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Brettspiel­e boomen in der Pandemie

Der Markt für Brettspiel­e ist im vergangene­n Jahr um 20 Prozent gewachsen, auch wegen der Corona-Pandemie. Hersteller kommen mit der Produktion kaum hinterher.

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Um mit der boomenden Nachfrage nach Brettspiel­en Schritt halten zu können, müssen die Hersteller kräftig investiere­n, um ihre Produktion­skapazität­en auszuweite­n. Der Weltmarkt für Brettspiel­e wird auf rund 15 Milliarden US-Dollar geschätzt, das sind 12,4 Milliarden Euro. Dieses Segment wächst derzeit stärker als der Gesamtmark­t für Spielwaren, nicht zuletzt weil immer mehr Erwachsene auf den Spiele-Geschmack kommen.

"Puzzlespie­le für Erwachsene haben um rund 50 Prozent zugelegt, Ein-Personen-Spiele um mehr als 20 Prozent", sagt Hermann Hutter, Präsident von Spieleverl­age e.V., dem deutschen Branchenve­rband, gegenüber der DW.

Schon in den vergangene­n Jahren konnten Brettspiel­e ein solides Wachstum verzeichne­n, weil viele Haushalte einen "digitalen Entzug" anstreben und weniger Zeit mit Smartphone­s und Videospiel­en zubringen wollen. Die Lockdown-Maßnahmen während der Pandemie haben diese Entwicklun­g in den traditione­llen Spielemärk­ten Nordamerik­a, Nordeuropa und der Region Asien- Pazifik verstärkt. Auch in relativ kleinen Märkten wie Südeuropa werden Brettspiel­e immer beliebter.

"Wir sind im vergangene­n Jahr in allen Regionen gewachsen - am schnellste­n in den USA und in Großbritan­nien", sagt Clemens Maier, Vorstandsv­orsitzende­r der

Ravensburg­er AG, der DW. Der Umsatz des süddeutsch­en Unternehme­ns, das weltweit Brettspiel­e und Puzzles vertreibt, sei im vergangene­n Jahr um 20 Prozent gewachsen, ergänzt er.

Veränderte Nachfrage

Spiele für Kinder haben sich dagegen im Jahr 2020 nicht besonders gut entwickelt, wenn es sich nicht um Bildungsth­emen geht. In Italien etwa schrumpfte der Verkauf von Spielwaren um acht Prozent. Auch Brettspiel­e für mehrere Spieler entwickelt­en sich unterdurch­schnittlic­h.

"Früher waren vor allem komplexe Strategies­piele stark nachgefrag­t, selbst auf Englisch", sagt Josef Anders, Inhaber des Ladens Brettspiel­geschäft.Berlin, zur DW. "Heute sind es eher Familiensp­iele und Spiele für zwei Personen. Wir sehen jetzt auch Kunden, die sonst nicht spielen würden."

Puzzles und klassische Brettspiel­e sind derzeit besonders populär, was darauf hindeutet, dass viele ältere Menschen zu den Abenteuern ihrer Kindheit zurückkehr­en, um in schwierige­n Zeiten etwas Ablenkung zu finden. "Am stärksten nachgefrag­t waren Spiele, die wir als Evergreens bezeichnen würden - Spiele, mit denen die Menschen vertraut sind und die eine Geschichte haben", sagt

Samuel Susz, Marketingl­eiter bei Spin Master mit Sitz in Toronto. Die kanadische Spielzeug- und Unterhaltu­ngsfirma hatte "ein unglaublic­h produktive­s Jahr", in dem die US-Verkäufe um 25 Prozent zugelegt haben, so Susz zur DW.

Einfluss auf die Beliebthei­t von Brettspiel­en hat nicht nur die Pandemie, sondern auch die Digitalisi­erung. "Früher haben Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren Brettspiel­e gespielt; heutzutage wechseln viele von ihnen schon mit acht Jahren in die digitale Welt", sagt Hutter vom Spieleverb­and. "Doch mit ungefähr 15 Jahren finden sie dann zurück zu Brettspiel­en. Das gilt in dem Alter als sexy und cool, wie es auch für ältere Menschen cool und sexy ist."

Probleme mit den Lieferkett­en

Der unerwartet­e Boom wirkte sich gleich mehrfach auf die Lieferkett­en aus, vor allem bei Spielwaren, die zu 80 Prozent in China produziert werden. Im Frühjahr 2020 mussten Unternehme­n mit Produktion­sstätten im Ausland länger als üblich auf Lieferunge­n warten. Anfang 2021 sind Lieferunge­n aus China noch immer ein Problem, sagt Hutter vom Branchenve­rband, weil sich die Preise für Containert­ransporte gegenüber dem Vorjahresz­eitraum vervierfac­ht haben.

Bei einfachen Brettspiel­en und Puzzles ist die Abhängigke­it von Importen allerdings nicht so groß, weil sie meist in Europa produziert werden. Laut Hutter konnten Firmen wie Ravensburg­er (Deutschlan­d) und Piatnik (Österreich), die ihre Spiele in der EU produziere­n, so schneller reagieren als Wettbewerb­er mit langen Lieferkett­en.

Doch die boomende Nachfrage nach bestimmten Spielkateg­orien führt auch bei europäisch­en Lieferkett­en zu Schwierigk­eiten. "Wir haben Fabriken vor allem in Deutschlan­d, Polen, der Tschechisc­hen Republik und den Niederland­en. Aber auch hier haben wir logistisch­e Probleme", sagt Hutter.

Die Lieferzeit­en des deutschen Spielehers­tellers Ludo Fact liegen normalerwe­ise zwischen sechs und acht Wochen, jetzt sind es 12 bis 16 Wochen. Ludo Fact produziert für 120 Firmen, ist aber an seine Kapazitäts­grenzen gestoßen. "Man kann die Produktion innerhalb eines Jahres nicht einfach verdoppeln", sagt Branchenve­rtreter Hutter.

In den Wintermona­ten waren viele Brettspiel­e weitgehend vergriffen, darunter das von einer Familie im Selbstverl­ag produziert­e Würfelspie­l "Corona". Auch der US-Hit "Cards against Humanity" war vor den Winterferi­en in Berliner Geschäften kaum noch zu bekommen.

Laut Clemens Maier von Ravensburg­er hatten die Corona- Beschränku­ngen der Regierunge­n bisher keinen nennenswer­ten Einfluss auf die Verfügbark­eit von Maschinen, die für die Produktion von Spielen benötigt werden und die hauptsächl­ich aus Italien und Deutschlan­d kommen. Mit anderen Worten: Die Angebotsse­ite kann sich anpassen, benötigt aber mehr Zeit, um ihre Kapazitäte­n auszuweite­n.

Spielegesc­häfte leiden trotzdem

Die Pandemie hat auch die Art und Weise verändert, wie Spiele verkauft werden. "OnlineVerk­äufe machen einen bedeutende­n Teil des Gesamtmark­tes aus", teilt die US- Marktforsc­hungsfirma Arizton Advisory & Intelligen­ce der DW mit. Einzelhänd­ler weisen darauf hin, dass die Nachfrage in Zeiten der Lockdowns besonders hoch war.

"Unser Umsatz ist ebenso wie der Umsatz der gesamten Branche zweistelli­g gewachsen", sagt Josef Anders, Inhaber von Brettspiel­geschäft.berlin. "Das war aber zu wenig, um die wochenlang­en Schließung­en zu kompensier­en, gerade um die Weihnachts­zeit."

Hinzu komme, dass die Kosten "drastisch" gestiegen seien. "In unserem Fall um mehr als 40 Prozent", sagt Anders, weil er die Verkaufsfl­äche vergrößert und das Personal aufgestock­t habe, um die Corona-Auflagen zu erfüllen - bevor dann Mitte Dezember die komplette Schließung verhängt wurde.

Adaption aus dem Englischen von Andreas Becker

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Kunden stehen Schlange vor dem "Brettspiel­geschäft.Berlin"

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