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Streit um Welfenschatz: Zwischenerfolg für Berlin
Das oberste US-Gericht sieht das Ringen um den mittelalterlichen Goldschatz als innerdeutsche Angelegenheit. Doch die NS-Raubkunst-Frage bleibt offen.
Seit Jahren verlangen die Nachfahren deutsch-jüdischer Kunsthändler den millionenschweren Kirchenschatz aus dem Braunschweiger Dom zurück. Zunächst hatte ein USGericht ihre Klage angenommen. Nun entschied das Oberste Gericht der USA an diesem Mittwoch, dass amerikanische Gerichte für den Rückgabestreit nicht zuständig sind.
Im Jahr 1935 hatten Vorfahren der Kläger 42 der wertvollen mittelalterlichen Goldschmiedearbeiten an den preußischen Staat verkauft. Es sei ein Geschäft "unter Druck" gewesen, argumentieren die Erben. Der Welfenschatz sei NSRaubkunst und müsse restituiert werden. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) spricht dagegen von einem "ordnungsgemäßen" Geschäft. Die Beratende Kommission, die sogenannte "Limbach-Kommission", hatte sich dieser Einschätzung angeschlossen. Der Welfenschatz war nach dem Verkauf im Berliner Schlossmuseum zu sehen, heute wird er im Kunstgewerbemuseum gezeigt, das zur SPK gehört.
Die Verhandlungen gehen wohl weiter
Die neun Richter des Supreme Court befanden nun einstimmig, dass es sich bei dem Streit um eine "innerdeutsche Angelegenheit" handele. Schließlich habe der deutsche Staat seine eigenen Staatsbürger enteignet. Gleichwohl werden die Verhandlungen über den Welfenschatz in den USA wohl weitergehen: Der Supreme Court wies die Erste Instanz an, zu entscheiden, inwieweit die jüdischen Kunsthändler damals überhaupt deutsche Staatsbürger waren, oder ob sie bereits so viele Bürgerrechte eingebüßt hatten, dass sie als Staatenlose betrachtet werden müssen.
SPK-Präsident Hermann Parzinger reagierte deshalb verhalten: "Es ist ein schöner Erfolg", sagte der der Süddeutschen Zeitung, "aber der Fall ist noch nicht endgültig entschieden." Der Welfenschatz, so die Position der Bundesregierung, sei rechtmäßig im Besitz der von ihr getragenen Preußenstiftung, sei national wertvolles Kulturgut und müsse in Berlin bleiben. Hermann Parzinger, hatte die Klage als "unbegründet" bezeichnet, als sie im März 2017 eingereicht wurde. Von einer "Schande für Deutschland" sprachen hingegen die Kläger-Anwälte Mel Urbach und Markus Stötzel gegenüber der DW. Die Fronten sind verhärtet. Ein Geschenk für Adolf Hitler
Der Welfenschatz umfasst 44 Meisterwerke mittelalterlicher Kirchenkunst. Die Welfen sind das älteste Fürstenhaus Europas, die Familie sammelte zahlreiche Schätze an. Ein Konsortium deutsch-jüdischer Kunsthändler hatte den Welfenschatz 1929 von der Familie der Welfen erworben. Nachdem sie einzelne Stücke in den Folgejahren weltweit auf den Markt gebracht hatten, verkauften sie 1935 den Rest der Sammlung an den preußischen Staat - 42 Goldschmiedearbeiten, die heute im Berliner Kunstgewerbemuseum ausgestellt werden.
Samy Rosenberg, einer der damaligen Kunsthändler, sei mit dem Leben bedroht worden, argumentieren die Erben. Hätte er den Welfenschatz nicht zu den Konditionen der Nazis verkauft, hätten er und seine Familie es niemals aus Deutschland herausgeschafft. Diese Einschätzung konnten sie vor der US-Richterin Colleen Kollar-Kotelly offenbar ausreichend belegen. Sie befand am 31. März 2017: "Die Inbesitznahme des Welfenschatzes (…) weist genügend Verbindung zum Völkermord auf, insofern als dass der hier angenommene erzwungene Verkauf als Verstoß gegen das Völkerrecht gewertet werden kann." "Ein fairer Deal" im Jahr 1935?
Hinter dem Rechtsstreit steht die Grundsatzfrage: Muss bei möglicher NS-Raubkunst jeder Einzelfall im Detail untersucht werden? Oder genügt das Wissen, dass jüdische Kunsthändler seit Hitlers
Machtübernahme 1933 schrittweise entrechtet wurden und damit gar nicht mehr in der Lage waren, auf Augenhöhe auf dem Kunstmarkt zu handeln?
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz argumentiert mit dem Einzelfall. 1935 sei ein angemessener Preis gezahlt worden. Die Weltwirtschaftskrise habe zu niedrigen Preisen auf dem Kunstmarkt geführt. Geraubt worden sei der Schatz keineswegs. Die Position der Kläger-Anwälte lautet: Im Jahr 1935 kann es keinen "fairen Deal" für jüdische Kunsthändler gegeben haben. Nazi-Kriegsverbrecher als zivilisierte Geschäftsmänner zu bezeichnen, sei beschämend, so die Anwälte Urbach und Stötzel. Kein Gesetz für Raubkunstfälle in Deutschland
Bereits 2008 hatten die Anwälte der Erben die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erstmals aufgefordert, den Welfenschatz zurückzugeben.
2015 empfahl die sogenannte L i m b a c h- K o m m i s s i o n aus unabhängigen Experten, den Schatz in Berlin zu lassen. Der 1935 gezahlte Preis von 4,25
Millionen Reichsmark habe dem damaligen Marktwert entsprochen. Daraufhin hatten die Anwälte Klage vor dem Gericht in Washington D.C. eingereicht. Da es in Deutschland keine Rechtsgrundlage für Restitutionsfälle gebe, bleibe ihnen nichts anderes übrig, hatten sie erklärt. Anders als in Österreich oder Holland gibt es in Deutschland kein Restitutionsgesetz, nach dem Fälle möglicher NaziRaubkunst entschieden werden könnten. Die Limbach-Kommission kann bei Streitigkeiten über die Rückgabe von Kulturgütern angerufen werden, die während des nationalsozialistischen Herrschaft ihren Eigentümern, insbesondere jüdischen Opfern des
NS-Terrors, verfolgungsbedingt entzogen wurden. Die LimbachKommission kann lediglich eine Empfehlung aussprechen, rechtlich bindend ist dies nicht.