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Karneval trotz(t) Corona
Karnevalsumzüge sind verboten. Doch die Kölner Narren lassen sich auch in der Corona-Pandemie etwas einfallen: Sie lassen Puppen statt Menschen tanzen.
Mit sieben bis acht Kilometern Länge und über 10.000 Teilnehmern ist der Kölner Rosenmontagszug der größte Karnevalsumzug in Deutschland. Bis zu einer Million Besucher aus dem In- und Ausland reisen jedes Jahr an, um das närrische Treiben aus nächster Nähe zu erleben. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Sämtliche Karnevalsumzüge wurden wegen der Corona-Pandemie verboten.
Die Kölner Karnevalisten wollten sich allerdings nicht so schnell geschlagen geben. "Karneval ist der höchste Feiertag der Stadt", sagt Zugleiter Holger Kirsch, "und die Kölner werden ihn feiern, wenn auch still und leise". In der großen Wagenhalle, wo normalerweise die fertigen Wagen zu bewundern sind, stehen jetzt 16 Miniaturausgaben. Die Idee: den Kölner Rosenmontagszug als großes Puppenspiel nachzubilden und durchzuführen, zusammen mit dem Kölner Hänneschen Theater, einer Traditionsbühne, die mit Stabpuppen arbeitet.
Persiflage ist im Karneval unverzichtbar
Auch in Miniatur bleibt der Umzug ein Zug der Superlative: 32 Meter lang ist allein die Zugstrecke, nach Angaben der Veranstalter wurde dafür die größte Puppenbühne der Welt in der Wagenhalle aufgebaut.
Der Zug selbst wird eine Länge von 70 Metern haben, dabei sind 155 Stabpuppen im Einsatz und begleiten die Wagen als Fuß- oder Tanzgruppen entlang der nachgebauten Altstadtkulisse. Am Rosenmontag können Zuschauer die vorab gefilmte Puppen-Parade dann im Fernsehen verfolgen.
"Das Typische für den rheinischen Karneval ist die Persiflage, der Obrigkeit wird der Spiegel vorgehalten. Das wollten wir uns am Rosenmontag nicht nehmen lassen", sagte Holger Kirsch bei der Präsentation der Wagen. Natürlich ist Corona das Hauptthema. Da umarmen sich zwei schleimig grüne Viren, der eine mit Skiern, der andere mit einem Eimer Sangria. Eine Anspielung auf alle, die sich in ihren Urlauben nicht an die Abstandsgebote gehalten und stattdessen "Superspreader"-Partys gefeiert haben.
Ein anderer Wagen zeigt einen Hamster, die Backen vollgestopft mit Klopapier. "Der Deutsche deckt sich in der Krise mit Klopapier ein, die Franzosen mit Wein und Kondomen", kommentiert Kirsch den Wagen mit einem Augenzwinkern.
Am Pranger: Großschlachter Tönnies
Weniger humorvoll fällt der Kommentar auf die Situation der Fleisch- und Feldarbeiter aus. In einigen Unternehmen, wie etwa beim Großschlachter Tönnies wurden Arbeiter, die in engen Unterkünften unter schlechten hygienischen Bedingungen hausen mussten, positiv auf das Virus getestet. Ihr Arbeitgeber, Firmenbesitzer Clemens Tönnies, gleicht deshalb einer dicken grinsenden Wurst, die nur den Profit im Auge hat. Auf dem Karnevalswagen stecken die Arbeitnehmer grau und abgemagert in einem Käfig.
Auch bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle der katholischen Kirche liegt einiges im Argen, weil sich der Kölner Kardinal Rainer Maria Wölki weigert, ein Gutachten dazu zu veröffentlichen. Da werden auf dem Persiflagewagen schwarze Schafe in einer großen Waschmaschine in Form einer Kirche gewaschen und als weiße Schafe an die Leine gehängt.
Die im wahrsten Sinne des Wortes "brennende" Flüchlingslage in Europa oder auch die Gewaltausbrüche rund um die Wahlen in den USA sind weitere Themen der Karikaturen. Eine blutige Axt etwa spaltet die amerikanische Freiheitsstatue. Auf dem Griff steht: Trump. Bei den Miniaturwagen handelt es sich um Modelle, die auch beim realen Rosenmontagszug zum Einsatz gekommen wären.
Da fehlt was beim Karneval
Für besonders bissige Karikaturen ist der Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tillyweltweit bekannt. Seine politischen Wagen ziehen nicht nur im Karneval der NRWLandeshauptstadt durch die Straßen, sondern unterstützen auch Aktionen zur Klimapolitik oder gegen Rechtspopulismus.
Doch in diesem Jahr hat Tilly seine spitze Feder ruhen lassen. "Dieses Jahr machen wir nichts", sagt er im Gespräch mit der DW. Es würde keinen Spaß machen, 20 Corona-Wagen zu bauen. Nach 37 Jahren sei es für ihn in Ordnung, we
niger Stress zu haben, und auf diese Weise etwas für das seelische und gesundheitliche Wohlbefinden zu tun.
Natürlich hätte er auch den Fall des Kremlkritikers Alexej Nawalny oder die Kanzlerkandidatur in Deutschland aufs Korn genommen, sagt er, aber Karneval sei für ihn mehr als nur Straßenumzüge: "Karneval ist Gemeinschaft. Das Bützen (Dialekt für "Küssen", Anm. der Redaktion), sich verkleiden, feiern, da muss man schon zusammen sein", meint Tilly, und genau das ginge im Moment nicht.
Allein zu Hause und trotzdem zusammen
Frank Pömpeler, Präsident des Festausschusses Aachener Karneval, sieht das etwas anders: "Alle sagen immer, es gäbe dieses Jahr keinen Karneval, aber natürlich gibt es ihn, nur anders sonst." Im ganzen Rheinland haben sich Karnevals- und Musikgruppen in Videos mit Liedern und Scherzen zu Wort gemeldet. Vieles davon findet man auf den Internetseiten der Vereine. In Aachen gibt es Karnevalssitzungen über die Plattform "Zoom" und seit dem 11.11.2020 ein Karnevalsradio, das bis Aschermittwoch nonstop Karnevalsmusik sendet.
Karneval als Flucht aus dem Corona-Alltag
Der MCV, der Mainzer Carneval-Verein hat eine eigene Mediathek eingerichtet, wo es statt Rosenmontagszug am 11. und am 14. Februar eine große Fastnachtsshow geben wird. Mit dem Wagenbau hatte man schon begonnen. Drei Motive wollte man zuletzt statt Karnevalsumzug in der Stadt aufbauen. Doch wegen des Verbots von Menschenansammlungen habe man darauf verzichtet, so ein Sprecher. Das Denkmal aus drei
Elementen wird nur im Videoclip zu sehen sein.
Sich verkleiden, in eine andere Rolle schlüpfen, den Alltag für einen Moment vergessen, auch das sei Sinn des Karnevals, sagt Frank Pömpeler aus Aachen. "Deshalb halte ich den Karneval gerade jetzt in der Pandemie für wichtig."