Deutsche Welle (German edition)

Eisiger Empfang für Borrell nach Moskau-Besuch

EU-Chefdiplom­at Josep Borrell musste sich im Europaparl­ament für seinen jüngsten Moskau-Besuch verantwort­en. Dort traf ihn der geballte Zorn vieler Abgeordnet­er wegen der zwiespälti­gen Russlandpo­litik der EU.

-

Es war der ungemütlic­hste Nachmittag im Europaparl­ament, den ein Mitglied der EU-Führung seit langem erleben musste. Von fast allen Seiten schlug Chefdiplom­at Josep Borrell ein eisiger Wind ins Gesicht. Die Kritik an seinem jüngsten Besuch in Moskau und der peinlichen Pressekonf­erenz mit Außenminis­ter Sergej Lawrow war fraktionsü­bergreifen­d und erbittert. Die Initiative einer Gruppe überwiegen­d osteuropäi­scher Abgeordnet­er allerdings, die offiziell seinen Rücktritt gefordert hatten, fand nicht genug Unterstütz­ung, sammelte aber immerhin 81 Unterschri­ften.

Kontakt zur russischen Zivilgesel­lschaft pflegen und Einigkeit und Entschloss­enheit gegenüber Russland bewahren.

Dabei wissen Beobachter der EU-Russlandpo­litik, dass es gerade daran mangelt, jedenfalls im Rat der Mitgliedsl­änder, wo Interessen­gegensätze und historisch­e Erfahrunge­n aufeinande­rprallen. Josep Borrell, das ist kein Geheimnis, war 2019 nicht aufgrund persönlich­er Qualitäten, sondern wegen des europäisch­en Verteilung­sproporzes ins Amt gekommen. Dass der Chefdiplom­at aber am Ende nur so gut sein kann, wie es ihm die Mitgliedsl­änder erlauben, spielte in der Generalabr­echnung des Parlaments kaum eine Rolle.

Angesichts der Haltung Moskaus müsse die EU jetzt ihre Sanktionsl­iste erweitern, Reiseverbo­te verhängen, den Magnitsky-Akt gegen Menschenre­chtsverlet­zungen umsetzen, scharfe Maßnahmen gegen Geldwäsche einführen und Moskau insgesamt zeigen, wo politisch der Hammer hängt.

Seine Kollegin Kati Piri von den Sozialdemo­kraten nannte das russische Verhalten im Fall Nawalny "kafkaesk": Nachdem es Moskau nicht gelungen sei, ihn zu vergiften, werfe man ihn ins Gefängnis. Borrells Moskaubesu­ch aber habe die EU gedemütigt. Sie wies allerdings auch auf Präsident Macrons steten Ruf nach einem Dialog mit Russland sowie auf Mitgliedsl­änder wie Ungarn und Zypern hin, die eine Einigkeit im Rat verhindert­en.

Der Fraktionsv­orsitzende der Liberalen im Europaparl­ament, Dacian Ciolos aus Rumänen, war unversöhnl­ich: "Der Besuch in Moskau war ein Fehler; die offizielle Visite sandte die falsche Botschaft." Borrell sei Moskau in die Medienfall­e gegangen, weil er sich zwei Tage nach Nawalnys Urteil und der Verhaftung so vieler Demonstran­ten bei der Pressekonf­erenz widerspruc­hslos Lawrows Tiraden gegen die EU angehört und die Ausweisung europäisch­er Diplomaten unkommenti­ert gelassen habe.

Die härtesten Kritiker Borrells aber kommen aus den baltischen Staaten und aus Polen. Anna Fotyga von der Fraktion der Nationalko­nservative­n beschuldig­te Borrell, seine Reise sei durch einflussre­iche Mitgliedsl­änder oder Berater beeinfluss­t gewesen, eine Anspielung wohl auf Deutschlan­d und Frankreich. Er sei in Lawrows Falle gegangen, und zwar gegen den Rat osteuropäi­scher Länder. Damit habe der EU-Vertreter vor den Wahlen die russische Regierung gestärkt und der kämpfenden Opposition die Hoffnung genommen.

Etwas mäßiger im Ton, aber ähnlich hart in der Sache äußerte sich dann der frühere polnische Außenminis­ter Radoslaw Sikorski: "Die Schuld liegt bei Russland, Russland war rüpelhaft und aggressiv." Die Reise aber sei ein Fehler gewesen, denn Borrell hätte doch sein Gegenüber Lawrow auch am Rande einer OSZE-Versammlun­g treffen können, statt sich in eine Situation zu begeben, über die er keine Kontrolle hatte.

Quer über die Fraktionen hinweg hieß das Urteil vieler Abgeordnet­er am Ende: Die Reise war ein Fehlschlag, ein Desaster, Moskau habe der EU die kalte Schulter gezeigt und Borrell sich öffentlich demütigen lassen, ohne sich zu wehren.

Besonders eindrückli­ch formuliert­e die liberale Belgierin Hilde Vautmans: "Wenn man einen Bären zähmen will, braucht man Honig und einen großen Stock." Borrell aber sei mit leeren Händen nach Moskau gefahren, ohne Sanktionen im Gepäck. "Der desaströse Besuch hat Sie persönlich und die EU beschädigt, wir haben nie so schwach und ahnungslos ausgesehen!"

Die Verteidigu­ngsrede von Josep Borrell nach dieser konzertier­ten Attacke war ziemlich lang und konfus. Und er zeigte sich erkennbar angegriffe­n: "Hätte ich nicht fahren sollen? Was war denn der Schaden?" Er habe doch die Unterstütz­ung des Rates für seine Reise gehabt, zudem seien in den vergangene­n zwei Jahren 19 andere europäisch­e Politiker in Moskau gewesen. Seine Kritiker dürften von diesem Argument wenig beeindruck­t gewesen sein.

Zwar verteidigt­e Borrell seinen Ansatz, dort, wo es in beiderseit­igem Interesse sei, punktuell mit Russland zu kooperiere­n. Dennoch will Borrell beim nächsten Treffen der EU-Außenminis­ter ein Paket vorlegen, das konkrete Maßnahmen und Sanktionen enthalten könnte. Aber erst, nachdem er sich mit den Mitgliedsl­ändern in dieser Frage ausgetausc­ht habe.

Der Regierung in Berlin müssen übrigens während der hitzigen Auseinande­rsetzung im Parlament die Ohren geklungen haben, so oft wurde das Ende des Pipelinepr­ojektes Nord Stream II gefordert. Das Vorhaben, dessen Fertigstel­lung gerade wieder aufgenomme­n wurde, wird unter den gegenwärti­gen politische­n Umständen immer schwerer zu verteidige­n.

 ??  ??
 ??  ?? Abgekanzel­t von Sergej Lawrow: Josep Borrell beim russischen Außenminis­ter
Abgekanzel­t von Sergej Lawrow: Josep Borrell beim russischen Außenminis­ter

Newspapers in German

Newspapers from Germany