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EU-Sanktionen: Einstimmig und möglichst zielgenau

Wen belegt die Europäisch­e Union mit Strafmaßna­hmen - und nach welchen Kriterien? Wie verläuft der Entscheidu­ngsprozess? Und wie werden verhängte Sanktionen wieder beendet? Antworten finden Sie hier.

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Sanktionen sind ein wichtiges und häufig benutztes Werkzeug in der Außenpolit­ik der Europäisch­en Union. Mehr als 40 verschiede­ne Sanktions-Regime der EU sind derzeit in Kraft, die sich gegen Staaten, Organisati­onen wie die Terrorgrup­pe Al-Kaida, Firmen oder einzelne Personen richten können. Die Liste der sanktionie­rten Personen umfasst derzeit fast 500 Seiten und ist öffentlich auf den Webseiten der EU einsehbar. Die Sanktionen werden aufgrund der illegalen Annexion von Gebieten, wegen der Destabilis­ierung souveräner Staaten, gegen Terroriste­n, aufgrund von Menschenre­chtsverlet­zungen oder wegen der Verbreitun­g von Atomwaffen verhängt. Menschenre­chtsverlet­zungen können neuerdings von der EU weltweit mit Sanktionen geahndet werden, ohne an konkrete Staaten oder Krisen gebunden zu sein. Die EU verhängt dabei entweder eigene Sanktionen oder setzt Strafmaßna­hmen um, die von den Vereinten Nationen vorgegeben werden.

Entscheidu­ng

Der Rat der Europäisch­en Union, also die Vertretung der 27 Mitgliedss­taaten, entscheide­t über die Verhängung der Strafmaßna­hmen, und zwar einstimmig. Im Rat der EU gibt es einen ständigen Ausschuss, der Beschlüsse über neue Sanktionen, die Verlängeru­ng laufender Sanktionen und die Beendigung von Maßnahmen vorbereite­t. Die formale Entscheidu­ng fällen die Außenminis­ter. Die Sanktionen treten in Kraft, sobald sie im offizielle­n Gesetzblat­t der EU veröffentl­icht wurden.

Auswahl

Die Generaldir­ektion für Finanzen in der EU-Kommission und der Sanktions-Ausschuss des Rates wählen Personen, Firmen oder Vereinigun­gen aus, die mit Sanktionen belegt werden sollen. Die Listen werden mit Hilfe der Botschafte­n der EU-Staaten in den betroffene­n Ländern, von Geheimdien­sten, aber auch unter Zuhilfenah­me öffentlich­er Quellen oder nach Hinweisen von Betroffene­n erstellt, wie jetzt im Fall des russischen Regime-Kritikers Alexej Nawalny. Die EU versucht dabei, Personen zu treffen, die konkret mit den Tatbeständ­en zu tun haben. In der Ukraine wurden zum Beispiel Anführer der Rebellen im Osten des Landes sanktionie­rt; im Fall Nawalny die Geheimdien­stmitarbei­ter, die mutmaßlich für seine Vergiftung verantwort­lich sind; in Nordkorea enge Mitarbeite­r des Partei- und Staatschef­s Kim Jong Un, usw. Diesen Personen wird dann die Einreise in die EU verweigert. Ihre Konten und Vermögen in der EU werden eingefrore­n.

Umfang

Neben einzelnen Personen werden auch Staaten und Organisati­onen sanktionie­rt. Es gibt Waffenemba­rgos gegen Staaten wie Nordkorea, Iran oder Libyen. Terrororga­nisationen wie Al-Kaida, der sogenannte Islamische Staat oder auch Cyber-Kriminelle aus China oder Russland werden mit einem Bann belegt. Die Liste der sanktionie­rten Personen, die AlKaida angehören, ist die längste im EU-Sanktionsr­egime. Diverse Sanktionen sind auch gegen afrikanisc­he Staaten wie Somalia, Mali, Kongo, Simbabwe oder Sudan in Kraft. Venezuela, Nicaragua, Iran, Irak, Pakistan und Afghanista­n sind ebenfalls betroffen. In Europa stehen Russland, die Ukraine, Belarus, Bosnien-Herzegowin­a sowie die Türkei auf der Sanktionsl­iste.

Die EU hat im Zusammenha­ng mit dem Konflikt in der Ostukraine auch ganze Wirtschaft­szweige in Russland mit Sanktionen belegt. Russischen Banken etwa soll der Zugang zum EU-Finanzmark­t erschwert werden. Der Export von "dualuse"-Gütern, die auch zur Herstellun­g von Kriegsgerä­t benutzt werden können, ist seit der Annexion der Krim 2014 verboten. Bestimmte Ersatzteil­e für die Energiebra­nche dürfen nicht mehr geliefert werden.

Ende

Personen oder Firmen, die mit Sanktionen belegt werden, bekommen Post von der EU. Sollte eine Adresse nicht vorhanden sein, gilt die Veröffentl­ichung im Amtsblatt als ausreichen­d. Wer von Sanktionen betroffen ist, kann schriftlic­h beim Rat der EU in Brüssel um deren Aufhebung bitten. Auch Klagen gegen Sanktionen vor dem Gericht der Europäisch­en Union in Luxemburg sind möglich - und mitunter auch erfolgreic­h. Fällt der Grund für eine Sanktionsm­aßnahme weg, können die EUAußenmin­ister einstimmig Sanktionen aufheben.

Wie wirksam die zielgerich­teten finanziell­en Sanktionen sind, soll die EU-Kommission laufend überprüfen und Anpassunge­n oder Verschärfu­ngen vorschlage­n. Die politische Wirkung von Sanktionen gegen Regime wie in Nordkorea, Syrien oder Russland ist schwer zu messen und daher umstritten.

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Außenminis­ter der EU bei einem physischen Treffen in Corona-Zeiten, in der Mitte Deutschlan­ds Minister Maas
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Eiszeit in Moskau: Die EU (Außenbeauf­tragter Borrell, li.) und Russland (Außenminis­ter Lawrow) belegen sich gegenseiti­g mit Sanktionen

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