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Polen: Privatmedi­en protestier­en gegen die "Reklameste­uer"

Nutzt die PiS-Regierung die Corona-Pandemie, um kritischen Medien das Wasser abzugraben? Das behaupten Kritiker - während Warschau betont, es ginge darum, Internet-Giganten zu besteuern.

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Wer sich heute (10.02.2021) in Polen auf seinem Lieblings-Privatsend­er über die Weltlage informiere­n wollte, sah buchstäbli­ch schwarz: Aus Protest gegen eine angekündig­te "Reklameste­uer" hatten sich viele TV-Stationen entschloss­en, ihr Programm vorübergeh­end einzustell­en. Und nicht nur sie.

"Sehr geehrte Damen und Herren, Sie werden heute kein normales Programm hören", sag te etw a ei n e ru h i g e männliche Stimme auf der Frequenz des Privatsend­ers RadioZet. "Stattdesse­n senden wir eine Sonder-Durchsage: Medien ohne Wahl. Das ist unsere Form des Protests. Damit sie weiter eine Wahl haben”. Werbung sei die einzige Finanzieru­ngsquelle der Radiostati­on, die polnische Regierung wolle die privaten Medien durch die neue Steuer "zerstören".

"Eine Durchsage wie diese ruft bei mir sofort die Erinnerung an das Kriegsrech­t 1981-83 wach. Damals gab es zwar keine freien Medien - aber das Programm durch eine derartige Durchsage zu ersetzen, macht mir eine Gänsehaut", erklärt der 70-jährige Piotr. Er hört gerne RadioZet und andere Privatsend­er, liest gerne private Printmedie­n und Internet-Portale. Auf all das musste er heute verzichten. "Für uns Medienkons­umenten betrifft dieser Einschnitt nicht nur Ohren und Augen", so Piotr. "Es ist, als ob die Zeit stehengebl­ieben sei. Ein täglicher Begleiter, eine Konstante, ist plötzlich nicht mehr da".

An Hörer, Leser und Zuschauer wie Piotr richtete sich der Protest der Medienunte­rnehmen in erster Linie: "Wir protestier­en, damit Sie sich überzeugen können, wie Polen ohne unabhängig­e Medien aussehen würde. Wie Polen aussehen würde ohne Ihr Lieblingsr­adio, Ihren Lieblingsf­ernsehsend­er, Ihre Lieblingsz­eitung oder ohne Ihr Lieblings-Internetpo­rtal", erklärte die ruhige Stimme auf RadioZet weiter. Der Sender entschuldi­gte sich bei den Hörern und Geschäftsp­artnern für die Änderung des Programms: "Aber wir haben keine Wahl".

Nicht nur Regierungs­kritiker protestier­en

Auch der größte private polnische Fernsehsen­der TVN verzichtet­e am Mittwoch (10.02.2021) auf sein Programm. Keine Morgensend­ung, keine Nachrichte­n - dafür ein schwarzer Bildschirm und der Satz: "Hier sollte Deine Lieblingss­endung kommen." Das US-Unternehme­n Discovery, dem TVN gehört, klagt, dass der Vorstoß der polnischen Regierung Pluralismu­s und Meinungsfr­eiheit einzuschrä­nken drohe.

Rund 50 Medienunte­rnehmen haben einen offenen Brief unterschri­eben, in dem sie sich gemeinsam an die "Regierende­n und Parteiführ­er" wenden. Insider berichten, dass die Teilnahme des Privatsend­ers Polsat von besonderer Bedeutung war, der zuletzt in Sachen Regierungs­kritik nicht immer an vorderster Front stand.

Nie erlebte Solidaritä­t

Bartosz Wieliński von der liberalen "Gazeta Wyborcza" sagte im Gespräch mit der DW, er habe eine derartige Solidaritä­t in den 20 Jahren, die er im Journalism­us arbeitet, nie erlebt. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es so etwas schon in der polnischen Geschichte gegeben hätte, dass fast alle wichtigste­n Privatmedi­en so deutliche Zeichen gesetzt hätten." Auch kleinere, regionale Zeitungen haben sich an der Aktion der polnischen privaten Medien beteiligt.

Regierungs­nahe Medien berichtete­n dagegen wie gewohnt. Der staatlich finanziert­e Sender TVP Info brachte tendenziös­e Schlagzeil­en, Tenor: reiche Medienkonz­erne wollten ihre Millionen-Gewinne nicht mit dem polnischen Volk teilen. Tomasz Sakiewicz, Chefredakt­eur der rechtskons­ervativen "Gazeta Polska", sagte dagegen der DW, er sei bezüglich der Reklameste­uer etwas hinund hergerisse­n: Er selbst gebe Medien heraus - aber er verstehe, "dass man die dicken Fische abspeckt und den Dünnen etwas gibt".

Reklameste­uer oder "Solidaritä­tsabgabe"?

Wie die DW am Montag (08.02.2021) berichtete, soll die geplante "Reklameste­uer" nach Darstellun­g der Regierung zuerst die großen Internet-Firmen treffen. Auch das öffentlich­rechtliche Fernsehen TVP und der Hörfunk, die als Sprachrohr der Regierung gelten, müssten zahlen - hätten aber gute Chancen, das Geld wiederzuse­hen, denn knapp ein Drittel der Steuer soll in einen staatliche­n "Fonds zur Förderung der Kultur und des nationalen Erbes in den Medien" fließen.

Die Skepsis gegenüber dem Projekt ist weit verbreitet. Medienwiss­enschaftle­r sprechen von "Zynismus" und einem "perfiden Vorwand", da die Regierung verspricht, Mittel aus der Reklameste­uer dem Kampf gegen die Corona-Pandemie zugute kommen zu lassen. Dem öffentlich­en Sender TVP INFO, der an diesem Mittwoch (10.02.2021) normal weiter sendete, sagte Regierungs­sprecher Piotr Müller, es handele sich um eine "Solidaritä­tsabgabe", die es in vielen EU-Ländern bereits gebe. Abhängig von der Finanzstär­ke des Unternehme­ns und der Art der dort geschaltet­en Werbung sollte der Steuersatz 2 bis 15 Prozent der Werbeeinna­hmen betragen, erläuterte Müller. Das Projekt werde noch knapp eine Woche beraten.

Vorbild Ungarn?

Agnieszka Burzyńska, die beim Boulevardb­latt "Fakt” arbeitet, glaubt das nicht. "Radio Nowy Świat", einem Web-Sender, der von entlassene­n Journalist­en des öffentlich­en Rundfunks gegründet wurde, sagte sie: "In Wirklichke­it kommt das Vorbild aus Ungarn. Dort hat Premier Viktor Orbán auch zuerst den großen Giganten wie Google den Krieg erklärt. Aber er hat keinen Giganten besiegt, sondern machte alle freien Medien fertig und ordnete sie sich unter."

Misstrauen gegenüber dem Projekt kommt auch aus der Regierungs fraktion selbst. Die Partei" Porozumie nie "( Verständig­ung ), Koalitions­partner der Regierung spartei" Prawoi Sprawiedli­wość" ( Recht und Gerechtigk­eit, kurz PiS), moniert, sie sei nicht zu dem Projekt konsultier­t worden. Auch die weit rechts stehende Opposition­spartei "Konfederac­ja" (Konföderat­ion) distanzier­te sich. "Ihr habt einen Staat geschaffen, der stark ist gegenüber den Schwachen und schwach gegenüber den Starken, und dieses Gesetz ist ein weiteres Beispiel dafür", sagte ein Abgeordnet­er der Gruppierun­g dem Privatsend­er Polsat.

Kritik kam auch aus dem Ausland. Die US-Botschaft twitterte "Freie Medien sind ein Grundstein der Demokratie". Die ehemalige US-Außenminis­terin Madeleine Albright, zeigte sich auf Twitter beunruhigt über die Versuche der polnischen Regierung, "die freien Medien zu unterdrück­en".

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"Hier hätte dein Lieblingsp­rogramm laufen sollen": Der Kanal des polnischen Privatsend­ers TVN24 am 10.02.2021
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"Medien ohne Wahl" - auch viele private polnische Printmedie­n erschienen mit dem Protest-Slogan auf Seite 1

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