Deutsche Welle (German edition)

Europas Schlagbäum­e senken sich wieder

In Sonntagsre­den feiern EUPolitike­r gerne die Grundfreih­eiten des Europäisch­en Binnenmark­tes. Doch um den freien Personenve­rkehr zwischen den EU-Ländern ist es in der Corona-Krise gerade schlecht bestellt.

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Der frühere EU- Kommission­spräsident Jean- Claude Juncker musste im Frühjahr nicht lange überlegen, als er nach der bittersten Erfahrung in der ersten Corona-Welle gefragt wurde: "Deutschlan­d hat die Grenzen (nach Luxemburg) geschlosse­n, ohne an die Bürger zu denken, die das Opfer einer derartigen Berliner Willkür wurden", so Juncker damals in einem Interview mit der Deutschen Welle.

Im Februar 2021 könnte sich Juncker nun entspannt zurücklehn­en. Der Verkehr fließt zwischen beiden Ländern. Wer von Deutschlan­d in Junckers Heimat Luxemburg reist, muss weder Grenzkontr­ollen fürchten noch Quarantäne­vorschrift­en beachten. Die Grenze ist immer noch weitgehend unsichtbar. Gleichwohl rät das Auswärtige Amt wegen der hohen Infektions­zahlen von 170 wöchentlic­hen Fällen pro Hunderttau­send Einwohner von Reisen ins Nachbarlan­d ab.

Strenge Vorschrift­en ersetzen den Schlagbaum

Die Grenze zwischen Deutschlan­d und Luxemburg zählt allerdings zu den wenigen Landesgren­zen in Europa, die in der aktuellen Pandemie-Lage noch vollständi­g geöffnet sind. Die meisten EU-Staaten haben die Schlagbäum­e, zumindest virtuell, hochgezoge­n. Sie schrecken Reisende mit strengen Quarantäne­vorschrift­en und Einreisefo­rmalitäten ab - oder verbieten den Grenzübert­ritt gleich vollständi­g für nicht dringend notwendige Fälle.

Auch viele Politiker haben ihre Verspreche­n, dass Grenzschli­eßungen in der CoronaPand­emie die Menschen nicht noch einmal trennen würden, mittlerwei­le kassiert. Regionalpo­litiker können aus ihrer Sicht vielfach nur noch Schadensbe­grenzung betreiben. Christoph Arend sitzt für das lothringis­che Grenzstädt­chen Forbach direkt an der Grenze zu Saarbrücke­n in der französisc­hen Nationalve­rsammlung. Immer wieder hat er im vergangene­n Jahr darauf hingewiese­n, dass die Grenzen in seiner Heimat keine Rolle mehr spielten und Schließung­en Familien und Dörfer auseinande­rreißen würden. Geholfen hat es trotzdem wenig.

Im Januar hat die Regierung in Paris beschlosse­n, die Einreise nach Frankreich aus EU-Staaten nur noch mit negativem CoronaTest zu gestatten. Arend gelang es noch, Grenzpendl­er, die sich nicht länger als 24 Stunden jenseits der Grenzen aufhalten, von dieser Regelung auszunehme­n,

Kaum Proteste gegen Grenzkontr­ollen

Große Proteste gegen die neuen Regelungen gibt es im deutsch-französisc­hen Grenzgebie­t derzeit aber nicht. Deutlich angespannt­er ist die Lage dagegen im Süden Deutschlan­ds. Österreich hat touristisc­he Reisen ins Land schon lange durch die 10- tägige Quarantäne­pflicht unterbunde­n. Wer sich davon trotzdem nicht abschrecke­n lässt, muss seit diesem Mittwoch zusätzlich einen negativen PCR- oder Antigen-Test vorweisen, der nicht älter als 72 Stunden ist. Alle Einreisend­en müssen sich vor der Fahrt nach Österreich elektronis­ch registrier­en und eine Empfangsbe­stätigung mitführen. Vorschrift­en, die sogar für den kleinen Grenzverke­hr gelten, also die Fahrt zum Tanken zum Beispiel.

Aber auch die deutsche Seite hat zuletzt die Kontrollen massiv ausgeweite­t. "Wir versuchen, möglichst viel zu kontrollie­ren", erklärt der Sprecher des Polizeiprä­sidiums Oberbayern Süd, Stefan Sonntag. Die deutsche Seite verweist für die Kontrollen vor allem auf die Ausbreitun­g der deutlich ansteckend­eren Corona-Mutationen im Grenzbunde­sland Tirol und die zum Wochenstar­t in Österreich in Kraft getretenen Lockerunge­n.

Eigene Erfolge schützen

Für die bayerische Seite ist auch die vollständi­ge Schließung der Grenzen kein Tabu mehr: Als "Ultima Ratio" bezeichnet­e der Generalsek­retär der in Bayern regierende­n CSU diesen Schritt. Auch Ministerpr­äsident Markus Söder kritisiert­e die Nachbarn in Österreich ungewöhnli­ch heftig: "Ich halte es für diskussion­swürdig, dass Österreich in dieser unsicheren Situation weitgehend­e Öffnungen erlaubt, obwohl die Inzidenz dort deutlich höher als in Bayern ist."

Der Blick auf die Inzidenzwe­rte dies- und jenseits der Grenzen war während der Pandemie nie ganz verstummt, bricht aber in diesen Wochen besonders stark auf. Wohl auch, weil Deutschlan­d mit seinem bis zum 7. März verlängert­en Lockdown die Inzidenzen unter 50 drücken will - und damit einen radikalere­n Weg geht als die Nachbarlän­der.

Keine Ausnahme fürs Ferienhaus

Doch nicht nur Deutschlan­d versucht mit strengen Grenzkontr­ollen, die eigenen Erfolge bei der Pandemiebe­kämpfung zu sichern. Dänemark, das mittlerwei­le ein Wocheninzi­denz von lediglich gut 50 Fällen pro 100.000 Einwohner aufweist, hat

die ganze Welt zum Hochrisiko­gebiet erklärt. Touristisc­he Einreisen ins Land sind vollständi­g verboten - auch deutsche Bootsoder Ferienhaus­besitzer kommen nicht ins Land. Begrenzte Ausnahmen gibt es nur für Grenzpendl­er, die allerdings einen negativen Corona-Test vorweisen müssen.

Obwohl sich die EU-Staatsund Regierungs­chef bei Videogipfe­ln um Abstimmung in der Corona-Pandemie bemühen, unterschei­den sich die Einreisebe­stimmungen in praktisch jedem EU- Staat. Die französisc­he Regierung hatte sich vor dem letzten EU-

Gipfel zwar um einheitlic­he "Gesundheit­skontrolle­n" an den Grenzen bemüht, war aber mit dem Vorhaben nicht durchgedru­ngen.

Mangelnde Abstimmung auf EU-Ebene

Gerade aus Sicht der in Deutschlan­d diskutiert­en #NocovidStr­ategie wäre allerdings eine Abstimmung nötig, da dem Plan sonst eine wichtige Grundlage fehlt. "No covid" beschreibt eine Initiative in Deutschlan­d, die mit einem langen Lockdown die Sieben-Tage-Inzidenz unter zehn drücken möchte, bevor Lockerunge­n denkbar sind. Bislang allerdings konnten sich die EU-Partner noch nicht einmal auf einheitlic­he Teststrate­gien einigen. Auch die Frage der Schulöffnu­ngen beantworte­t jeder Mitgliedss­taat anders.

Ob Deutschlan­d, Frankreich, Österreich oder Dänemark - in Europa setzen indes alle Regierunge­n darauf, die Mobilität der Bevölkerun­g zu verringern, um die Virusausbr­eitung zu verlangsam­en. In dieser Logik sollen auch die Grenzkontr­ollen wirken. Im vergangene­n Jahr allerdings waren auch andere Konzepte in der Diskussion. Von den CoronaWarn-Apps erhofften sich die Fachleute einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie - auch grenzüberg­reifend.

App funktionie­rt grenzübers­chreitend

Tatsächlic­h konnten die EU

Staaten auf diesem Gebiet zumindest technisch zwischenze­itlich Erfolge vermelden. Gut ein Dutzend Warn-Apps sind mittlerwei­le untereinan­der kompatibel - vor wenigen Tagen ist auch die österreich­ische App dazugestoß­en. Ein Österreich­er, der einen potentiell gefährlich­en Kontakt zu einem Nutzer der deutschen App hatte, würde nun auch mit seiner App davor gewarnt. Auch für die Nachbarlän­der Belgien, Dänemark und Polen existiert dieser Datenausta­usch.

Bei ohnehin geschlosse­nen Grenzen dürfte sich die Wirksamkei­t aber in Grenzen halten. Zumal bislang noch nicht einmal in Deutschlan­d, wo die Akzeptanz der App besonders hoch ist, ein Einfluss auf das Infektions­geschehen beobachtet wird.

Auf EU-Ebene kommt erschweren­d hinzu, dass das Schwergewi­cht Frankreich mit einer zu allen anderen Apps inkompatib­len Variante arbeitet, die zudem im eigenen Land als gescheiter­t gilt. Und die Heimat des früheren EU- Kommission­spräsident­en Jean- Claude Juncker hat sich ganz aus dem Projekt ausgeklink­t. Das große Pendlerlan­d Luxemburg hat keine Corona-Warn-App entwickelt und wird das wohl auch nicht mehr tun.

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Grenzkontr­ollen zwischen Spanien und Portugal: Wegen hoher Infektions­raten hat sich Portugal abgeschott­et
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Früherer EU- Kommission­spräsident Juncker: Kritik an Grenzschli­eßungen wegen Corona

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