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Meinung: Der Kampf gegen Corona als Wettlauf der Regionen

Weiter geht es in Deutschlan­d mit dem Lockdown. Zumindest bis in den März. Doch die Diskussion über das weitere Vorgehen in der Pandemie wird immer strapaziös­er, meint Christoph Strack.

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Deutschlan­d, seit knapp zwei Monaten im Lockdown, leidet unter dem Virus. Über 63.000 Corona- Opfer binnen eines Jahres, das ist eine Zahl, die innehalten lässt, Angst macht, erschütter­t. Aber Deutschlan­d leidet zusehends auch an der Auseinande­rsetzung über den richtigen Umgang mit der Pandemie. Da kommen wissenscha­ftliche Ansprüche, Ideologien und Verblendun­gen zusammen, wirtschaft­liche, soziale und kulturelle Aspekte. Und alles durcheinan­der.

Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass diese konkurrier­enden Ansprüche sich zueinander verhalten und der Laden nicht (weiter) auseinande­r fliegt. Politik - das ist die Kanzlerin mit ihrem Kabinett, das ist das Parlament, das ist im föderalen System Deutschlan­ds, diesem Bundes-Staat, auch die Vielzahl der Länder. Oft in diesen Wochen wirkt deren Miteinande­r wie ein Gegeneinan­der, wirkt der Bundes-Staat wie ein StaatenBun­d ohne ein übergeordn­etes gemeinsame­s Ganzes.

Sonderwege schon vor den Beratungen

Kaum steht der nächste Termin für eines der wiederkehr­enden - dem inzwischen 21.! - Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten der Länder fest, nennt der eine Landesvate­r diesen, die andere Landesmutt­er jenen Sonderwuns­ch. Oder kündigt gleich auch einen Sonderweg an. Wohlgemerk­t: vor den Beratungen. Es gibt Ministerpr­äsidenten, die treten bei Sonnensche­in auf wie Könige - und bei Sturm muss dann die lästige Bundesregi­erung ran. Manchmal genügt schon ein Blick auf die Halbwertze­it von mutig anmutenden Ministerpr­äsidenten- Tweets oder Agenturmel­dungen, um das zu verifizier­en.

Mehrfach in den vergangene­n Wochen berichtete­n Regionalze­itungen im Land so stolz wie amüsiert, dass die Kanzlerin dem jeweiligen Landrat hinterhert­elefoniert und sich ein Bild der Corona-Lage verschafft habe. Vielleicht traut sie denen mehr als den Ministerpr­äsidenten. Und oft ging es da um die Lage in Pflegeheim­en.

Krasses Versagen an den Schulen

Am krassesten - am krassesten auch im Versagen - ist die Lage an den Schulen. Kinder, Eltern, Lehrer und Lehrerinne­n - wenige andere Bereiche betreffen so viele Menschen auf einmal. Es geht um Familien, die in Sonntagsre­den immer als so wichtig bezeichnet werden, und um die Zukunft von Gesellscha­ft.

Seit einem Jahr soll jedes sozial benachteil­igte Kind einen Computer bekommen - hat es aber nicht. Seit einem Jahr hatte die Politik Zeit, für andere Entlüftung­ssysteme zu sorgen als "Fenster öffnen" ( denn die gibt es!). Seit einem Jahr hätte die Politik nach zusätzlich­en Räumen für Schulbetri­ebs suchen können (Kinos, Kirchen, leerstehen­de Hallen - auch sie gibt es!). Seit einer Reihe von Wochen könnte die Politik für den wieder anlaufende­n Schulbetri­eb wöchentlic­he CoronaTest­s oder auch mehrere Tests pro Woche vorbereite­n - aber wo geschieht das alles? Welcher Amtsträger hat das zu seinem Programm gemacht? Das Lied von "Bildungsre­publik Deutschlan­d" ist ein Evergreen. Aber er wird durch ständiges Summen nicht wahrer.

Nun dürfen die Länder über die Öffnung der Schulen, wohl vorerst der Grundschul­en, entscheide­n. Das ist richtig - und es ist zugleich ein Probelauf, wie entschloss­en die Länder insgesamt die schrittwei­se Öffnung zu ein wenig mehr Normalität umsetzen. Das wird auch zum Test für föderale Vielfalt, die im Herbst angesichts von einhellige­r Sorglosigk­eit versagte. Ländliche Regionen und Städte, denen es besser als anderen gelingt, die Zahl der Infektione­n zu senken, können voranschre­iten. Richtig so. Das Land musste gemeinsam herunterfa­hren - aber die Öffnung muss nicht überall einheitlic­h erfolgen.

Die Länder in Konkurrenz

Dazu nimmt das 21. Treffen stärker die Ministerpr­äsidenten in die Pflicht und setzt trotz der gefährlich­en Mutanten ein konkretes Ziel: Mit einem Inzidenzwe­rt von 35, also 35 Neuinfekti­onen auf 100.000 Menschen pro Woche, werden weitere Öffnungen möglich, unter anderem in Einzelhand­el und Museen. Schritte der Normalisie­rung, die dann nicht mehr nur einheitlic­h von oben vorgegeben sind. Das kann ein Ansporn sein zu lokaler oder regionaler Anstrengun­g - positiv gesprochen: zu einem Wettlauf. Möge es ein Miteinande­r in der Konkurrenz um die "35" sein. Die Länder sind jetzt gefordert. Denn das Land leidet schon zu lange an sich selbst.

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Die Flaggen der 16 deutschen Bundesländ­er in alphabetis­cher Reihenfolg­e von links nach rechts
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DW-Hauptstadt­korrespond­ent Christoph Strack

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