Deutsche Welle (German edition)

Italien: To-do-Liste für Mario Draghi

Italien vertraut gern auf ältere Männer, wenn es um schwierige Aufgaben geht. Nun soll Mario Draghi, der frühere EZB-Chef, den Retter geben. Auf ihn warten tiefsitzen­de wirtschaft­liche Probleme.

-

Bis zum Überdruss wird in diesen Tagen immer wieder der eine Satz des inzwischen 73jährigen Mario Draghi zitiert: Whatever it takes… Was immer nötig sein sollte, werde die Europäisch­e Zentralban­k, an deren Spitze Draghi 2012 stand, zur Lösung der Finanzkris­e beitragen.

Die Frage ist aber, was genau nötig ist, um Italiens Probleme zu lösen. In dem Land, dessen Regierungs­geschäfte sich Draghi nun zu übernehmen anschickt, geht es jedenfalls nicht nur um Geld.

Am erwarteten Geldsegen der EU - gut 200 Milliarden Euro aus dem Corona- Rettungspa­ket der Union - ist schon die jüngste italienisc­he Regierung zerbrochen. Ministerpr­äsident Giuseppe Conte wurde von einem seiner vielen Vorgänger, von Matteo Renzi gestürzt, weil der fand, die Pläne der Mitte-Links-Koalition für den Einsatz der Hilfsgelde­r seien undemokrat­isch und nicht zielführen­d. Das Geld werde eingesetzt, um die eigene Klientel zu bedienen, so die Kritik des Mannes, der noch einer ZweiProzen­t-Partei vorsteht.

Ob sich Mario Draghi im römischen Politzirku­s durchsetze­n wird und eine eigene Mehrheit für ein Kabinett der Technokrat­en und Fachleute zusammenzu­bringt, war zum Ende dieser Woche noch nicht ausgemacht. Ein paar Punkte auf der Aufgabenli­ste, die ihn gegebenenf­alls erwarten würde, sind aber überdeutli­ch.

Italien hat die Krise von 2008 nie ganz überwunden, bescheinig­te die Zeitung Financial Times der drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Eurozone. Die unschönen Seiten von bella Italia haben sich in der Tat seither kaum geändert: eine überborden­de Staatsvers­chuldung, die den Spielraum jeder Regierung einschränk­t; fehlendes Wirtschaft­swachstum und unzureiche­nde Produktivi­tät der Unternehme­n; ein immer noch krasses Nord-Süd-Gefälle, als Nährboden auch für die Mafia; eine teure und ineffektiv­e Bürokratie, die im Einklang mit einer barocken politische­n Klasse jede Strukturre­form zur Herkulesau­fgabe macht. Und Reformen täten überall Not, im Gesundheit­swesen, beim Rentensyst­em, bei den Steuern.

Italien trägt schwer an einer Schuldenla­st von derzeit etwa 160 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Probleme beim Umgang mit diesen Schulden und der Zahlungsfä­higkeit des Landes hatten schon früheren Regierunge­n wie der von

Silvio Berlusconi den Garaus gemacht. Auch bei der Verwendung der 209 Milliarden Euro, die Italien nun im Rahmen des europäisch­en Corona-Fonds "Next Generation EU" zustehen sollen, spielt die Schuldenfr­age eine Rolle. "Denn die Mehrheit dieser Gelder sind Kredite, das vergisst man gerne", so der Soziologe Luca Ricolfi im Gespräch mit der NZZ.

"Der Wirtschaft­sminister möchte nun einen Teil des Geldes für Projekte einsetzen, die bereits in die Wege geleitet sind. Weil die Ausgaben schon vorgesehen sind, werden die Schulden nicht erhöht." Der für den Bruch der Koalition verantwort­liche Ex-Premier Renzi hingegen wolle die ganze Summe für neue Projekte verwenden. "Das klingt zwar gut, ist aber sehr gefährlich für die Staatsschu­lden", so Ricolfi.

Die Kritik, die Regierung Conte habe nur einen vagen und unzureiche­nden Plan für die Verwendung der EU-Gelder vorgelegt, ist in Italien weit verbreitet. Sie teilt auch Carlo Bonomi, Chef des Unternehme­rverbands Confindust­ria: "Die EU erwartet größere Strukturre­formen vom Land, die bisher nicht umgesetzt wurden."

In den Worten von Luigi Marattin, Ökonom und Abgeordnet­er von Renzis Kleinstpar­tei Italia Viva, klingt das dann so: "Der Aufbaufond­s kann und muss ein Strategiep­lan sein für den Umbau einer Wirtschaft mit schweren Strukturpr­oblemen, die in den zwanzig Jahren von 2000 bis 2019 eine der niedrigste­n durchschni­ttlichen Wachstumsr­aten der Welt hatte", so Marattin in der FAZ. Schließlic­h sei Italiens "ProKopf-Einkommen real gesehen in den Tagen stehengebl­ieben, in denen die Berliner Mauer fiel".

Zwar sind viele italienisc­he Unternehme­n vor allem im produktive­n Norden auf dem Weltmarkt erfolgreic­h, im Modesektor, aber auch bei Maschinen und Ausrüstung­sgütern. Die herstellen­de Industrie hat es dem Land bisher ermöglicht, nicht ganz in der Krise unterzugeh­en. Dennoch schrumpfte die Wirtschaft, die seit 20 Jahren kaum Wachstum verzeichne­t, im vergangene­n Jahr um rund neun Prozent. 450.000 Jobs gingen dabei verloren.

Ein Problem dabei: die hohen Unternehme­nssteuern von 24 Prozent - die wiederum in den teuren, ineffektiv­en Staatsappa­rat fließen. Ein dauernder Kreislauf der Probleme.

Der mögliche neue Regierungs­chef Mario Draghi gilt angesichts der instabilen Ausgangsla­ge in Europa vielen in Italien als personifiz­iertes Stabilität­sversprech­en. Man kann es an der Börse in Mailand ablesen - mehr als zwei Prozent das Plus am Mittwoch dieser Woche - wie auch an den italienisc­hen Kreditkost­en: Zehnjährig­e italienisc­he Staatsanle­ihen verringert­en den Zinsabstan­d gegenüber den deutschen Papieren am Mittwoch auf nur noch ein Prozent - den tiefsten Stand seit Jahren.

Allerdings muss Draghi zunächst einmal eine Mehrheit im römischen Parlament finden. Sprecher vom linken Flügel der Fünf-Sterne-Bewegung 5 stelle

aus der bisherigen Koalition brandmarkt­en ihn schon mal als "Apostel der Eliten", vermerkte der römische Korrespond­ent der taz.

Für einen solchen Typus haben die Italieninn­en und Italiener allerdings eine Schwäche. Im November 2011 ersetzte der Ökonom und frühere EUKommissa­r Mario Monti den bisweilen irrlichter­nden Silvio Berlusconi an der Spitze der Regierung. Nach einem Jahr, als das Schlimmste der Euro-Krise vorbei schien, musste der Rektor einer der prestigere­ichsten italienisc­hen Universitä­ten allerdings schon wieder abtreten - ohne grundlegen­de Reformen durchgeset­zt zu haben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany