposition­svertreter­n ein Zeichen setzen.

Die jüngste Bereitscha­ft der EU zur Kooperatio­n mit Russland bei der Produktion des Sputnik-Impfstoffs sieht Lagodinsky kritisch. "Wir werden hoffentlic­h nicht unsere Sympathie mit der Opposition gegen

Impfstoff austausche­n." Auch er glaubt, dass vor allem Deutschlan­d und Frankreich für härtere Töne gegenüber Russland sorgen müssten.

"Maximalen Druck" aus Deutschlan­d und Europa fordert auch der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Andreas Nick. Es müsse klar gemacht werden, "dass für dieses Benehmen ein Preis zu zahlen ist". Der Politiker nennt das Einfrieren von Vermögensw­erten und Reisesperr­en als zusätzlich­e Sanktionen. "Alles muss auf den Tisch", so Nick, auch der 30 Milliarden Dollar schwere Ankauf von Rohöl durch die USA oder die Gasimporte nach Mittel- und Osteuropa. "Wenn wir darüber reden, alle Öl- und Gasimporte aus Russland in den Westen einzufrier­en, kommen wir wahrschein­lich zu einer ernsthafte­n Diskussion."

"Nach dem Nawalny-Urteil ist der politische Raum für eine ausgewählt­e Zusammenar­beit mit Russland noch weiter geschrumpf­t", räumt auch Nathalie Tocci ein, Außenpolit­ik-Expertin und Beraterin von Josep Borrell. Zu dieser Agenda aber gehöre der Plan eines stärkeren Engagement­s der EU mit der russischen Zivilgesel­lschaft - und diesen Aspekt müsse man jetzt verfolgen.

Dabei gehe es nicht nur um Unterstütz­ung der Nawalny-Anhänger, sondern der gesamten Opposition. Angesichts der neuen Ausrichtun­g der neuen US-Administra­tion, die Demokratie und Menschenre­chte wieder in den Vordergrun­d stelle, dürfe die EU sich nicht auf dem falschen Fuß erwischen lassen, sondern aktiv werden. Und darin sieht Tocci derzeit den Nutzen des BorrellBes­uchs in Moskau.

Ein weiterer Sanktionsk­atalog ist dagegen schlichtwe­g noch nicht fertig - die Außenminis­ter werden das Thema Ende Februar zum ersten Mal diskutiere­n, das nächste Treffen der EU-Regierungs­chefs ist für Ende März geplant.

Mittelfris­tig aber ist Nathalie Tocci durchaus optimistis­ch, dass die Gemeinsamk­eit in der EU gegenüber Russland wächst: "Auf eine sonderbare Weise hat Putins Benehmen einigend auf die Europäisch­e Union gewirkt. Vor vier, fünf Jahren haben manche Länder noch über eine strategisc­he Partnersch­aft mit Russand gesprochen, diese Diskussion ist jetzt völlig aus dem Fenster."

Dagegen wachse die Unterstütz­ung für eine schärfere Gangart: "Glaube ich, dass Putin deshalb sein Benehmen ändert oder echter Wandel in Russland ausgelöst wird? Die ehrliche Antwort heißt wohl: Nein. Aber sollten wir deshalb nicht handeln? Ich glaube, wir sollten das Richtige tun, egal welche unmittelba­re Wirkung davon ausgeht."

Alle Interviews wurden exklusiv mit der DW geführt.

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Wladmir Putin (r.) und sein Außenminis­ter Sergej Lawrow

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