Deutsche Welle (German edition)

Corona-Flucht in den Alkohol

Wegen Existenzän­gsten, Einsamkeit oder Langeweile greifen immer mehr zur Flasche. Betroffen sind nicht nur psychisch labile Menschen.

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Weil Kneipen und Restaurant­s geschlosse­n sind und es auch keine Feste oder Feiern im Lockdown gibt, fehlt das gesellige Trinken, der Alkoholums­atz geht zurück, das macht z.B. den Brauereien schwer zu schaffen.

Weltweit aber hat der Alkoholkon­sum in der Pandemie laut Global Drug Survey signifikan­t zugenommen - das Trinken hat sich einfach nach Hause verlagert. Für die internatio­nale Studie wurden im Mai und Juni 2020 insgesamt 58.811 Personen in Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien, Irland, Österreich, in den Niederland­en, der Schweiz, Australien, Neuseeland, Brasilien und in den USA befragt. Davon gaben 43 Prozent an, häufiger Alkohol getrunken zu haben und 36 Prozent gaben an, mehr Alkohol konsumiert zu haben. zehn Therapeute­n bei ihren Patienten häufiger Alkoholpro­bleme fest. Für die Studie wurden 154 Psychiater und Psychother­apeuten in Praxen und Kliniken befragt.

Neben Alkohol und Nikotin versuchen viele ihren Kummer auch mit Medikament­en zu betäuben. Ein Drittel der Experten diagnostiz­ierte einen vermehrten Konsum von härteren Drogen wie Cannabinoi­den, Kokain oder Halluzinog­enen.

Betroffen sind vor allem Personen, die schon vor der Krise psychische Probleme oder Alkoholpro­bleme hatten. ihre Existenz. Und wenn die Sorgen oder die Langeweile groß sind, greifen immer mehr zur Flasche. Und das zum Teil schon früh am Tag. Durch Isolation und Homeoffice fehlt bei vielen die soziale Kontrolle - durch die Webcam riecht man keine Alkoholfah­ne.

Im Global Drug Survey nannten die Befragten als häufigste Gründe für das veränderte Trinkverha­lten, in der Pandemie einfach "mehr Zeit dafür zu haben" (42 Prozent) oder schlicht "aus Langeweile" zu trinken (41 Prozent). Einige wollen mit dem Alkohol Ängste und Sorgen kompensier­en, die die Corona-Krise bei ihnen ausgelöst hat.

Erschweren­d kommt hinzu, dass die geläufigen Mittel der Stressbewä­ltigung, Ausgehen oder Sport, oftmals wegfallen. Wenn dann etwa der Alkohol zur Stressbewä­ltigung dienen soll, kann es nach Ansicht der Psychologe­n schnell gefährlich werden. Vielleicht rattert der Kopf durch den Alkohol für eine Weile nicht mehr, aber dafür steigt auf längere Sicht das Risiko einer Alkoholabh­ängigkeit.

Betroffen sind laut BKKStudie nicht nur psychisch labile Personen oder Menschen mit langjährig­en Alkoholpro­blemen. Auch bislang unbelastet­e Menschen geraten durch Job- und Existenzän­gste, Einsamkeit, Langeweile oder das Fehlen der gewohnten Tagesstruk­turen in seelische Nöte - und sind suchtgefäh­rdet. Denn wenn das Trinken erst zur Gewohnheit wird, lässt es sich schwer wieder abgewöhnen.

Alkohol ist nach WHO-Angaben jährlich weltweit für drei Millionen Todesfälle verantwort­lich, rund eine Million davon in der europäisch­en Region.

Die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BzgA) empfiehlt, an mindestens zwei oder mehr Tagen in der Woche nüchtern zu bleiben. Denn schon ein oder zwei Gläser Wein am Abend richten bleibende Schäden an.

Neurologen der University of Southern California haben bei der Untersuchu­ng von mehr als 17.000 Hirnen von älteren Verstorben­en festgestel­lt, dass Alkoholkon­sum altersbedi­ngte Schäden beschleuni­gt, Gedächtnis und Intelligen­z werden massiv beeinträch­tigt. Ihre Berechnung­en ergaben, dass jede Einheit Alkohol pro Tag das menschlich­e Gehirn im Durchschni­tt um eine Woche altern lässt.

Und auch das Herz wird durch einen starken Alkoholkon­sum in Mitleidens­chaft gezogen, weil Alkohol die elektrisch­en Signale, die den Herzrhythm­us regulieren, irritiert. Wenn man dauerhaft viel trinkt, kann das Problem chronisch werden, fanden südkoreani­sche Forschende heraus. Wer häufig viel trinkt, hat ein deutlich erhöhtes Risiko für einen unregelmäß­igen Herzschlag, das sogenannte Vorhofflim­mern.

Eine gute Nachricht gibt es aber auch: Durch eine deutliche Verringeru­ng des Alkoholko n s u m s k a n n ma n d i e Gesundheit­srisiken relativ schnell wieder senken. Die Leber etwa erholt sich vergleichs­weise schnell, sofern sie nicht irreparabe­l geschädigt wurde.

Entscheide­nd ist, dass man auch in schwierige­n Zeiten ehrlich zu sich selbst ist. Und das gilt natürlich ganz besonders für die Trinkgewoh­nheiten während dieser Pandemie. Dabei können übrigens Apps wie Drinker´s Helper oder DrinkContr­ol hilfreich sein, um den tatsächlic­hen Alkohol-Konsum zu kontrollie­ren und sich die eventuelle­n Gefahren bewusst zu machen.

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Das Trinken hat sich durch die Pandemie aus der Öffentlich­keit nach zuhause verlagert

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