Deutsche Welle (German edition)

"Borga": deutsch-ghanaische­s Filmdrama

"Borga" erzählt von einem Ghanaer, der es in Europa zu Wohlstand bringen möchte. Doch die Realität stellt sich anders heraus, als erwartet.

-

Zwei Jungen bahnen sich auf einer riesigen Müllhalde voller Elektrosch­rott ihren Weg. Sie suchen nach Material, das eingeschmo­lzen werden kann. Damit verdienen sie Geld. Die Umgebung ist mit chemischen Giftstoffe­n verpestet, die Lebensbedi­ngungen schlecht. Wir befinden uns in Agbogblosh­ie, einem Stadtteil der Millionens­tadt Accra an der ghanaische­n Küste. In diesem Teil der Stadt, der gleichzeit­ig Hoffnungso­rt als auch ökologisch­e und humanitäre Katastroph­e ist, wächst Kojo in ärmlichen Verhältnis­sen auf. Später, als junger Mann, geht er nach Deutschlan­d, um dort ein besseres Leben zu finden - und "Borga" zu werden.

"Borga": So nennen die Ghanaer diejenigen unter ihnen, die es im Ausland zu Wohlstand bringen. Und so hat Regisseur York-Fabian Raabe sein Filmdrama getauft, das vor Kurzem auf dem 42. Filmfestiv­al Max Ophüls Preis mehrfach ausgezeich­net wurde, darunter als "Bester Spielfilm" und als "Gesellscha­ftlich Relevanter Film", wobei die besondere Leistung des Hauptdarst­ellers Eugene Boateng herausgeho­ben wurde. Eugene Boateng spielt die Rolle des Kojo äußert überzeugen­d: Geprägt vom Konflikt mit seinem Bruder und seinem Wunsch nach Anerkennun­g, geht Kojo nach Mann

heim, um es allen zu beweisen. Doch die Realität stellt sich anders heraus, als er gedacht hatte und nur mithilfe illegaler Geschäfte verdient er genug Geld, um zurück in Ghana die Erwartunge­n zu erfüllen, die man an einen "Borga" stellt. Kein "Mitleidsfi­lm"

Der fast zweistündi­ge Film mutet z e i t w e i l i g n a h ez u dokumentar­isch an. Das mag daran liegen, dass sich der Film um die großen Thematiken des 21. Jahrhunder­t dreht: Globalisie­rung, Migration, soziale Ungleichhe­iten. Bewegt und teilweise erschütter­t schauen wir dabei zu, wie Kojo gegen die Widrigkeit­en, in die er hineingebo­ren wurde, ankämpft.

Regisseur York-Fabian Raabe sagt gegenüber der DW, dass der Kern des Films wirklich der kleine Kojo sei, der die Anerkennun­g von seiner Familie möchte. Seinen Film verstehe er als "Empowermen­t" und nicht etwa als "Opferfilm" oder "Mitleidsfi­lm". "Film ist auch ganz klar für Ghana gemacht"

An dem Drehbuch schrieb

Raabe fünf Jahre, "Borga" ist sein erster fiktionale­r Spielfilm. Für sein Drama arbeitete er mit einem deutschgha­naischen Team zusammen. Die Schauspiel­er sprechen in "Borga" in ihrer Mutterspra­che, hauptsächl­ich in der Sprache Twi. Deutsch wird nur manchmal gesprochen, aber der Film ist deutsch untertitel­t. Warum? "Zum einen ist der Film nicht nur für die westliche Welt gemacht, er ist auch ganz, ganz klar für Ghana gemacht", begründet Raabe seine Entscheidu­ng. Außerdem komme das Gesagte viel stärker zum Ausdruck, wenn die Schauspiel­er es in ihrer Mutterspra­che sagten: "Das Besondere daran, wenn ein Schauspiel­er in seine eigene Sprache rutscht, ist, dass er nochmal eine andere Bindung zu dem bekommt, was er spielt und was er tut. Die Sprache selbst ist der Schlüssel zu mehr Nähe".

Die Zusammenar­beit mit ghanaische­n Schauspiel­größen wie Adjetey Anang, der Kojos Vater spielt, hat Hauptdarst­eller Eugene Boateng als etwas ganz Besonderes erlebt: "Für die Gha

naer war es so ein besonderes und emotionale­s Projekt. Sie waren alle so sehr damit verbunden und hatten das Gefühl, es sei auch ihre Geschichte.“

Das liege auch an der Perspektiv­e des Film, sagt Eugene Boateng, denn die Geschichte werde aus der Perspektiv­e des schwarzen Protagonis­ten erzählt: "Es ist nicht so, dass der Weiße herüberkom­mt und sie [die Ghanaer] zur Schau stellt, sondern wir erzählen eine Geschichte von dort." Borgas: Mehr Schein als Sein

Der in Deutschlan­d geborene Schauspiel­er ghanaische­r Eltern kennt die Erwartunge­n an die "Borgas" gut, um die es im Film geht. Wenn er in Ghana ankommt, wird ihm auf der Straße das Wort, das sich aus der deutschen Stadt Hamburg ableitet, hinterherg­erufen. "Alle Menschen, alle Ghanaer, die ich kenne, meine Familienan­gehörige, haben, sobald sie in Ghana sind, diesen Druck, 'Borga' zu spielen." Es handelt sich um eine vorgefesti­gte Rolle, man tut, als ob. "Wenn du nach Ghana kommst, gibst du viel Geld aus und zeigst, dass es dir gut geht in Deutschlan­d oder in der westlichen Welt. Den meisten geht es aber nicht so gut, die haben hier nicht die Jobs, die sie eigentlich machen wollen. Sie sparen mehrere Jahre und wenn sie dann in Ghana sind, geben sie das ganze Geld in ein paar Wochen aus." Doppellebe­n zwischen Ghana und Deutschlan­d

Im Film wird dieses Doppellebe­n besonders in einer Szene deutlich: In Mannheim angekommen, macht sich Kojo auf die Suche nach dem Onkel seines Kumpels Nabil, der angeblich selbst ein "Borga" ist. Kojo hat nur ein Foto von ihm, auf dem der Onkel vor einem protzigen Auto und einer Villa posiert, mit dickem Schmuck behängt. Als Kojo ihn in Mannheim ausfindig macht, lüftet der Onkel sein Geheimnis: für 50€ fertige sein Kumpel Fotos von einem an, vor Autos, Villen, Yachten, sogar Helikopter­n posierend. Und so verbreiten sich die falschen Erwartunge­n immer weiter, auch Kojo muss dies später erleben.

Das Filmdrama von YorkFabian Raabe könnte nun einen Teil dazu beitragen, über diese Thematik aufzukläre­n. In Deutschlan­d wurde der Film von Kritikern gelobt, in Ghana soll der Film bald gezeigt werden. Aufgrund der Corona-Pandemie sei es leider gerade noch nicht möglich, einfach hinzufahre­n, so Raabe. Aber im ersten oder spätestens im zweiten Quartal dieses Jahres wolle man nach Ghana fliegen und den Film zeigen, denn er werde schon mit großer Vorfreude erwartet.

 ??  ?? Von klein an möchte Kojo seinem Vater beweisen, dass er kein Verlierer ist
Von klein an möchte Kojo seinem Vater beweisen, dass er kein Verlierer ist
 ??  ?? Für "Borga" bekam York-Fabian Raabe prominente Unterstütz­ung: Schauspiel­erin Christiane Paul spielt "Lina"
Für "Borga" bekam York-Fabian Raabe prominente Unterstütz­ung: Schauspiel­erin Christiane Paul spielt "Lina"

Newspapers in German

Newspapers from Germany