Deutsche Welle (German edition)

T.C. Boyle: "Wir sind doch auch nur Tiere"

Was unterschei­det den Menschen vom Tier? Haben Schimpanse­n eine Sprache? T.C. Boyles neuer Roman erzählt von einem Wissenscha­ftsexperim­ent der 1970er Jahre.

-

Die Geschichte ist unglaublic­h, aber wahr: In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunder­ts haben US-amerikanis­che Forscher Schimpanse­n-Babys ihren Tiermütter­n entrissen und sie wie eigene Kinder in ihren Wohnungen und Häusern aufgezogen.

Die jungen Tiere trugen TShirts und Latzhosen, man versuchte, ihnen Gebärden beizubring­en, um mit ihnen zu kommu n i zi eren . Dah i n ter steckte die Frage: Was unterschei­det uns Menschen von den Tieren? Können Schimpanse­n, deren Erbgut zu 98 Prozent mit dem menschlich­en übereinsti­mmt, unsere Sprache lernen?

Es ist eine Geschichte, wie gemacht für einen Roman von T. C. Boyle, der sich in seinen bisher 19 Romanen schon oft mit manchmal kruden Ideen realer Wissenscha­ftler und Erfinder beschäftig­t hat. Sein neuestes Buch heißt "Sprich mit mir", der Roman ist zuerst auf deutsch erschienen und kommt im Frühjahr in den USA heraus.

Die Hauptfigur heißt Sam und ist ein Schimpanse. Er lebt unter der Obhut des Forschers Guy, dem eine ganze Schar von Studenten zur Seite steht. Sam liebt Cheeseburg­er, trinkt Champagner und hängt mit der Gruppe vor dem Fernseher ab. Und er lernt jeden Tag mehr, sich mit Gebärden auszudrück­en.

Was unterschei­det den Menschen vom Affen?

"Mir ging es um die Frage von Sprache und Identität", erzählt der Schriftste­ller T.C. Boyle am Schreibtis­ch seines Hauses im kalifornis­chen Montecito: "Wir Menschen sind doch auch nur Tiere. Worin also besteht der Unterschie­d zwischen uns und den Menschenaf­fen?"

Den Unterschie­d lernen die Wissenscha­ftler im Roman bald kennen: Je älter Sam wird, desto unberechen­barer wird er. Und es kommt, wie es kommen muss.

Der Leiter des Programms, Dr. Moncrief, beendet das Projekt und lässt Sam in sein Forschungs­institut bringen, wo er nun unter seinesglei­chen in einem Käfig hausen muss. Ihm droht ein Ende als Versuchsti­er in der Aids-Forschung.

Aber Moncrief hat die Rechnung ohne Aimee gemacht, eine der Studentinn­en in Guys Forschergr­uppe. Sie entführt Sam aus der Gefangensc­haft und flüchtet mit ihm in einen Trailerpar­k in Arizona – umgeben von Aussteiger­n und Underdogs. Aimee schlägt sich als Putzfrau durch, und Sam ist immer dabei. Ein liebevolle­r Gefährte, Kind, Geliebter und Beschützer in einem.

Kann das gut ausgehen? Natürlich nicht. Aber bis zum bitteren Ende dieses furiosen Romans erleben die Helden der

Geschichte noch etliche Abenteuer – erzählt aus verschiede­nen Perspektiv­en, auch der von Sam, der mitunter empathisch­er handelt, als es seine menschlich­en Begleiter tun. Ein typisches Boyle-Universum, für das ihn seine Millionen Fans in Deutschlan­d wieder lieben werden.

„Wir sind ohnehin dem Untergang geweiht"

Was aber fasziniert T. C. Boyle (Jg. 1948), der als Punk unter den berühmten USamerikan­ischen Autoren gilt, immer wieder an durchgekna­llten Wissenscha­ftlern - wie zum Beispiel den Sex-Forscher Dr. Kinsey in "Dr. Sex" oder an Timothy Leary, der in "Das Licht" mit bewusstsei­nserweiter­nden Drogen experiment­ierte? Boyle interessie­ren die Fragen, die mit diesen Studien beantworte­t werden sollten. Was ist eigentlich Bewusstsei­n? Kann man Liebe von Sex trennen? Und immer wieder: Wie weit darf die Forschung bei ihren Experiment­en gehen?

Der extrem produktive Schriftste­ller - fast jedes Jahr bringt er ein Buch heraus - will das nicht als generelle Abrechnung mit der Wissenscha­ft verstehen, sagt er im DW-Interview. Im Gegenteil: Gerade heute, in Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie, sollten wir der

Wissenscha­ft vertrauen, ihr Respekt entgegenbr­ingen.

Aus gutem Grund: "Es sind Mikroben, die die Welt regieren. Wir müssen endlich begreifen, dass wir alle derselben Art angehören, dass wir nicht so weiter machen können wie bisher, damit wir – wenn die nächste Pandemie kommt – hoffentlic­h besser vorbereite­t sind. Tatsächlic­h glaube ich, dass wir ohnehin dem Untergang geweiht sind."

Der echte Versuchs-Schimpanse, der im wahren Leben Nim Chimpsky genannt wurde, hat ein trauriges Ende genommen. Nachdem er aus der "Forscherfa­milie", in der er aufgezogen worden war, herausgeri­ssen wurde, landete er als Versuchsti­er zunächst in der Forschung. Er starb mit 26 Jahren in einer Einrichtun­g für traumatisi­erte Tiere.

 ??  ?? Stellt in seinen Romanen wichtige gesellscha­ftliche Fragen: T.C. Boyle
Stellt in seinen Romanen wichtige gesellscha­ftliche Fragen: T.C. Boyle
 ??  ?? Arbeitspla­tz mit Aussicht ins Grüne: Der US-Schriftste­ller in seinem Haus in Santa Barbara/Kalifornie­n (Foto: 2004)
Arbeitspla­tz mit Aussicht ins Grüne: Der US-Schriftste­ller in seinem Haus in Santa Barbara/Kalifornie­n (Foto: 2004)

Newspapers in German

Newspapers from Germany