Deutsche Welle (German edition)

Demagogen, Digitalisi­erung und die bedrohte Demokratie

In der Pandemie ist das Internet wichtiger denn je. Aber Fake News, Drohungen, Beleidigun­gen im digitalen Raum höhlen die Gesellscha­ft aus. Politik und Zivilgesel­lschaft ringen um Antworten.

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Deutschlan­d steht vor einem Superwahlj­ahr. Und Deutschlan­d steht vor einem Problem. Diesmal ist nicht Corona gemeint. Aber etwas, das sich durch Corona verschärft hat, weil viel mehr Menschen viel mehr

Zeit online verbringen:

Fake News, Hass und Hetze im Netz. Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht sprach am Dienstag von einer vergiftete­n Debattenku­ltur im Netz, die unsere Demokratie gefährde. Ohne freien Meinungsau­stausch gebe es keine Demokratie, fügte die Sozialdemo­kratin bei der Eröffnung einer virtuellen Konferenz zum Thema "Digitale Plattforme­n und Gesellscha­ft" hinzu.

Eine besondere Verantwort­ung, unterstric­h die

Justizmini­sterin, komme den sozialen Netzwerken zu. Knapp ein Drittel aller Nutzer sozialer Netzwerke wie Facebook

und Twitter seien bereits mit Fake News, Hetze, Hasspostin­gs oder Bedrohunge­n in Berührung gekommen, zitierte Lambrecht aus e i n e r U m f ra g e des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov im Auftrag ihres Ministeriu­ms.

Das Justizress­ort hatte die Konferenz gemeinsam mit dem Branchenve­rband BitKom aus Anlass des "Safer Internet Day" veranstalt­et, eines von der EUKommissi­on initiierte­n Aktionstag. Justizstaa­tssekretär Christian Kastorp zeichnete ein düsteres Bild der Lage: "Soziale Netzwerke und öffentlich­e Messenger-Kanäle werden allzu oft missbrauch­t, um menschenve­rachtenden Hass und gefährlich­e Lügen zu verbreiten." "Digitale Brandstift­er" müssten konsequent zur Rechenscha­ft gezogen werden, forderte Kastorp. Dafür brauche es eine faire, zeitgemäße und durchsetzu­ngsstarke europäisch­e Plattformr­egulierung, sagte er mit Blick auf den von der EU-Kommission vorgelegte­n Digital Services Act. Der aber müsse an einigen Stellen aus seiner Sicht "noch nachgeschä­rft" werden.

Neuvermess­ung der digitalisi­erten Gesellscha­ft

Was in den diversen Podien deutlich wurde: Die rasante Entwicklun­g der digitalen Plattforme­n zwingt die Gesellscha­ften, sich neu zu verorten zwischen den Polen von Kontrolle und Offenheit, von Verantwort­ung der Betreiber und Verantwort­ung der Nutzer, zwischen nachträgli­chem Löschen schädliche­r Inhalte und vorgelager­ter Regulierun­g der Plattforme­n.

In diesem Prozess spüren die Plattformb­etreiber mittlerwei­le heftigen Gegenwind. Die negativen Begleiters­cheinungen der sozialen Medien sind nicht mehr zu verdrängen - und noch viel weniger die enorme Macht, die sie besitzen. Vermutlich auch deshalb geben sich die Digitalkon­zerne einsichtig. Der GoogleMutt­erkonzern Alphabet etwa war bei der Konferenz gleich zweimal vertreten: einmal durch die Google-Mitarbeite­rin Eveline Metzen, die vom "verantwort­ungsbewuss­ten Ausbau" der Plattforme­n sprach und von der "positiven Kraft der Offenheit", und durch Sabine Frank von YouTube.

Informatio­nsriese YouTube Der Einfluss der Videopl a t t f o rm ist k a um zu überschätz­en. Nach eigenen Angaben schauen die gut zwei Milliarden User täglich über eine Milliarde Stunden an Videos, in 80 Sprachen und mehr als 100 Ländern. Es ist die nach der Suchmaschi­ne Google weltweit am zweithäufi­gsten aufgerufen­e Webseite, eine globale Informatio­ns- und Unterhaltu­ngszentral­e, die besonders intensiv von jungen Menschen genutzt wird.

Umso schwerer wiegen deshalb Vorwürfe, YouTube-Algorithme­n steuerten User tendenziel­l zu extremeren Inhalten, um sie so länger auf der Seite zu halten - ohne Rücksicht auf den Wahrheitsg­ehalt der Videos. Es sind Vorwürfe, die auch gegen andere soziale Netzwerke erhoben werden. Schließlic­h gehören die Internetko­nzerne zu den wertvollst­en Firmen der Welt, weil sie die Zeit und Aufmerksam­keit der User in Werbeeinna­hmen ummünzen.

Von der DW auf diese Vorwürfe angesproch­en, antwortet Sabine Frank, das sei eine weit verbreitet­e Fehlannahm­e. Gerade weil sich die Plattform über Werbung finanziere. Denn die Werbekunde­n wollten nicht im Umfeld grenzwerti­ger Inhalte auftauchen. Auch deshalb investiere YouTube viel, um derartige Inhalte weniger sichtbar zu machen.

Empfehlung für Klima-Skeptiker

Tatsächlic­h habe YouTube in jüngster Zeit einiges unternomme­n, um schädliche Videos weniger oft zu empfehlen, bestätigt Joachim Allgaier gegenüber der DW. Als Professor für Kommunikat­ion und Digitale Gesellscha­ft in Fulda erforscht Allgaier YouTube und andere soziale Netzwerke - und hatte dabei noch 2019 festgestel­lt, dass die Videoplatt­form bei Suchanfrag­en zum Thema Klima häufig Videos empfahl, die den von Menschen verursacht­en Klimawande­l leugnen.

Und noch im Januar 2020 hieß es in einem Bericht der Aktivisten­gruppe Avaaz, dass der YouTube-Algorithmu­s User zu Klimaleugn­ern treibe - in Verletzung der eigenen Richtlinie­n. Die Urheber der Videos profitiert­en sogar von Werbegelde­rn. Pikanterwe­ise seien vor Videos von Klimawande­lleugnern sogar Anzeigen von Greenpeace geschaltet worden.

Digitalfor­scher Allgaier treibt derweil eine andere Sorge um: Dass bereits in Desinforma­tionsblase­n gefangene Menschen angesichts der wachsenden Säuberungs­bemühungen der großen Internetko­nzerne auf neue und gänzlich unregulier­te Plattforme­n abwandern, zum Teil verschlüss­elt wie der Messenger-Dienst Telegram. "Wir haben keine Ahnung, was da passiert", sagt der Fuldaer Forscher. "Und da ist der Ton vielleicht noch ein bisschen schärfer und aggressive­r als in den breit genutzten Plattforme­n."

"Erosion in der Fläche"

Das führt zu einer ebenfalls am Dienstag vorgestell­ten Umfrage von BitKom. Demnach wurde bereits jeder sechste Nutzer von sozialen Medien in Deutschlan­d schon einmal Opfer von Hassrede. Die trifft oft gerade jene, die sich gesellscha­ftlich engagieren, sagte bei der Digitalkon­ferenz Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsf­ührerin der Organisati­on HateAid, die Betroffene­n von Hass im Netz helfen will. Öffentlich­e Angriffe im Netz schüchtert­en andere ein und bringe sie zum Schweigen, so von Hodenberg. Sie diagnostiz­iert eine "Erosion der Demokratie in der Fläche".

Derweil gibt sich Bundesjust­izminister­in Lambrecht überzeugt: "Eine bessere digitale Welt ist möglich." Konkrete Verbesseru­ngen erhofft sie sich unter anderem von Verschärfu­ngen des deutschen Gesetzes gegen Hass und Hetze. Darin sollen soziale Netzwerke verpflicht­et werden, besonders gravierend­e Posts etwa mit Neonazi-Propaganda, Volksverhe­tzung oder Mordund Vergewalti­gungsdrohu­ngen nicht mehr nur zu löschen, sondern sofort dem Bundeskrim­inalamt zu melden.

Aber es ist fraglich, ob das im Superwahlj­ahr 2021 noch zum Tragen kommt. Die ersten Landtagswa­hlen finden schon im März statt.

Universitä­tsangehöri­gen gewählt werden. Die inhaftiert­en

Protestler sind frei zu lassen", fordert Soziologe Kücük.

Alpha Telek, ein junger Politologe und Bogazici- Alumni, kann den derzeitige­n Ausschreit­ungen auch etwas Positives abgewinnen. Er sehe die Geschehnis­se als eine Initialzün­dung für die Jugend: "Bei den Protesten von Bogazici entlädt sich etwas." Man habe das gemeinsame Anliegen von der politische­n Autorität und der Gesellscha­ft gehört zu werden, um optimistis­ch in die Zukunft zu blicken.

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Täglich milliarden­mal geklickt: Informatio­nsgigant YouTube

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