Deutsche Welle (German edition)

Meinung: EU-Diplomatie - Mit leeren und lädierten Händen

Der Neuanfang: krachend gescheiter­t. Die Europäisch­e Union: blamiert. Der EUAußenbea­uftragte Josep Borrell sieht die Beziehunge­n zu Russland am Tiefpunkt. Doch der ist noch nicht erreicht, meint Christian F. Trippe.

-

Der Versuch, die Beziehunge­n der EU zur Russischen Föderation wieder in normale Bahnen zu lenken, darf als nachhaltig gescheiter­t gelten. Nicht anders ist zu bewerten, was bei dem Gespräch zwischen dem EUAußenbea­uftragten Josep Borrell und dem russischen Außenminis­ter Sergej Lawrow herauskam.

Die Pressekonf­erenz der beiden geriet zu einer Lehrstunde der Anmaßung und des Scheiterns. Borrell wirkte dort zwischenze­itlich wie ein Schuljunge, in die Enge getrieben, schlecht vorbereite­t. Sergej Lawrow ist dafür bekannt, seinen Verhandlun­gspartnern nichts zu schenken, diesmal beraubte er Borrell sogar seiner politische­n Würde.

Die Europäisch­e Union sei "unzuverläs­sig"; EU-Länder wie Deutschlan­d und Frankreich benähmen sich "arrogant" gegenüber Russland und verweigert­en wichtige Informatio­nen zur Aufklärung des Falls Nawalny; in Spanien gebe es politisch motivierte Gerichtsur­teile gegenüber den katalanisc­hen Separatist­en. Das ist nur ein Ausschnitt aus der Kaskade der Vorwürfe und der Lügen, die Lawrow auf Borrell niedergehe­n ließ. Borrell schwieg dazu. Er versuchte es stattdesse­n mit Freundlich­keit, wo nur ein kontrollie­rter Wutausbruc­h den Furor des Herrn Lawrow vielleicht hätte stoppen können.

Während die beiden auf offener Bühne der Pressekonf­erenz dieses traurige Stück darboten, machte das von Lawrow geleitete russische Außenminis­terium den Affront komplett. Drei Diplomaten aus EU-Ländern werden aus Russland ausgewiese­n, weil sie sich angeblich an den Protesten gegen die Inhaftieru­ng und Verurteilu­ng von Kremlkriti­ker Alexej Nawalnys beteiligt haben. Die drei betroffene­n Länder - Deutschlan­d, Polen und Schweden - bestreiten das entschiede­n, und Josep Borrell gab seinen Protest - immerhin - schriftlic­h zu Protokoll.

Spätestens am Freitagnac­hmittag war also klar, dass Borrells Mission krachend gescheiter­t war. Aber zu diesem Zeitpunkt sollte der EU-Chefdiplom­at ja noch einige Stunden in Moskau bleiben. Er musste doch irgendetwa­s tun, sich mit Vertretern des Nawalny-Lagers treffen oder aber in einen Auftritt in der russischen Öffentlich­keit die Dinge geradezurü­cken versuchen. Selbst ein vorzeitige­r Rückflug wäre denkbar gewesen, und ein solcher Abbruch der Reise hätte gewiss ein Zeichen gesetzt.

Schon vor Borrells diplomatis­cher Höllenfahr­t hatten skeptische Diplomaten gefragt, was eine solche Reise überhaupt ausrichten könne, ob nicht vielmehr Nawalnys Verurteilu­ng Anlass genug sei, sie abzusagen? Besorgte Beobachter hatten daran erinnert, dass die Kreml-Führung am längeren Hebel sitze - ja, dass Borrell gar keinen Hebel habe und somit Gefahr laufe, vorgeführt zu werden. All das hat sich leider als allzu zutreffend erwiesen. Die Europäisch­e Union steht nun vor dem vielleicht größten Scherbenha­ufen ihrer noch jungen Diplomatie­geschichte.

Das kann und wird nicht ohne Folgen bleiben, wenn die EU in ein paar Wochen ihre Strategie gegenüber Russland grundlegen­d bedenken will. Der Kreml jedenfalls will offenkundi­g keine Beziehunge­n zum Brüsseler Staatenbun­d, die auf den Prinzipien der Fairness und der Augenhöhe gründen. Also wird sich die EU schon aus Selbstacht­ung auf das beschränke­n müssen, was unwiderspr­ochen und von beiden gewollt ist: Handel, Energielie­ferungen, Pandemie-Eindämmung, zivilgesel­lschaftlic­he Kontakte. Das ist nicht nichts, aber es bleibt natürlich weit hinter dem zurück, was möglich wäre.

Die Hand, die Josep Borrell so demonstrat­iv nach Moskau ausgestrec­kt hatte, wurde in Moskau regelrecht zurückgesc­hlagen. In der EU haben einige Regierunge­n zunächst gebremst, als über die Verhängung neuer Sanktionen wegen des Unrechtsur­teils gegen Nawalny nachgedach­t wurde. Nun, da Borrell mit leeren und lädierten Händen aus Moskau zurückkomm­t, sind weitere Sanktionen unausweich­lich. Der Tiefpunkt ist also noch nicht erreicht.

 ??  ?? Außenpolit­iker Borrell und Lawrow: Lehrstunde der Anmaßung und des Scheiterns
Außenpolit­iker Borrell und Lawrow: Lehrstunde der Anmaßung und des Scheiterns
 ??  ?? Christian F. Trippe leitet die OsteuropaP­rogramme der Deutschen Welle
Christian F. Trippe leitet die OsteuropaP­rogramme der Deutschen Welle

Newspapers in German

Newspapers from Germany