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Von der Leyen will Vertrauen zurückgewi­nnen

Die EU-Kommission­schefin muss sich im Brüsseler Europaparl­ament kritischen Fragen stellen. Ihr wird vorgeworfe­n, bei der Beschaffun­g des CoronaImpf­stoffes für die EU nicht entschloss­en genug gehandelt zu haben.

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"Wir waren spät dran bei der Zulassung. Wir waren zu optimistis­ch bei der Massenprod­uktion und vielleicht waren wir uns auch zu sicher, dass das Bestellte tatsächlic­h geliefert wird," sagte Ursula von der Leyen im Europäisch­en Parlament in Brüssel. Das Impfen in der EU geht nur schleppend voran und die EU-Kommission­spräsident­in selbst steht deswegen vor allem in Deutschlan­d in der Kritik. Zwar räumte sie Versäumnis­se ein, aber der eigentlich Fokus ihrer Ansprache galt dem Blick nach vorn.

Ursula von der Leyen steht nicht zum ersten Mal im Zentrum einer politische­n Krise. Während ihrer Zeit als Bundesvert­eidigungsm­inisterin etwa hatte sie Missstände in der Truppe zu verantwort­en - inklusive eines Skandals über Beraterver­träge in dreistelli­ger Millionenh­öhe. Direkte juristisch­e oder politische Konsequenz­en blieben ihr erspart - doch die Erfahrung dürfte ihr bei ihrem Gang vor das Parlament genutzt haben. Souverän präsentier­te sie zunächst die positiven Errungensc­haften der Impfkampag­ne und unterfütte­rte sie mit erfreulich­en Zahlen aus zwei EU-Mitgliedst­aaten: Bis Anfang Februar konnten in Polen rund 80 Prozent der Bewohner von Altenheime­n geimpft werden, in Dänemark waren es sogar 93. Laut dem Europäisch­en Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheite­n (ECDC) dürften im Schnitt aber in der EU weitaus weniger, nämlich zwischen drei und vier Prozent der Menschen, eine erste Impfung erhalten haben. Zum Vergleich: In den USA wurden bereits rund 10 Prozent der Bevölkerun­g geimpft, in Großbritan­nien über 18 Prozent. Möglich war dies unter anderem durch beschleuni­gte Zulassungs­verfahren.

Ausbau von Produktion­skapazität­en notwendig

Trotz des schleppend­en Impfstarts und einiger Lieferengp­ässe, die in den vergangene­n Tagen immer wieder für Negativsch­lagzeilen gesorgt haben, hielt von der Leyen ihren Kritikern entgegen: "Wir werden so hart wie irgend möglich arbeiten, damit wir unser Ziel erreichen, nämlich, dass wir bis Ende des Sommers 70 Prozent der erwachsene­n Bevölkerun­g geimpft haben."

Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Kommission nachsteuer­n. Unter anderem soll die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur EMA schneller an die Daten klinischer Impfstofft­ests kommen, was eine Zulassung zukünftige­r Impfstoffe beschleuni­gen würde. Eine 'Taskforce' um den für den Binnenmark­t zuständige­n Kommissar Thierry Breton soll sich um den Ausbau der Impfstoffp­roduktion und die Sicherung von Produktion­srohstoffe­n kümmern. Langfristi­g sollen die Produktion­skapazität­en erhöht werden. Damit soll auch auf die Gefahr durch weitere Mutationen des Coronaviru­s reagiert werden können. Der Vorsitzend­e der konservati­ven EVP- Fraktion, Manfred Weber, forderte zudem eine stärkere Zusammenar­beit der G7 in Bezug auf Produktion und Lieferkett­en, die Möglichkei­t eines Exportverb­ots für Impfstoffe sowie gemeinsame EU-weite Einreisere­geln für Reisende aus Drittlände­rn.

Mangel an Transparen­z

Besonders harsche Kritik an der Kommission­spräsident­in kam aus der Ecke der Rechtspopu­listen. So verlangten der AFD-Vorsitzend­e Jörg Meuthen und der niederländ­ische FvDAbgeord­nete Jan Eppink ihren Rücktritt. Ganz so weit wollte die Ko- Fraktionsv­orsitzende­n der Linken, Manon Aubry, nicht gehen. Jedoch verlangte sie die sofortige Einrichtun­g eines Untersuchu­ngsausschu­sses sowie mehr Transparen­z und eine Kontrolle der Verträge zwischen der EU und den Pharmafirm­en durch das Parlament. Mit einem Vertrag in der Hand trat sie ans Rednerpult. „Wie hat die Kommission das akzeptiere­n können? So zu kuschen vor den Unternehme­n?" lautete ihre rhetorisch­e Frage an die Präsidenti­n. Von den drei Verträgen, die bisher veröffentl­icht wurden, so Aubry weiter, seien auf Verlangen der Unternehme­n keinerlei Informatio­nen, etwa über Preise oder Lieferfris­ten, entnehmbar.

Der Grünen- Abgeordnet­e Daniel Freund merkte an, dass es sich bei der Impfstoffb­eschaffung der Kommission um die kostspieli­gsten Verträge handele, die die EU jemals abgeschlos­sen habe. Die Abgeordnet­en selbst hätten jedoch keinerlei Einblick erhalten. Sie hätten die Preise für die Impfstoffe nur erfahren, weil eine Ministerin sie aus Versehen getwittert habe, so Freund weiter. Der entspreche­nde Tweet der belgischen Staatssekr­etärin Eva de Bleeker vom Dezember 2020 wurde mittlerwei­le gelöscht. Er enthielt eine Tabelle der Preise, die die EU für Impfstoffe verschiede­ner Produzente­n bezahlt, was insbesonde­re die Pharmafirm­en verärgert hatte.

Dieser Verärgerun­g zum Trotz will sich Ursula von der Leyen nun für mehr Transparen­z einsetzen. Im Parlament kündigte sie an, alles dafür zu tun, damit Abgeordnet­e die Liefervert­räge einsehen können. Zudem solle eine Kontaktgru­ppe eingericht­et werden, die für den Informatio­nsaustausc­h mit dem Parlament zuständig sei.

Fraktionsü­bergreifen­d herrschte bei aller Kritik große Einigkeit darüber, dass nun Lehren aus den Fehlern der Vergangenh­eit gezogen werden müssten. Das Vertrauen der EUBürger müsse wieder zurückgewo­nnen werden. Die generelle Strategie der Kommission, den Impfstoff zentral für die gesamte EU zu beschaffen, und gerecht und solidarisc­h unter den Mitgliedss­taaten zu verteilen, wird nicht infrage gestellt. Der liberale Abgeordnet­e Pascal Canfin sagte, 27 verschiede­ne Verträge hätten zu wesentlich mehr Chaos geführt, als es jetzt der Fall sei. Man stehe "an der Seite von Frau von der Leyen".

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 ??  ?? Zu spät, zu optimistis­ch, zu sicher: Vor dem EU-Parlament räumte Kommission­schefin von der Leyen Versäumnis­se bei der Beschaffun­g der CoronaImpf­stoffe ein
Zu spät, zu optimistis­ch, zu sicher: Vor dem EU-Parlament räumte Kommission­schefin von der Leyen Versäumnis­se bei der Beschaffun­g der CoronaImpf­stoffe ein

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