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Atomkraft: Schleichen­des Ende oder Renaissanc­e?

In Deutschlan­d gehen bis Ende 2022 die letzten Reaktoren vom Netz. Der Ausstieg aus der Atomkraft ist damit vollzogen – die Suche nach einem Endlager bleibt ungelöst. Wie steht es um die Zukunft der Atomkraft weltweit?

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In 32 von 195 Staaten sind derzeit 413 Atomreakto­ren in Betrieb. Nach Angaben des jährlich erscheinen­den World Nuclear Industry Status Reports (WNISR) deckte die Atomkraft 2019 rund 10 Prozent des globalen Strombedar­fs. 1996 war der Anteil am höchsten und lag bei 17,5 Prozent.

Die meisten Reaktoren wurden zwischen 1968 und 1986 vor allem in Europa, USA, der ehemaligen Sowjetunio­n und Japan gebaut. Das globale Durchschni­ttsalter der Reaktoren liegt bei 31 Jahren. gibt es Konzepte für eine neue Reaktorgen­eration, doch fraglich ist, ob sie eines Tages so günstig Strom erzeugen könnten wie mit Erneuerbar­en Energien.

Ein Endlager für hochradioa­ktiven Müll gibt es in den USA nicht. Gelagert wird er vor Ort an den Kraftwerke­n.

In Russland produziere­n derzeit 38 Atomreakto­ren Strom. 2019 deckten sie circa 20 Prozent des Strombedar­fs. Innerhalb der letzten zehn Jahre sind zehn neue Reaktoren ans Netz gegangen. Zwei Reaktoren sind seit 2018 und 2019 im Bau und sollen in den nächsten Jahren folgen. Das Durchschni­ttsalter der Reaktoren liegt bei 28 Jahren.

Russland will den Bau von Atomkraftw­erken im eigenen Land nicht mehr subvention­ieren. Der Start von neuen Bauprojekt­en im Inland ist deshalb ungewiss. Der Staatskonz­ern Rosatom will vor allem mit dem Bau von Reaktoren im Ausland Geld verdienen und bietet Reaktoren inklusive Finanzieru­ng an. Derzeit sind laut WNISR zehn russische Reaktoren im Ausland im Bau; jeweils zwei in Bangladesc­h, Indien, Türkei und Slowakei, jeweils einer in Iran und Belarus.

Ein Endlager für hochradioa­ktiven Atommüll hat Russland nicht. Kritiker bemängeln fehlende Transparen­z beim Umgang mit Atommüll.

In Indien erzeugen derzeit 21 Reaktoren Strom. 2019 lag der Anteil von Atomstrom im Netz bei drei Prozent. Drei Reaktoren gingen innerhalb der letzten zehn Jahre ans Netz und sechs weitere werden gebaut. Das Durchschni­ttsalter der Reaktoren beträgt 23 Jahre.

Der Ausbau der Atomkraft hat sich allerdings stark verzögert und somit verteuert. Atomstrom aus neuen Reaktoren wird so zur teuersten Energie.

2012 ging die indische Planungsko­mmission davon aus, dass die Gesamtleis­tung aller Reaktoren bis 2027 von damals knapp fünf Gigawatt (GW) auf bis zu 30 GW steigen würde .

Heute sind Reaktoren mit einer Leistung von weniger als sieben GW am Netz. Die Reaktoren in Bau haben eine Gesamtkapa­zität von vier GW. Da die Bauzeiten von Reaktoren in Indien mehr als zehn Jahre beträgt, werden 2027 maximal elf GW am Netz sein, fast dreimal weniger als geplant.

Ein Endlager für hochradioa­ktiven Atommüll hat Indien nicht.

China ist weltweit Spitzenrei­ter beim Neubau von Kernkraftw­erken. In den letzten zehn Jahren sind 37 Reaktoren ans Netz gegangen. Laut WNISR erzeugten Anfang 2021 49 Reaktoren Strom und 17 weitere Reaktoren werden derzeit gebaut. Der Anteil von Atomkraft im Strommix lag 2019 bei fünf Prozent.

Aber auch China baute deutlich weniger Reaktoren als ursprüngli­ch im Fünfjahres­plan vorgesehen. Gleichzeit­ig nimmt der Ausbau der Erneuerbar­en Energien in China rasant zu.

So gingen 2020 laut nationaler Energiebeh­örde 72 GW Windkraft, 48 GW Photovolta­ik und 13 GW Wasserkraf­t ans Netz. Atomkraftw­erke steuerten im selben Jahr lediglich zwei GW Neukapazit­äten bei.

China hat kein Endlager für hochradioa­ktiven Müll und erkundet eins in der Wüste Gobi. Derzeit wird der Atommüll an den Reaktorsta­ndorten zwischenge­lagert.

Frankreich hat wie kein anderes Land auf der Welt in den letzten Jahrzehnte­n auf Atomkraft gesetzt. Derzeit sind noch 56 Kraftwerke in Betrieb, eines befindet sich im Bau. 2019 wurde fast 71 Prozent des Strombedar­fs mit Atomkraft gedeckt. Die Kraftwerke haben ein Durchschni­ttsalter von 36 Jahren, der letzte Reaktor ging 1999 ans Netz.

Der weltweit größte Atomstrome­rzeuger und Staatskonz­ern EDF ist mit 42 Milliarden Euro verschulde­t und muss bis 2030 geschätzte 100 Milliarden in den Weiterbetr­ieb der Altreaktor­en investiere­n.

Offen ist, ob noch neue Reaktoren für Atomstrom in Frankreich gebaut werden. Diese Entscheidu­ng wurde vertagt und soll nach der nächsten Wahl 2022 von der neuen französisc­hen Regierung getroffen werden.

Ein Endlager für hochradioa­ktiven Müll gibt es in Frankreich nicht.

Polen plant seit 1980 den Einstieg in die Atomkraft und begann mit dem Bau von zwei Reaktoren, stellte aber die Bauarbeite­n nach der Reaktorkat­astrophe von Tschernoby­l (1986) ein.

Danach gab es immer wieder Versuche für einen Neustart. 2014 verabschie­dete die Regierung einen Plan zum Bau neuer Reaktoren. Der Erste sollte bis 2024 ans Netz gehen. Bislang gibt es jedoch außer Plänen wenig Konkretes und keinen Investor, der mit der teuren Technik noch Strom erzeugen will.

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China baut weltweit die meisten Atomreakto­ren
 ??  ?? 1986, nach der Atomkatast­rophe in Tschernoby­l, wurden weltweit Reaktorbau­ten gestoppt
1986, nach der Atomkatast­rophe in Tschernoby­l, wurden weltweit Reaktorbau­ten gestoppt

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