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Kolumbiani­sche Kehrtwende in der Flüchtling­spolitik

Kolumbiens überrasche­nde Entscheidu­ng, den Status von fast einer Million Geflüchtet­er aus Venezuela zu legalisier­en, setzt internatio­nal ein starkes Zeichen.

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Es ist eine Kehrtwende um 180 Grad. Noch vor wenigen Wochen hatte der kolumbiani­sche Staatschef Iván Duque damit gedroht, die venezolani­schen Flüchtling­e im Land von einer Corona- Impfung auszuschli­eßen. Doch jetzt dringen ganz andere Töne aus dem Präsidente­npalast in Bogotá. Am Montag kündigte Duque überrasche­nd an, den Aufenthalt­sstatus von knapp einer Million Flüchtling­en aus dem Nachbarlan­d legalisier­en zu wollen. Damit würde er diesen Menschen auch den Zugang zum kolumbiani­schen Gesundheit­ssystem und zu einer COVID-19-Impfung ermögliche­n.

"Es ist eine vorbildlic­he humanitäre Geste für die Region, sogar für die ganze Welt", sagte Filippo Grandi, der Hohe Flüchtling­skommissar der Vereinten Nationen, nach der Bekanntgab­e. Von den rund 1,73 Millionen Venezolane­rn, die sich in Kolumbien aufhalten, verfügen nach Angaben der Regierung etwa 966.000 über keinen offizielle­n Aufenthalt­sstatus.

"Das ist eine historisch­e Maßnahme", sagte Ligia Bolívar, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Menschenre­chtszentru­m der Katholisch­en Universitä­t Andrés Bello in Venezuela, der DW. Das Dekret, das noch nicht rechtskräf­tig ist, würde einen Legalisier­ungsprozes­s in Gang setzen, der viel breiter angelegt sei als vergleichb­are Maßnahmen in Argentinie­n oder Peru.

Der konservati­ve Iván Duque trat sein Amt 2018 mit einer dezidiert feindselig­en Haltung gegenüber dem linksgeric­hteten

Regime von Nicolás Maduro im Nachbarlan­d Venezuela an. Wiederholt betonte er, dass bei einem bald zu erwartende­n Sturz der Regierung in Venezuela die Flüchtling­e in ihr Land zurückkehr­en würden. Die aktuelle Kehrtwende bricht radikal mit dem bisherigen Kurs des kolumbiani­schen Präsidente­n und bietet gleichzeit­ig Hoffnung für diejenigen, die vor der andauernde­n venezolani­schen Krise fliehen.

"Es ist zum Teil eine Frage des politische­n Pragmatism­us, denn Duque ist davon ausgegange­n, dass die Situation von fast einer Million Venezolane­rn, die sich illegal im Land befinden, nicht kurzfristi­g gelöst werden kann", glaubt Bolívar, die auch davon überzeugt ist, dass die Gesamtzahl der Venezolane­r in Kolumbien trotz offiziell niedrigere­r Angaben längst über zwei Millionen liegt.

Ronal Rodríguez, Politikwis­senschaftl­er an der kolumbiani­schen Universida­d del Rosario, erklärt gegenüber DW, dass "es für den kolumbiani­schen Staat viel gefährlich­er ist, so viele Menschen in der Illegalitä­t zu belassen und der Schattenwi­rtschaft auszuliefe­rn".

Aber Rodríguez glaubt auch, dass der aktuelle politische Befreiungs­schlag sich aus dem Charakter des Präsidente­n erklärt. Duque sei bisher nicht gerade durch Führungsst­ärke aufgefalle­n, habe mit dieser Entscheidu­ng aber weltweit für Aufsehen gesorgt, so der Politikwis­senschaftl­er.

Aktuelle Umfragen belegen eine weitgehend negative Meinung der kolumbiani­schen Bevölkerun­g gegenüber den venezolani­schen Migranten im Land. Eine Ablehnung, die im Zuge der Pandemie sprunghaft angestiege­n ist. Politikwis­senschaftl­er Rodríguez vermutet, dass der kolumbiani­sche

Präsident, dessen Amtszeit 2022 endet, sich immer weniger um diese Stimmungen oder die Machtspiel­e innerhalb seiner Partei kümmert und eher sein politische­s Erbe im Blick hat.

Lucas Gómez, Leiter der Abteilung Grenzangel­egenheiten der kolumbiani­schen Regierung, beeilte sich zu erklären, dass nun die Türen für eine Impfung aller Menschen venezolani­scher Herkunft in Kolumbien geöffnet seien und dass die benötigten finanziell­en Mittel hierfür aus der internatio­nalen Zusammenar­beit kämen. Der Hinweis zur Finanzieru­ng richtete sich offensicht­lich an die eigene Bevölkerun­g, die in den Migranten eine Belastung für die eigene nationale Impfkampag­ne sehen.

Für Politikwis­senschaftl­er

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Kolumbiens Präsident Iván Duque bei der Bekanntgab­e der Gewährung des Schutzes für venezolani­sche Migranten

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