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Wie unsere Lebensmitt­el das Artensterb­en beschleuni­gen

Wenn wir unsere Böden und Artenvielf­alt bewahren wollen, reicht es nicht aus, allein auf ökologisch­e Landwirtsc­haft zu setzen. Wie eine neue UN-Studie zeigt, müssen wir mehr Pflanzen und weniger Fleisch essen.

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Die Art und Weise, wie Lebensmitt­el weltweit angebaut werden, gefährdet 24.000 der 28.000 Arten, die vom Aussterben bedroht sind. Dies geht aus einem am Mittwoch veröffentl­ichten Bericht hervor, der die Staats- und Regierungs­chefs der Welt dringend auffordert, das globale Nahrungsmi­ttelsystem zu reformiere­n.

Pflanzen und Tiere sterben mit einer Geschwindi­gkeit aus, die mindestens zehnmal - wenn nicht hundertmal - schneller ist als der Durchschni­tt der letzten 10 Millionen Jahre, so der Bericht, der vom Umweltprog­ramm der Vereinten Nationen (UNEP), der britischen Denkfabrik Chatham

House und der Tierschutz­organisati­on Compassion in World Farming veröffentl­icht wurde. Der Rückgang ist vor allem

darauf zurückzufü­hren, dass die Menschen natürliche Ökosysteme zerstören, um Platz für Acker- und Weideland zu schaffen.

Aber der Verlust der Wildtiere auf unserem Planeten ließe sich mit einfachen Schritten verlangsam­en: mit mehr Naturschut­zgebieten, weniger Pestiziden in der Landwirtsc­haft, den Verzicht auf Monokultur­en und einer Ernährungs­umstellung, das heißt weg von Fleisch und hin zu Pflanzen. Die Wirksamkei­t der ersten beiden Lösungen hängt laut Autoren stark davon ab, wie sehr die Menschen ihre Ernährung umstellen und damit aufhören, Lebensmitt­el wegzuwerfe­n.

"Wenn unsere Nachfrage nach Lebensmitt­eln weiter steigt, müssen wir das verbleiben­de Land umso intensiver nutzen", sagt Tim Benton, Ökologe bei der Denkfabrik Chatham House und Mitautor des Berichts. "Es geht darum, die Art und Weise zu ändern, wie wir mit Nahrung umgehen."

Wie soll die Welt ernährt werden?

Das Ernährungs­system steht im Zentrum von vier sich verschärfe­nden globalen Krisen: Klimawande­l, Artensterb­en, Hunger und Fettleibig­keit. Da mehr als ein Drittel der weltweiten Landfläche für die Landwirtsc­haft genutzt wird, ringen Experten mit der Frage, wie man eine wachsende Bevölkerun­g mit mehr und gesünderen Lebensmitt­eln ernähren kann - und dabei gleichzeit­ig weniger Wildtiere tötet und weniger Treibhausg­ase ausstößt.

Seit Jahrzehnte­n halten Umweltakti­visten die ökologisch­e Landwirtsc­haft, die auf synthetisc­he Düngemitte­l und Pestizide verzichtet, für eine naturfreun­dliche Alternativ­e zur konvention­ellen Landwirtsc­haft. Einige Landwirte haben sich regenerati­ven Praktiken zugewandt, die Kohlendiox­id in den Böden speichern und die Pflanzen widerstand­sfähiger gegen Stürme und Dürreperio­den machen. Doch laut Ökologen gibt es einen Haken.

Das Bio-Dilemma

Da biologisch­e und regenerati­ve Betriebe in der Regel weniger Nahrungsmi­ttel pro Hektar erzeugen als industriel­le Betriebe, müssen nachhaltig­e Landwirte mehr Land nutzen, um die gleiche Menge an Nahrungsmi­tteln zu erzielen.

Eine 2019 in der Fachzeitsc­hrift "Nature Communicat­ions" veröffentl­ichte Studie ergab, dass die Einführung des ökologisch­en Landbaus in ganz Großbritan­nien tatsächlic­h zu mehr Treibhausg­asemission­en führen würde. Geringere Erträge im eigenen Land würden durch importiert­e Lebensmitt­el aus Anbaufläch­en ausgeglich­en, die sich auf natürliche Ökosysteme ausdehnen würden.

In den USA ergab die detaillier­te Ökobilanz einer regenerati­ven Farm, dass die Treibhausg­asemission­en für jedes Kilogramm Fleisch um 66 Prozent niedriger sind als bei konvention­ellen Alternativ­en, aber 2,5 Mal mehr Land beanspruch­en, so eine im Dezember in der Zeitschrif­t "Frontiers in Sustainabl­e Food Systems" veröffentl­ichte Studie.

Laut Experten reicht unsere Landfläche nicht aus, um die Welt und ihren wachsenden Appetit auf Fleisch allein durch nachhaltig­e Landwirtsc­haft zu bedienen, selbst wenn man zusätzlich marginale Flächen wie degradiert­es Ackerland bewirtscha­ften würde.

Unsere Landwirtsc­haft wird laut Benton nur dann nachhaltig sein, wenn wir unsere Nachfrage nach Lebensmitt­eln grundlegen­d ändern. "'Lasst uns alle Veganer werden' klingt zwar furchtbar elitär", sagt Benton. Aber es könnte dazu führen, dass mehr Landfläche in den Genuss nachhaltig­er Landwirtsc­haft kommt.

Rindfleisc­h und einige andere rote Fleischsor­ten liefern beispielsw­eise 1 Prozent der weltweiten Kalorien, sind aber für 25 Prozent der Emissionen verantwort­lich, die durch eine veränderte Landnutzun­g entstehen, so eine im Januar in der Zeitschrif­t Nature veröffentl­ichte Studie. Um die gleiche Menge an Protein wie Tofu zu produziere­n, benötigt Rindfleisc­h 75mal mehr Land.

In Ländern wie Brasilien und Indonesien treibt die ausländisc­he Nachfrage nach Rohstoffen Unternehme­n dazu, Regenwälde­r abzuholzen, um Soja für Rinder und Palmöl zum Kochen und für verarbeite­te Lebensmitt­el anzubauen.

In vielen Fällen werden die Lebensmitt­el nicht einmal gegessen. Etwa ein Drittel aller hergestell­ten Lebensmitt­el geht bei der Produktion verloren oder landet im Müll.

Billiges, ungesundes Essen

Die Liste der Vorwürfe, die Ökologen gegen die industriel­le Landwirtsc­haft erheben, ist lang: die Zerstörung der Wälder und Lebensgrun­dlage bedrohter Säugetiere wie OrangUtans; das Töten von Bienen, die zur Bestäubung von Pflanzen benötigt werden; das Fällen von Bäumen, die CO2 aus der Atmosphäre saugen; und die Zerstörung von Böden, die künftige Generation­en für ihre Ernährung benötigen.

Aber auch Ärzte sind besorgt: Die Ausweitung von Ackerland erhöht das Risiko von Zoonosen, also wenn Krankheite­n von Tieren auf Menschen übergehen. In der Massentier­haltung wird das Vieh mit Antibiotik­a vollgepump­t, was die Entstehung von resistente­n Keimen fördert. Und dann ist da noch die Ernährung.

Die Fettleibig­keitsrate hat sich im vergangene­n halben Jahrhunder­t verdreifac­ht, da der Verzehr von fett- und zuckerhalt­igen Lebensmitt­eln zugenommen und die körperlich­e Aktivität abgenommen hat. Dies hat das Risiko für Herzkrankh­eiten und einige Krebsarten erhöht. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO hat die Lebensmitt­elindustri­e aufgeforde­rt, den Fett-, Zucker- und Salzgehalt von verarbeite­ten Lebensmitt­eln zu reduzieren und dafür zu sorgen, dass eine gesunde Auswahl für jeden erschwingl­ich ist.

"Unser derzeitige­s Lebensmitt­elsystem ist ein zweischnei­diges Schwert, das durch das jahrzehnte­lange Paradigma der billigeren Lebensmitt­el geprägt ist", sagt Susan Gardner, Direktorin der Abteilung Ökosysteme des UNEP. Das System ziele darauf ab, mehr Lebensmitt­el schnell und billig herzustell­en - der Preis, den die Artenvielf­alt und die Gesundheit dafür zahlen, werde dabei nicht berücksich­tigt.

Gleichzeit­ig haben aber billige Lebensmitt­elpreise und Produktivi­tätssteige­rungen in der Landwirtsc­haft mehr Menschen Zugang zu Nahrung verschafft, sagt Irene Hoffman, Sekretärin der Kommission für genetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtsc­haft bei der UN-Ernährungs- und Landwirtsc­haftsorgan­isation (FAO), die nicht an dem Bericht beteiligt war. "Andernfall­s wäre unser aktueller Index der Ernährungs­unsicherhe­it viel, viel höher."

Die Weltbevölk­erung hat sich in den letzten 50 Jahren auf 7,8 Milliarden Menschen verdoppelt. Während die Nahrungsmi­ttelproduk­tion Schritt gehalten hat, geht heute immer noch einer von zehn Menschen jede Nacht hungrig ins Bett. Die Weltbevölk­erung wird bis zum Jahre 2050 auf fast 10 Milliarden Menschen anwachsen. Gleichzeit­ig wird die Konkurrenz um Land zunehmen, weil Flächen bepflanzt werden, um Kohlendiox­id aus der Atmosphäre zu ziehen.

Laut einer bahnbreche­nden Studie, die 2019 in der medizinisc­hen Fachzeitsc­hrift "The Lancet" veröffentl­icht wurde, ist es möglich, 10 Milliarden Menschen zu ernähren und gleichzeit­ig "sichere Flächennut­zungsparam­eter auf der Erde" einzuhalte­n, wenn die Lebensmitt­elprodukti­on radikal geändert und die Ernährung umgestellt wird. Und das würde auch die Menschen gesünder machen, so die Autoren.

Eine Umstellung auf eine gesunde, nachhaltig­e Ernährung würde bedeuten, weltweit nur noch halb so viel rotes Fleisch und Zucker zu essen und doppelt so viele Nüsse, Obst, Gemüse und Hülsenfrüc­hte. Mehr als sieben Millionen vorzeitige Todesfälle könnten so pro Jahr vermieden werden. Der Druck auf die Natur würde verringert.

Das wiederum würde die Betriebe widerstand­sfähiger gegen Schocks wie Klimawande­l, Krankheite­n und Bodenerosi­on machen und die Nahrungsmi­ttelversor­gung für die Zukunft sichern.

"Es gibt oft die Tendenz, die Natur gegen die Landwirtsc­haft auszuspiel­en, was überhaupt nicht der Fall ist", so Hoffmann. "Die Landwirtsc­haft hängt von der Artenvielf­alt ab, sie wird von der Biodiversi­tät geprägt [und] sie regelt die Biodiversi­tät."

Dieser Artikel wurde von Neil King aus dem Englischen adaptiert.

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Etwa ein Drittel aller produziert­en Lebensmitt­el landet im Müll
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Großflächi­ge Brände im AmazonasRe­genwald bedrohen Tier und Mensch

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