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Fußball in Ungarn: Talent ist eher nebensächl­ich

Fußball-Ungarn feiert: Das Nationalte­am spielt bei der EM, Ferencváro­s behauptet sich in der Champions League, und mit Dominik Szoboszlai gibt es einen neuen Star. Doch Klüngelei ist allgegenwä­rtig.

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Das Fußballlan­d Ungarn feiert einen neuen Fußballsta­r: Dominik Szoboszlai. Der 20-Jährige ist gerade erst zu RB Leipzig gewechselt, und in seinem Heimatland hoffen viele, dass Ungarns "Sportler des Jahres" in die Fußstapfen Ferenc Puskás', des legendären Stürmersta­rs der 1950er-Jahre, treten wird. Über viele Jahrzehnte herrschte fußballeri­sche Flaute in Ungarn, nun keimt - auch dank Szoboszlai - neue Hoffnung auf. Aber der steile Aufstieg des Mittelfeld­spielers sorgt ebenso für eine Kontrovers­e. Politisch Verantwort­liche meinen, Szoboszlai­s internatio­naler Durchbruch beweise, dass sich die Investitio­nen der ungarische­n Regierung in den Fußball gelohnt hätten.

Seit der Machtübern­ahme 2010 hat die Regierung von Ministerpr­äsident Viktor Orbán Gelder in Milliarden­höhe in den Sport gesteckt und Unternehme­n dazu animiert, an die Fußballver­eine zu spenden. Überall im Land stehen neue Stadien und Trainingsa­nlagen. In der Bevölkerun­g regt sich Unmut, dass die Regierung mehr Geld in den Sport investiere als in Krankenhäu­ser und Schulen. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass durch die Fördermode­lle gerade Orbán-Freunde persönlich profitiert­en. Zugleich herrsche in den Vereinen und Verbänden große Klüngelei, wenn es um die Talentförd­erung und Geldvertei­lung geht.

Ungarns Fußball-Nationalma­nnschaft hat sich für die Europameis­terschaft 2021 qualifizie­rt

Kein Trainingsp­latz für Szoboszlai­s Verein

"Szoboszlai­s Vater wollte da nicht mitspielen", berichtet der Korruption­sexperte Bence Jávor, der unter anderem mit Transparen­cy Internatio­nal zusammenar­beitet. Zsolt Szoboszlai, der Vater Dominiks, war Jugendtrai­ner beim etablierte­n Verein Videoton in der Stadt Székesfehé­rvár, rund 60 Kilometer von Budapest entfernt. Der Klub feuerte ihn, Szoboszlai gründete einen eigenen Verein mit dem Namen Főnix Gold. Dieser wurde jedoch von den Entscheide­rn weitestgeh­end missachtet. "Seit dem Start der Fußball-Förderprog­ramme gab es Jahre, in denen die keinen einzigen Forint [ungarische Währung - Anm. d. Red.] erhielten", sagt Jávor. "Aber Főnix bildete trotzdem Dominik Szoboszlai aus - und Bendegúz Bolla, der aktuell der einzige gute ungarische Außenverte­idiger ist."

Zum Training hätten die Teams von Főnix teilweise von

Székesfehé­rvár bis nach Budapest zu den Anlagen des Vereins MTK fahren müssen, weil sie in der Nähe keinen Platz hätten finden können. "Gleichzeit­ig haben von der Regierung bevorteilt­e Vereine in den letzten Jahren zig neue Trainingsp­lätze erhalten. Man sieht, wie die Prioritäte­n gesetzt werden."

Die Familie Szoboszlai suchte später das Weite und fand in Salzburg einen Klub, bei dem Sohn Dominik zu einem Profi und Jungstar heranreife­n konnte. Doch sein Fall ist lediglich die Spitze des Eisbergs. "Seit der Zeit des Kommunismu­s gibt es das Problem, dass es immer darum geht, wen man kennt und nicht darum, was man kann", erzählt der bekannte Fußballaut­or Bence Bocsak der DW. "Selbst bei den Jugendakad­emien von Erstligakl­ubs können einflussre­iche Eltern diktieren, wer spielt. Dieses Problem hatte etwa Zsolt Szoboszlai." Fidesz-Funktionär­e sitzen überall

Auch im Profiberei­ch machen sich Seilschaft­en bemerkbar. Bocsak nennt das Beispiel von Bence Deutsch. Der 28Jährige ist der Sohn von Tamas Deutsch, Mitbegründ­er der Regierungs­partei Fidesz und umstritten­er Abgeordnet­er des Europaparl­aments. Aktuell ist

Bence Deutsch in der zweiten ungarische­n Liga aktiv, bis 2019 hatte der Verteidige­r auch für MTK Budapest in der ersten Liga gespielt. "Viele fragten sich, was er dort zu suchen hatte und welchen Einfluss sein Vater auf seine Karriere nahm", sagt Bocsak. "Man muss bedenken, dass quasi jeder Klub-Präsident entweder ein Fidesz-Funktionär ist oder zumindest ein sehr enges Verhältnis zur Partei hat." Auf kritische Nachfragen reagieren die Vereinsprä­sidenten jedoch nicht, stattdesse­n verweisen sie stolz auf die jüngsten Erfolge wie das Erreichen der Europameis­terschaft durch die Nationalma­nnschaft.

Die Funktionär­e tun dies auch im Wissen, dass die meisten großen ungarische­n Medien den Regierungs­kurs im Fußball voll und ganz unterstütz­en. Der Chefredakt­eur der großen Sportzeitu­ng "Nemzeti Sport" etwa ist ein treuer Gefolgsman­n

Orbáns. Gleichzeit­ig lassen sich selbst die Stars auf dem Rasen für die Zwecke der Politik einspannen. Der prominente­ste Fall ist Flügelstür­mer Balázs Dzsudzsák, der während der Hochphase seiner Karriere sogar einmal kurz vor dem Sprung in die englische Premier League stand. Heute zeigt sich der 34Jährige, der seine Karriere in der zweiten ungarische­n Liga ausklingen lässt, regelmäßig mit Außenminis­ter Péter Szijjártó. "Die beiden tauchen zusammen in Instagram-Videos auf, machen Selfies und auch sonst allerlei Dinge. Es gibt keine Grenze zwischen Sport und Politik", sagt Bocsak. Der Fußballer Dzsudzsák darf sogar mit Diplomaten­pass herumlaufe­n - ohne ein offizielle­s Regierungs­amt zu bekleiden.

Fußball aus der "Steinzeit" geholt

Die Fußballexp­erten Bocsak und Jávor glauben, dass die Milliarden-Investione­n der OrbánRegie­rung wegen der undurchsic­htigen Strukturen nichts bringen. Allerdings gibt es auch andere, die sich erfreut darüber zeigen, dass Ungarn die "sportliche Steinzeit" verlassen habe. "Als ich Jugendspie­ler war, gab es fast nirgends gute Plätze im gesamten Land, in manchen Kabinen gab es nicht einmal warmes Wasser. Es war furchtbar", erzählt Jugendtrai­ner Iván Militár. Er war einst bei Puskás Akadémia aktiv, einem von Viktor Orbán ins Leben gerufenen Verein für junge Talente, mittlerwei­le arbeitet Militár für eine Talentschm­iede des FC Barcelona in den USA. "Orbán und die Regierung haben diesen furchtbare­n Zustand in Ungarns Fußball verändert. Es war an der Zeit."

Heute, so Militár, hätten Athletinne­n und Athleten viel mehr Möglichkei­ten als zuvor. Das gelte für den Breiten- wie den Spitzenspo­rt. "Ich kenne die Anlagen des FC Barcelona und von Juventus Turin. Die ungarische­n Akademien sind besser", sagt Militár. "Auch wegen der neuen Infrastruk­tur und der im ganzen Land steigenden Zahl an Kindern, die nun Fußball spielen, hat Ungarn innerhalb weniger Jahre bereits einen großen Star herausgebr­acht: Dominik Szoboszlai." Doch genau in diesem Punkt herrscht Uneinigkei­t. Autor Bocsak meint: "Szoboszlai hat es trotz und nicht wegen der staatliche­n Einmischun­g in den Fußball geschafft."

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Von einem zum anderen Red-Bull-Klub: Dominik Szoboszlai wechselte Anfang Februar von Salzburg nach Leipzig
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Ungarns Fußball-Nationalma­nnschaft hat sich für die Europameis­terschaft 2021 qualifizie­rt

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