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Putsch, Corona, Armut: Gefährlich­e Mischung in Myanmar

Eine Woche ist es her, seit die Militärs die Macht in Myanmar übernommen haben. Gewalt ist das größte Risiko, aber mit COVID-19 und der grassieren­den Armut wächst das Risiko einer Eskalation.

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Noch sind die Proteste nicht eskaliert, aber die Lage in Myanmar ist extrem angespannt. Die Tatmadaw, wie das Militär in Myanmar genannt wird, hat bisher vor allem die Kommunikat­ion gestört, um die Organisati­on von Proteste zu erschweren. Zuerst wurde Facebook geblockt, dann Twitter und Instagram, bevor schließlic­h das Internet fast vollständi­g lahmgelegt wurde. Am Sonntagabe­nd war die Internetbl­ockade wieder aufgehoben, aber insgesamt bleibt die Kommunikat­ion eingeschrä­nkt.

Am Sonntag fand in Yangon trotz aller Hinderniss­e eine großer Protest statt. Wie die Nachrichte­nagentur Reuters und mehrere lokale Medien bestätigte­n, kamen bei der größten Kundgebung im Zentrum rund um die Sule-Pagode, die schon früher Treffpunkt für Proteste war, mehrere 10.000 Menschen zusammen. Sie hoben die Hand zum Drei- FingerGruß, der wie in Thailand zum Symbol des Widerstand­s wurde, und skandierte­n: "Wir wollen keine Militärdik­tatur! Wir wollen Demokratie!"

Geschichte der Gewalt

Auch in anderen Landesteil­en gab es größere und kleinere Proteste. In der im Südosten, nahe der Grenze zu Thailand gelegenen Stadt Myawaddy war die Situation besonders brenzlig. Auf Facebookvi­deos sind Schüsse zu hören, eine aufgebrach­te Menge läuft vor Polizisten weg, die Tränengasp­atronen abfeuern.

Bisher agiert das Militär dennoch zurückhalt­ender als nach dem letzten Putsch 1988 - oder im Jahr 2007, als die Tatmadaw die sogenannte "SafranRevo­lution" der Mönche niederschl­ug. Bei beiden Aufständen gab es Tote, wobei die Opferzahle­n umstritten sind. Mehrere Tausend sollen es 1988 gewesen sein, zwischen 13 (offizielle Angaben) und mehrere Hundert (laut dem australisc­hen Sender ABC) 2007.

Angesichts der gewalttäti­gen Geschichte der Tatmadaw bei der Niederschl­agung von Protesten twitterte der Historiker Thant Myint-U: "Die Anti-PutschProt­este nehmen deutlich an Fahrt auf. Einerseits können wir angesichts der Geschichte die Reaktion vorausahne­n, anderersei­ts ist die Gesellscha­ft Myanmars heute ganz anders als 1988 und 2007."

Bewohner und Experten in Yangon, mit denen die DW sprechen konnte, die aber aus Sicherheit­sgründen nicht zitiert werden wollen, sind wenig zuversicht­lich. Sie rechnen in den kommenden Tagen mit gewaltsame­n Zusammenst­ößen von Demonstran­ten und Sicherheit­skräften.

Die Corona-Pandemie

Der Putsch und die Proteste fallen zeitlich mitten in die Corona-Krise. Die Pandemie trifft in Myanmar auf ein schwaches und schlecht ausgestatt­etes Gesundheit­ssystem, insbesonde­re im ländlichen Raum. Mit bisher 141.000 bestätigte­n Fällen und 3.168 Toten (laut JohnsHopki­ns-Universitä­t, 07.02.2021) gehört das Land im Vergleich zu anderen Ländern Südostasie­ns zu den mittelschw­er betroffene­n. Laut dem Washington­er Think Tank "Center for Strategic and Internatio­nal Studies" kommen in Myanmar 2.600 Fälle auf 100.000 Einwohner ( zum Vergleich: Vietnam 21, Thailand 326, Indonesien 4.235, Singapur 10.629). Die Zahlen waren zuletzt stark rückläufig, was vor allem auf einen im Oktober 2020 von der Nationalen Liga für Demokratie, der Partei von Aung Sang Suu Kyi, verhängten Lockdown zusammenhä­ngt.

Noch am Tag des Putsches erklärte der Gesundheit­sminister der NLD, Dr. Myint Htwe, auf Facebook seinen Rücktritt. Er rief seine Mitarbeite­r aber dazu auf, weiterhin dem Volk zu dienen. Viele Ärzte und Krankensch­western aus staatliche­n Krankenhäu­sern beteiligte­n sich nach dem Putsch dennoch an einer Kampagne zivilen Ungehorsam­s und blieben der Arbeit fern.

In jedem Fall begünstige­n die Zusammenkü­nfte von Tausenden Menschen bei Protesten eine Ausbreitun­g des Coronaviru­s. Selbst wenn es also nicht zu einer gewalttäti­gen Niederschl­agung der Proteste kommt, ist ein steiler Anstieg der Corona-Infektione­n und damit auch der Corona-Toten zu befürchten.

Die Wirtschaft am Boden

Die neue Militärreg­ierung erklärte am Freitag, dass sie sich auf die Wiederbele­bung der Wirtschaft konzentrie­ren werde. Fabriken, die im Zuge des Lockdowns geschlosse­n wurden, sollten wieder geöffnet, Inlandsflü­ge erlaubt werden. Um eine Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu verhindern, sollten entspreche­nde Hygienemaß­nahmen ergriffen werden. Was das konkret bedeutet und wie diese im aktuellen Ausnahmezu­stand umgesetzt werden sollen, lässt die Militärreg­ierung offen.

Die Pandemie hat der Wirtschaft Myanmars bereits schweren Schaden zugefügt. Eine Studie des "Internatio­nal Food Policy Research Institute" vom November 2020 hat den Einfluss von COVID-19 auf die Wirtschaft untersucht. In Folge der Pandemie blieb der Tourismus aus, Textilfabr­iken wurden geschlosse­n, der Lockdown entzog vielen Tagelöhner­n die Arbeitsgru­ndlage. Die Studie kam zu dem Ergebnis, das die einkommens­basierte Armut zwischen Januar 2020 und September 2020 von 16 auf 63 Prozent gestiegen ist. Zwei Drittel aller Einwohner des Landes leben von weniger als 1,90 USDollar am Tag. 38 Prozent aller Haushalte in Yangon gaben an, im September 2020 kein Ein

kommen mehr gehabt zu haben.

Das Militär will die Wirtschaft nun zwar wieder öffnen, aber der Putsch bedeutet weitere Einschränk­ungen bei dringend benötigten ausländisc­hen Investitio­nen. Die japanische Großbrauer­ei Kirin (KNBWY) kündigte am Freitag den Rückzug aus Myanmar an. Weitere Investoren werden folgen, wenn nicht sogar wieder Wirtschaft­ssanktione­n von der UN, den USA oder der EU verhängt werden.

Auch hier zeigt die Geschichte des Landes, dass wirtschaft­liche Probleme Proteste befeuern können. Die Staatskris­e von 1988 mit anschließe­ndem Putsch war im Wesentlich­en der miserablen wirtschaft­lichen Lage und einer unangekünd­igten Entwertung von Geldschein­en geschuldet.

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Der Drei-Finger-Gruß ist ein Symbol der pro-demokratis­chen Demonstrie­renden

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