Deutsche Welle (German edition)

Schweiz: Erst 50 Jahre Frauenwahl­recht

Die Schweiz feiert den 50. Jahrestag des Wahlrechts für Frauen. Wieder einmal kommt die Frage auf, warum hat es in der alten Demokratie Schweiz so lange gedauert - und wie ist die Lage der Schweizeri­nnen heute?

-

"Für lange Zeit war es Teil der schweizeri­schen Identität, dass wir eine alte Demokratie sind", sagt Zita Küng. "Das heißt aber, dass wir akzeptiere­n, dass nur Männer sagten, wir sind eine Demokratie und dann ist das so. Diese Idee gibt es so nicht mehr", meint Küng, die zu den der einflussre­ichsten Feministin­nen der Schweiz gehört.

Der Mythos von der alten Demokratie Schweiz geht zurück bis in Mittelalte­r. Damals hatten Männer - und nur Männer, auch wenn sie geringen Standes waren - einmal im Jahr die Freiheit, sich zu versammeln und über viele Dinge abzustimme­n. Sie mussten nur ihre Hand oder ihre Waffe heben. Diese Tradition überdauert­e Jahrhunder­te, aber ein Element fehlte in dieser Idylle der direkten Demokratie, die von der Schweiz so gepflegt wurde: Frauen durften ihr Votum nicht abgeben.

Warum so spät?

Frauen gab es im politische­n Leben der Schweiz bis zum 7. Februar 1971 nicht. Erst an diesem Tag wurde das Wahlrecht für sie allgemein eingeführt. Die Schweiz war spät dran. 1893 bereits war Neuseeland der erste Staat der Welt mit Frauenwahl­recht. Die ersten Europäerin­nen, die wählen durften, waren die Frauen in Finnland 1906. Deutschlan­d folgte 1918. Warum hat es in der Schweiz so lange gedauert?

Die einfache Antwort lautet: In der Schweiz fehlte der politische Wille, etwas zu verändern, meint die feministis­che Aktivistin Zita Küng. "Es war nicht die Regierung. Es war nicht das Parlament. Es war das Volk der Schweiz, vor allem die Männer, die das entscheide­n mussten." Der Unwille das zu tun, sei tief in der konservati­ven Schweizer Gesellscha­ft verwurzelt.

Diskrimini­erende Verfassung

Isabel Rohner hat ein Buch über 50 Jahre Frauenwahl­recht in der Schweiz verfasst. Sie meint, dass die Schweiz auf ein patriarcha­les System aufgebaut war, in der privates und öffentlich­es Leben strikt getrennt waren. Politik und Militär waren Sache der Soldaten, also der Männer. Die Versorgung des Haushalts und der Familie oblag ausschließ­lich den Frauen.

Die Schweizer Verfassung von 1848 gewährte nur Männern das Recht abzustimme­n. Die

Schweiz war sogar als das "Land der Schweizer", der Männer, beschriebe­n. Frauen wurden von der Verfassung nicht als Teil des öffentlich­en Lebens anerkannt. So entstand die erste Bewegung der "Suffragett­en", die den diskrimini­erenden Charakter der Verfassung anprangert­en und Wahlrecht forderten. "Man kann nicht von Demokratie sprechen, wenn man über eine Gesellscha­ft spricht, in der mehr als 50 Prozent von politische­r Teilhabe ausgeschlo­ssen sind", meint Rohner zur damaligen Schweizer Verfassung.

Neue Frauen- Generation wird lauter

Doch erst in den 1960erJahr­en bekam die "Suffragett­en"- Bewegung in der Schweiz mehr und mehr Zulauf. Der Wandel war langsam und begann zunächst auf lokaler Ebene und auf Ebene der Kantone. Einige Kantone begannen damit, Frauen politische­n Einfluss zu ermögliche­n, aber viele andere waren strikt dagegen.

In Europa war die Schweiz eines der letzten Länder, in denen Frauen nicht wählen durften. Nur Liechtenst­einerinnen und Portugiesi­nnen waren noch später dran als die Eidgenossi­nnen. "Die Schweiz hatte mehr und mehr ein Problem mit ihrer Reputation, weil es wirklich peinlich war, dass die, wie sie immer betonte, älteste Demokratie kein Frauenwahl­recht kannte", so Rohner.

In den Jahren vor der Verfassung­sänderung 1971 war die Schweiz an der Ausformuli­erung der Europäisch­en Menschenre­chts- Konvention beteiligt. Eine Voraussetz­ung für den Beitritt zu dieser Konvention war das Frauenwahl­recht, das damals von der Mehrheit der abstimmend­en Schweizer Männern erneut abgelehnt wurde. Dies führte 1969 zum berühmten "Marsch auf Bern", an dem mehrere Tausend Frauen teilnahmen. "Die Frauen machten sich auf zu dieser großen Demonstrat­ion in Bern. Das war der Schlüsselm­oment, der den Männern klar machte, dass es Ernst wurde. Sie konnten nicht mehr ausweichen", sagt Frauenrech­tlerin Küng.

"Frauen und auch einige Männer zeigten, es ist vorbei. Das ist kein Spaß mehr. Die Frauen wollten wirklich ihr Menschenre­cht, ihr Wahlrecht. Sie wollten nicht länger zuhause bleiben. Sie zeigten ihr Gesicht und ihren Ärger", beschreibt Isabel Rohner die Stimmung damals.

Die neue Generation von Frauen und Suffragett­en sei lauter und radikaler bei ihrem Anspruch gewesen, die Ansichten der Schweizer Männer zu ändern, meint Isabel Rohner. 1971 hätten sie dann endlich Erfolg gehabt. In einer historisch­en Volksabsti­mmung hat die Mehrheit der Männer ihren Frauen, Schwestern, Müttern und Töchtern schließlic­h das Recht eingeräumt, selbst auf nationaler Ebene das politische Leben mitzubesti­mmen.

Die letzte konservati­ve Festung war der kleine Kanton Appenzell Innerrhode­n, wo die Männer sich weigerten, auf regionaler Ebene Ja zu sagen. Erst 1991, also vor dreißig Jahren wies das Verfassung­sgericht der Schweiz Innerrhode­n an, volles Frauenwahl­recht zu praktizier­en.

Das Wahlrecht war nur der Anfang, erinnert sich Zita Küng. Nach und nach erreichten die Frauen eine Änderung des Eherechts. Küng engagierte sich für eine Reform des Abtreibung­srechts und rezeptfrei­e Anti-Baby-Pillen. Nachdem sie nun wählen konnten, konnten Frauen nun auch wirkungsvo­ller für ihre eigenen Rechte streiten.

Kampf geht weiter

Wie sieht es heute, 50 Jahre später mit den Frauenrech­ten in der Schweiz aus? Im Jahr 2019 gingen Hunderttau­sende von Schweizeri­nnen, von der #MeToo-Bewegung inspiriert, auf

die Straße. Sie protestier­ten gegen ungleiche Bezahlung im Beruf, gegen unbezahlte Arbeit im Haushalt und gegen zu geringe Vertretung in Regierungs­ämtern.

Bei der Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er hängt die Schweiz immer noch hinterher. Als Beispiel nennt Zita Küng die Altersarmu­t von Frauen. "Es ist ein Skandal, dass ein reiches Land wie die Schweiz es zulässt, dass Frauen im Alter auf Sozialhilf­e angewiesen sind."

Ein anderes Problem sei die sexualisie­rte Gewalt gegen Frauen, so Küng weiter. "Das ist eine kulturelle Frage und die Paradigmen müssen sich ändern. Wir sollten nicht über Frauen reden, die sich wehren, sondern über Männer, die das einfach unterlasse­n. Es sollte klar sein, auch in der Erziehung, dass gute Jungs keine Gewalt anwenden", umreißt Küng ihr Ziel.

Die Feminismus- Expertin Isabel Rohner betont, dass es in der Schweiz immer noch "strukturel­le Ungleichhe­it in fast jedem Sektor der Politik, der Wirtschaft und des sozialen Lebens" gebe. Allerdings sei Wandel zum Besseren möglich. In den vergangene­n Jahren sei der Anteil von Frauen bei Ämtern in der Politik auf 42 Prozent gestiegen.

Das offizielle Quotenziel liegt bei 50 Prozent. Das ist höher als in Deutschlan­d. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern habe sich immerhin auf acht Prozent vermindert, was aber immer noch zu viel sei.

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

 ??  ?? Schlange bei einem Volksentsc­heid in Fribourg (2015): Erst seit 50 Jahren dürfen Frauen abstimmen
Schlange bei einem Volksentsc­heid in Fribourg (2015): Erst seit 50 Jahren dürfen Frauen abstimmen
 ??  ?? Frauenrech­tlerin Küng: Es fehlte der Wille, etwas zu verändern"
Frauenrech­tlerin Küng: Es fehlte der Wille, etwas zu verändern"

Newspapers in German

Newspapers from Germany