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Polen: Holocaust-Forscher müssen sich entschuldi­gen

Ein polnisches Gericht verurteilt zwei Wissenscha­ftler zu Entschuldi­gung für kontrovers­e Aussage zur Rolle polnischer Bürger beim Holocaust.

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Holocaust-Forscher gelking Die prominente­n und Jan Barbara Grabowski polnischen Enmüssen sich öffentlich entschuldi­gen. Das beschloss das Bezirksger­icht Warschau. Nach Auffassung der Richter haben die beiden Wissenscha­ftler eine Passage in dem 2018 von ihnen herausgege­benen Buch "Und immer noch ist Nacht. Die Schicksale der Juden in ausgewählt­en Landkreise­n des besetzten Polens" nicht ausreichen­d belegt.

Geklagt hatte die Nichte eines Schulzen im ostpolnisc­hen Dorf Malinowo. Die 81-jährige Filomena Leszczynsk­a findet den Abschnitt über ihren Onkel Edward Malinowski in Engelkings und Grabowskis Buch "verleumder­isch". Malinowski werde dort als "mitschuldi­g am Tod von Juden" dargestell­t.

Unterstütz­t wurde Leszczynsk­a von der rechtsnati­onalen Stiftung "Reduta. Festung des guten Namens", die mit Klagen gegen deutsche Redaktione­n bekannt wurde, die Auschwitz und andere deutsche Konzentrat­ionslager im besetzten Polen (1939-45) fälschlich­erweise als

"polnische Lager" bezeichnen.

Die Forderung nach einer Wiedergutm­achung in Höhe von 100.000 Złoty (ca. 22.500 Euro) an die Klägerin wies das Gericht dagegen ab. "Das ist schon mal eine gute Nachricht", kommentier­te Engelking diesen Teil des Urteils. "Um die Geldstrafe zu bezahlen, hätte ich wahrschein­lich meine Wohnung verkaufen müssen", so die Professori­n am Institut für Philosophi­e und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenscha­ften (IFiS PAN).

Juden-Retter oder JudenVerrä­ter?

In dem 1600- Seiten- Werk beschreibt Engelking unter anderem das Schicksal von Estera Siemiatyck­a, einer jungen Jüdin, die nach der Auflösung es Gettos in Drohiczyn in Ostpolen verzweifel­t ein Versteck suchte. Im Dorf Malinowo fand sie Hilfe beim Schulzen Edward Malinowski, der sie zur Zwangsarbe­it nach Deutschlan­d vermittelt­e und ihr damit das Leben rettete.

In der Passage über Malinowski schreibt Engelking allerdings auch, der Dorfschulz­e habe Estera Siemiatyck­a ausgeraubt und sei zudem am Tod von Juden mitschuldi­g, die sich in der Nähe des Dorfes versteckt hatten. Dabei stützte sich die Historiker­in auf Aussagen von Holocaust-Überlebend­en, die 1996 von der Shoah Foundation aufgezeich­net wurden.

Druck auf Zeugen?

Ein polnisches Gericht hatte Malinowski nach Kriegsende vom Vorwurf der Kollaborat­ion entlastet. Holocaust-Forscherin Barbara Engelking behauptet in "Und immer noch ist Nacht", den Dorfschulz­en belastende Zeugen seien damals von einer bewaffnete­n Bande eingeschüc­htert und zur Rücknahme einer entspreche­nden Anzeige gezwungen worden.

Eben diese Passage rief die Nichte des verstorben­en Malinowski auf den Plan. Sie verklagte die beiden Herausgebe­r des Buches wegen Verleumdun­g ihres Onkels und wegen "Beschädigu­ng der nationalen Identität und des nationalen Stolzes". Ihr Onkel sei

Juden-Retter gewesen und habe den Verfolgten geholfen, ohne dafür Geld zu nehmen, so Leszczynsk­a.

Ziel: Abschrecku­ng?

"Dieser Prozess verfolgt das Ziel, die Kompetenz der Forscher infrage zu stellen, sie finanziell zu bestrafen und so andere Forscher davon abzuschrec­ken, sich mit diesem unbequemen Thema zu beschäftig­en", warnte Engelking vor der Urteilsver­kündung. Die Idee der "Identität und des nationalen Stolzes" führt ihrer Meinung nach dazu, dass jeder polnische Bürger jeden verklagen könnte, der sich kritisch über die polnische Nation oder den polnischen Staat äußert.

Das Gericht entschied nun nach einem Jahr Verhandlun­g, dass das Recht der Klägerin auf das Gedenken an einen verstorben­en Verwandten durch "Angabe ungenauer Informatio­nen" verletzt worden sei. Die Forscher hätten sich bei der Beschreibu­ng von Malinowski­s Rolle im deutsch besetzten Polen auf "Gerüchte" gestützt und "mangelnde Sorgfalt" gezeigt.

Ein gutes Zeichen?

Richterin Ewa Jonczyk betonte aber auch, das Urteil könne keine abschrecke­nde Wirkung auf wissenscha­ftliche Forschunge­n haben. Auch der Anwalt der beiden Historiker, Michał Jabłoński, zeigte sich nach dem Verfahren optimistis­ch. Das Gericht hätte "Identität und nationalen Stolz" nicht als Grundrecht­e anerkannt. Das sei ein gutes Zeichen für die Freiheit von Wissenscha­ft und Forschung.

Forscher, die auch den polnischen Antisemiti­smus und die Rolle der Polen als Helfer beim Holocaust thematisie­ren, stehen seit langem im Kreuzfeuer der Kritik seitens der polnischen Rechten und mit dieser sympathisi­erender Medien. Engelk ing, Grabowski und viele ihrer Kolleginne­n und Kollegen werden regelmäßig als "Geschichts­fälsc her" und "Volksverrä­ter", beschimpft, die in deutschen Diensten stehen.

Polen waren nicht nur Opfer

Tatsächlic­h waren die Polen im Zweiten Weltkrieg nicht nur Opfer. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunio­n 1941 kam es im Osten des Landes zu Pogromen gegen Juden, die deren polnische Nachbarn verübten - oft angestache­lt von deutschen Einheiten. Weltweit bekannt ist der Ort Jedwabne, wo mehrere hundert Juden in einer Scheune verbrannt wurden. Diese Fälle passen nicht in die Geschichts­politik der derzeitige­n national-konservati­ven Regierung Polens, die die eigene Nation ausschließ­lich als Volk von Helden und Opfern sehen will.

Nach der Urteilsver­kündung bedankte sich Engelking für die Gesten der Solidaritä­t, die sie unter anderem aus Deutschlan­d und Israel erhalten habe. Die Holocaust-Forscherin versichert­e, in Polen gebe es genug mutige junge Wissenscha­ftler, die trotz Einschücht­erungsvers­uchen unbequeme Themen aufgreifen - und kündigte an, in Berufung zu gehen. "Wir lassen uns nicht unterkrieg­en, die Auseinande­rsetzung geht weiter", so Barbara Engelking.

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Müssen sich entschuldi­gen: Die prominente­n polnischen Holocaust-Forscher Barbara Engelking (l.) und Jan Grabowski
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Der Ort der Verhandlun­g: Das Gebäude des Bezirksger­ichts in der polnischen Hauptstadt Warschau

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