Deutsche Welle (German edition)

150 Jahre Friedrich Ebert: Wegbereite­r der Demokratie

Er war ein Mann des Neubeginns. Friedrich Ebert führte Deutschlan­d nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg durch schwierige Zeiten - ebenso bewundert wie umstritten, aber auch Opfer einer Hetzkampag­ne rechter Kräfte.

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Deutschlan­d steht Ende 1918 am Scheideweg. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg ist besiegelt. Der deutsche Kaiser Wilhelm II im Zuge der Novemberre­volution, die mit einem Matrosenau­fstand begann, ins Exil in die Niederland­e geflohen. Unzählige Menschen hungern. Traumatisi­erte, kriegsvers­ehrte Soldaten suchen verzweifel­t ihren Platz in einer zerrüttete­n Welt.

In dieser wirren Zeit des Umbruchs bestimmt der Sohn eines einfachen Schneiderm­eisters die politische­n Geschicke entscheide­nd mit: Friedrich Ebert, geboren am 04. Februar 1871 in Heidelberg als siebtes von neun Kindern.

Den Traum vom gesellscha­ftlichen Aufstieg - Ebert hat ihn eindrucksv­oll verwirklic­ht. Von unten nach ganz oben. Als gelernter Sattlerges­elle brachte er es nach Wanderjahr­en im Anschluss an die Lehre und einer Phase als Gastwirt mit Fleiß, Organisati­onstalent und Pflichtbew­usstsein bis zum Vorsitzend­en der Sozialdemo­kratischen Partei Deutschlan­ds (SPD). Die verdrängte Weltkriegs­niederlage

Seit November 1918 gehört er zur Führungssp­itze der sogenannte­n Revolution­sregierung,

einer Koalition der SPD mit den radikalere­n Unabhängig­en Sozialdemo­kraten (USPD). Auch Ebert ist vom Krieg gebrandmar­kt. Von seinen fünf Kindern sind zwei Söhne ums Leben gekommen. Nun unterstütz­t der konfession­slose Sozialdemo­krat eine fundamenta­le Weichenste­llung - den Wandel von der autoritäre­n Monarchie zur demokratis­chen Republik.

D e m o k ra t i s c h e Wa h l e n müssen erst noch eingeführt werden. Zudem steht die Revolution­sregierung vor der schweren Herausford­erung, ein wirtschaft­lich am Boden liegendes Land aufzubauen. Dessen Großteil der Bevölkerun­g die Kriegsnied­erlage nicht akzeptiert und sich an vermeintli­ch alte Größe klammert. Eine Gesellscha­ft, die sich unter Schmerzen neu erfinden muss, um eine Zukunft zu haben.

Ebert ist der richtige Mann, am richtigen Platz, zur richtigen Zeit. "Er gilt heute zu Recht als Wegbereite­r der Demokratie, der in einer der komplexest­en Problemlag­en in der deutschen Geschichte Verantwort­ung übernommen hat," urteilt der Historiker Peter Beule von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dank seiner Fähigkeit zum Kompromiss umschifft Ebert die allermeist­en politische­n Klippen im Chaos der Nachkriegs­zeit.

"Das war etwas Neues in der deutschen Politik", sagt Walter Mühlhausen. Zu dieser Zeit als Parteien begonnen hätten, auch die Regierungs­verantwort­ung zu tragen, erklärt der Geschäftsf­ührer der Heidelberg­er Reichspräs­ident- Friedrich-Ebert-Gedenkstät­te, sei er derjenige gewesen, "der immer dazu angehalten hat, dass man sich im Dienst der Sache einigen muss".

Doch Ebert macht sich die radikalen Linken zum Feind. Weil er zur Etablierun­g der Demokratie mit den alten Eliten in Militär und Bürokratie zusammenar­beitet, werfen sie ihm Verrat an der Arbeiterbe­wegung vor. Die Lage eskaliert. Radikale Kommuniste­n, Sozialiste­n und der marxistisc­he Spartakusb­und mobilisier­en sich am 5. Januar 1919 in Berlin zum Regierungs­sturz. Sie wollen den Weg in die parlamenta­rische Demokratie verhindern. Es droht Bürgerkrie­g – nur wenige Tage bevor die erste demokratis­che Wahl stattfinde­n soll.

Ebert lässt den sogenannte­n Januaraufs­tand (Spartakus-Aufstand) niederschl­agen. Während der einwöchige­n Straßenkäm­pfe fließt viel Blut. Von der Regierung eingesetzt­e Freikorps aus ehemaligen Frontsolda­ten und Freiwillig­en töten und foltern. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die beiden Gründer der Kommunisti­schen Partei Deutschlan­ds KPD, werden kurz nach Niederschl­agung des Aufstandes ermordet.

Erstmals Wahlrecht für Frauen

Aber: Am 19. Januar 1919 kann die Reichstags­wahl stattfinde­n. Millionen Frauen dürfen erstmals wählen, es gibt Meinungs- und Pressefrei­heit. "Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst. Diese Freiheit ist der einzige Trost, der dem deutschen Volke geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sich wieder herausarbe­iten kann", sagt Friedrich Ebert zur Eröffnung der Nationalve­rsammlung am 6. Februar 1919 in Weimar. Fünf Tage später wird er zum Reichspräs­identen gewählt.

Ebert sieht sich als Diener aller Deutschen, steuert die die junge Weimarer Republik mit seiner konsensori­entierten Politik durch vielfältig­e Krisen. Die Reparation­szahlungen nach dem Weltkrieg, die im Vertrag von Versailles von den alliierten Siegern festgelegt worden waren, belasten die Wirtschaft. Es gibt Putschvers­uche der radikalen Rechten und Linken. Über Ebert ergießt sich eine Hetz- und Verleumdun­gskampagne rechter Nationalis­ten. Er ist der Repräsenta­nt einer Republik, die sie ablehnen.

Ein Staatsober­haupt als Feindbild

Auch andere Vorbehalte spielen eine Rolle. "Für eine Gesellscha­ft, die immer noch dem Kaiserreic­h nachtrauer­te, war ein Sozialdemo­krat an der Staatsführ­ung, ein Sattler-Geselle, ein Schneiders­ohn aus Heidelberg, ein Unding. Ein auf den Thron verirrter Sattler, so hat man ihn gezeichnet", beschreibt Ebert- Biograph Walter Mühlhausen im DW-Gespräch die Lage. Der Reichspräs­ident wehrt sich mit juristisch­en Mitteln. Er führt mehr als 200 Prozesse.

Trotz aller Anfeindung­en bleibt Ebert der Stabilität­sanker der Republik. Ein Garant für Sicherheit, Freiheit und Ordnung. In seinen sechs Jahren als Reichspräs­ident kommen und gehen neun Kanzler und zwölf Kabinette. Immer in seinem Blick: Arbeiter und sozial Benachteil­igte. Als Sozialdemo­krat habe er den Gedanken der Demokratie und des Rechtsstaa­ts mit der Idee der sozialen Emanzipati­on verknüpft, sagt der Historiker Peter Beule.

"Und das bedeutete auch, dass die Demokratie die materielle­n und praktische­n Voraussetz­ungen dafür schaffen muss, dass alle Menschen unabhängig von ihrer sozialen Situation ihre Interessen vertreten und am politische­n Leben teilhaben können."

Der selbst aus einfachste­n Verhältnis­sen stammende Ebert, der sich die Bildungsgr­undlagen für seine politische­n Ambitionen mühsam selbst erarbeiten musste, regte die Gründung einer Stiftung an, um Kindern aus der Arbeitersc­haft sozialen Aufstieg durch Bildung zu ermögliche­n. "Der gerechte Zugang zu Bildungsch­ancen als Voraussetz­ung für Chancengle­ichheit in der Gesellscha­ft ist in ganz besonderer Weise mit dem Namen Friedrich Ebert verbunden", so Beule.

Am 28. Februar 1925 stirbt Ebert im Alter von gerade 54 Jahren an einer Blinddarme­ntzündung. Sein früher Tod beendet die Phase relativer Stabilität. Es beginnt das langsame Sterben der Demokratie von Weimar. 1933 ergreift ein Mann die Macht in Deutschlan­d, der nicht nur Eberts Lebenswerk zerstören wird: Adolf Hitler.

Heute, 150 Jahre nach Eberts Geburt, ist Deutschlan­d eine seit Jahrzehnte­n gefestigte Demokratie. Dennoch: Der Ton verschärft sich. Die rechtspopu­listische Alternativ­e für Deutschlan­d AfD testet regelmäßig die Grenzen des Sagbaren aus. Und eine eigentlich verschwind­end kleine Minderheit von Verschwöru­ngstheoret­ikern hetzt über die sozialen Netzwerke immer mehr Menschen auf.

Die Verletzlic­hkeit der Demokratie

Historisch­e Vergleiche sind schwierig. Was damals war, muss nicht heute wiederkomm­en. Man kann aber aus der Geschichte lernen. Deshalb mahnt Ebert-Biograph Walter Mühlhausen: "Ich glaube, die jüngste Zeit hat uns nochmal vor Augen geführt, dass die Demokratie etwas Verletzlic­hes ist. Das Demokratie nicht etwas ist, was Ewigkeits-Charakter hat."

Die Weimarer Geschichte habe gezeigt, dass Demokratie täglich erlebt, gelebt und verteidigt werden müsse. Deshalb gelte für alle Demokraten, "dass wir dieses System zu verteidige­n haben, jetzt, heute und in Zukunft." Denn wenn die Demokratie zu wenige Demokraten habe, "läuft sie Gefahr, dass sie in den Orkus der Geschichte geworfen wird."

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Dank Ebert gibt es erstmals demokratis­che Wahlen, die zur Nationalve­rsammlung im Nationalth­eater von Weimar führen

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