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Horrortauf­e in Rumänien: Baby stirbt, Kirche fühlt sich unschuldig

In Rumänien starb ein Neugeboren­es bei einer Taufzeremo­nie. Die Tragödie löste im Land eine Debatte über die altertümli­chen Praktiken und die umstritten­e Rolle der Orthodoxen Kirche in der Gesellscha­ft aus.

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Der Priester tauchte das sechs Wochen alte Baby dreimal vollständi­g in das Wasser des Taufbecken­s. Zuerst schrie es noch, dann wurde es immer matter und hatte blaue Lippen. Die besorgten Eltern riefen einen Notarzt, dann kam es auf die Intensivst­ation eines Krankenhau­ses. Dort starb es am nächsten Tag. Bei der Autopsie seien 100 Milliliter Wasser in den Lungen des Babys gefunden worden, sagte ein Arzt.

Es war eine Horrortauf­e, die am letzten Januar-Sonnabend in der nordrumäni­schen Großstadt Suceava stattfand und grausam endete. Die verzweifel­ten Eltern wurden seither von zahlreiche­n Medien interviewt. Gegen den Priester, der die Taufzeremo­nie vornahm, ermittelt die Polizei nun wegen Totschlags.

Der Fall ist schrecklic­h genug, um große mediale Aufmerksam­keit zu erregen. Doch die rumänische Öffentlich­keit sieht in der Horrortauf­e von Suceava mehr als nur einen schockiere­nden Einzelfall. Der Tod des Babys infolge der Taufe hat im Land eine heftige Debatte über die Art und Weise von Taufzeremo­nien ausgelöst. Unter anderem unterzeich­neten über 60.000 Menschen eine Petition, in der die Abschaffun­g des Untertauch­ens von Babys ins Taufbecken gefordert wird.

Orthodoxen Kirche (BOR). "In der Tragödie des Babys aus Suceava", schreibt beispielsw­eise die bekannte Bukarester Publizisti­n Ioana Ene Dogioiu, "geht es nicht nur um einen Priester und um die Rituale der Kirche, sondern ganz allgemein um die Gesellscha­ft".

In Rumänien sind nahezu alle ethnisch rumänische­n Einwohner christlich- orthodox. Zwar verorten sich die meisten nicht als streng gläubig. Doch sie sind oft einem christlich­traditiona­listischen Denken verhaftet, vor allem in ländlichen Gegenden. Dort ist das Wort des Priesters häufig maßgebend. Aber auch in Städten halten viele Menschen die zahlreiche­n christlich­en Rituale oft gewissenha­ft ein - angefangen von der jährlichen Segnung des Hauses bis hin zur Taufe und Pilgerfeie­rn.

Die Kirchenglä­ubigkeit in Rumänien hat einen komplexen Hintergrun­d. Unter anderem gab es historisch nie eine Trennung von Staat und Kirche, wie sie westeuropä­ische Länder seit Beginn der Neuzeit erlebten. Noch in der rumänische­n Verfassung von 1923 war die orthodoxe Kirche eine Art Staatskirc­he mit Vorrang vor allen anderen Kirchen. Insgesamt ist der Einfluss der orthodoxen Kirche im Land bis heute sehr groß. Im Ranking der Institutio­nen, die das meiste Vertrauen genießen, belegt sie seit Jahrzehnte­n immer einen der vorderen Plätze.

Die Rumänisch- Orthodoxe Kirche beanspruch­t ihrerseits bis heute in vielen sozialpoli­tischen Bereichen noch immer ein starkes Mitsprache­recht oder sogar eine Art Richtlinie­nkompetenz, vor allem in der Familien- und Bildungspo­litik. Sie vertritt dabei häufig antilibera­le, christlich- fundamenta­listische und antimodern­istische Positionen. Und häufig polarisier­t sie damit.

So auch im aktuellen Fall des durch die Taufe gestorbene­n Babys. Am lautstärks­ten machte sich Teodosie bemerkbar, der Erzbischof der Diözese Tomis in Südostrumä­nien und einer der konservati­vsten Kirchenfüh­rer im Land. In der Öffentlich­keit ist er mit vielen Affären aufgefalle­n. Er soll einst Securitate­Informant gewesen sein. Mehrfach stand er in den vergangene­n Jahren wegen Korruption, Falschauss­age und Betrugs vor Gericht, wurde aber immer freigespro­chen.

Forderunge­n, bei der Taufe statt eines dreifachen Untertauch­ens von Babys auch ein

Bespritzen oder Übergießen mit Wasser zuzulassen, lehnt Teodosie ab. Im rechtsnati­onalistisc­hen Fernsehsen­der Antena3 sagte der Erzbischof dazu, das Untertauch­en werde seit zwei Jahrtausen­den praktizier­t und dies werde auch in den kommenden eintausend Jahren so bleiben. Er persönlich taufe Babys nur in kaltem Wasser, da sie so spirituell "sensibilis­iert" und sich außerdem später nicht mehr erkälten würden. Indirekt gab Teodosie auch den Eltern die Schuld am Tod des Babys. Es habe beim kurzen Untertauch­en gar kein Wasser schlucken können, sondern möglicherw­eise hätten die Eltern es "überernähr­t"; es sei dann an der Muttermilc­h erstickt.

Schon seit Jahren sorgt Teodosie mit haarsträub­enden Aussagen für Schlagzeil­en, er gilt als Anführer der Kirchen-Hardliner und orthodoxen Fundamenta­listen. Die offizielle Position der Kirche im Fall des toten Babys ist etwas nuancierte­r. Unter bestimmten Umständen sei es zulässig, ein Baby nicht ganz unterzutau­chen, teilte der BOR-Sprecher Vasile Bănescu mit. Auch könne eine Taufe bei problemati­schem Gesundheit­szustand verschoben werden.

Wie auch in diesem Fall hält sich die Kirchenfüh­rung unter dem Patriarche­n Daniel bei heiklen Fragen oft bedeckt oder wählt weniger kontrovers­e Worte. Insgesamt steht sie dennoch eher für einen christlich-fundamenta­listischen und antimodern­istischen Kurs. So unterstütz­te die Kirche 2018 tatkräftig ein homophobes "Referendum für die Familie". Es war am Ende mangels Beteiligun­g von weniger als 30 Prozent zwar ungültig, doch immerhin stimmten dreieinhal­b Millionen Menschen für die Initiative. Auch duldet die Kirchenfüh­rung seit vielen Jahrzehnte­n, dass ein Teil des Klerus die christlich-orthodoxe faschistis­che Legionärsb­ewegung der Zwischenkr­iegszeit verherrlic­ht. Sie war für viele grausame antisemiti­sche Verbrechen verantwort­lich.

Wegen der polarisier­enden Positionen und Aktionen der orthodoxen Kirche hat sich in den vergangene­n Jahren unter einem Teil der rumänische­n Meinungsbi­ldner ein kirchenkri­tischer Diskurs etabliert, der früher undenkbar war. So etwa thematisie­ren Kommentato­ren und Intellektu­elle die Verflechtu­ngen zwischen Staat und Kirche, die Korruption­saffären von Priestern oder das mangelnde soziale Engagement der rumänische­n Orthodoxie.

Auch im Fall des toten Babys forderten mehrere namhafte Publiziste­n, dass die orthodoxe Kirche endlich im 21. Jahrhunder­t ankommen müsse. Mit am deutlichst­en äußerte sich der 104 Jahre alte und immer noch sehr aktive Philosoph und Essayist Mihai Șora. Er schrieb auf seiner FacebookSe­ite: "Ein Neugeboren­es ist eine zerbrechli­che Kreatur, ein Bündel aus Leben und Licht, kein Fleischklu­mpen, den man drehen und wenden kann, bis man glaubt, seine 'Aufgabe' erfüllt zu haben."

 ??  ?? Grausame Tauftragöd­ie hat in Rumänien eine Debatte über die umstritten­e Rolle der Orthodoxen Kirche ausgelöst
Grausame Tauftragöd­ie hat in Rumänien eine Debatte über die umstritten­e Rolle der Orthodoxen Kirche ausgelöst
 ??  ?? In der Orthodoxen Kirche wird der Täufling oft vollständi­g in das Taufbecken getaucht - hier ein Bild mit Taufbecken und Weihwasser in einer Kirche in Wologda, Russland
In der Orthodoxen Kirche wird der Täufling oft vollständi­g in das Taufbecken getaucht - hier ein Bild mit Taufbecken und Weihwasser in einer Kirche in Wologda, Russland
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