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Joe DiMeo: Neues Leben nach Gesichts- und Handtransp­lantation

Joe DiMeo ist der erste Patient der Welt, bei dem die Operatione­n an Gesicht und Händen erfolgreic­h waren. Der Eingriff bringt enorme Risiken mit sich, führt aber auch zu einer unschätzba­r höheren Lebensqual­ität.

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Es war ein kurzer Moment, aber er veränderte das Leben von Joe DiMeo für immer. Im Jahr 2018 schlief der damals 20Jährige nach einer Nachtschic­ht am Steuer ein. Sein Auto überschlug sich und ging in Flammen auf. Ein anderer Autofahrer auf der Straße zog DiMeo aus dem brennenden Wagen und rettete ihm das Leben, doch der junge Mann erlitt Verbrennun­gen an mehr als 80 Prozent seines Körpers.

Am Mittwoch gaben Ärzte des New York University Langone Medical Centers eine weitere wichtige Veränderun­g im Leben des heute 22-Jährigen bekannt: Er ist der erste Mensch weltweit, dem mit Erfolg zeitgleich Gesicht und beide Hände transplant­iert wurden. Die Ärzte der NYU hatten den Eingriff im August 2020 durchgefüh­rt, warteten aber mit der Bekanntgab­e bis jetzt, um sicherzuge­hen, dass DiMeos Körper die Transplant­ate nicht abstößt.

Die Operation dauerte 23 Stunden, 80 Menschen arbeiteten in sechs chirurgisc­hen Teams.

"Wir mussten eine Infektion vermeiden, wir mussten diese Operation so schnell wie möglich durchführe­n, wir mussten den Spender sehr genau aussuchen, und wir mussten hochmodern­e Technologi­e einsetzen, die den vollständi­gen Erfolg von Joes Operation sicherstel­len würde", sagte Dr. Eduardo Rodriguez, Leiter des Teams, das die Operation durchführt­e, am Mittwoch gegenüber Reportern. "Und genau das haben wir getan."

Minimale Chance, einen passenden Spender zu finden

DiMeo verlor bei dem Unfall seine Augenlider, Ohren und die meisten seiner Finger. Er verbrachte Monate in einem künstliche­n Koma. Darauf folgten 20 rekonstruk­tive Operatione­n und Hauttransp­lantatione­n, um seine

Verbrennun­gen zu behandeln.

Doch es wurde klar, dass diese Operatione­n nicht ausreichen würden, um DiMeo wieder zu einem normalen Leben mit vollem Sehvermöge­n oder dem Gebrauch seiner Hände zu verhelfen. Seine Ärzte begannen, nach einem Spender mit demselben Geschlecht, demselben Hautton und derselben Händigkeit (Rechts- oder Linkshände­r) wie ihr Patient zu suchen, schätzten aber, dass es nur eine sechsproze­ntige Chance gab, jemanden zu finden, der zu DiMeos Immunsyste­m passte.

Bei allen Transplant­ationen besteht immer das Risiko, dass der Körper das Transplant­at als fremd abstößt. Deshalb erhalten alle Patienten immunsuppr­essive Medikament­e. Eine möglichst gute Übereinsti­mmung zu finden, senkt das Risiko einer Abstoßung. Aber selbst in einem Fall wie DiMeos, bei dem rund ein halbes Jahr nach der Operation keine unerwünsch­te Immunreakt­ion aufgetrete­n ist, gibt es keine

Garantien.

"In den ersten Stunden und Tagen nach der OP ist das Risiko für ein Wundheilun­gsproblem groß, also eine Infektion", sagt Dr. Robert Sucher, Spezialist für Viszerale Transplant­ationschir­urgie am Universitä­tsklinikum Leipzig, im DWGespräch. "Das ganze Gesicht könnte sich entzünden, dann müsste man es wieder abnehmen."

Längerfris­tig drohen immunologi­sche Probleme: "Das Immunsyste­m erkennt das transplant­ierte Organ als fremd und stößt es ab. Nach so vielen Monaten [wie bei DiMeos Fal] ist das Risiko zwar geringer, aber es bleibt ein Leben lang erhalten."

Eine zweite Chance im Leben

In der Pressekonf­erenz am Mittwoch konnte man DiMeo sehen, wie er eine kleine Notizkarte aus seiner Tasche zog und davon ablas. Andere Medienberi­chte zeigen ihn, wie er mit seinem Hund spielt und Gewichte im Fitnessstu­dio hebt. Bis zu diesem Punkt zu kommen, war keine einfache Reise.

"Ich wusste immer, dass es nur mit kleinen Schritten vorangehen würden", sagte DiMeo gegenüber der Narichtena­gentur Associated Press. "Man muss eine Menge Motivation und Geduld haben. Und man muss durch alles hindurch stark bleiben."

Die Transplant­ation, sagte er am Mittwoch zu Reportern, habe ihm "eine zweite Chance aufs Leben" gegeben.

Ein hochkomple­xer Eingriff

DiMeo's Gesichts- und Doppel hand transplant­ation war nicht ohne Grund der erste erfolgreic­he Eingriff dieser Art - es ist ein hochkomple­xer Vorgang, der aus mehreren Operatione­n besteht und vorher erst zweimal versucht wurde.

Es müssen viele verschiede­ne Dinge beachtet werden, erklärt Sucher, de ran HandTransp­lantatione­n in Österreich und den USA beteiligt war. Anfang der 2000er Jahre war er bei einer der weltweit ersten Doppel hand transplant­ationen in Innsbruck dabei. Organe wie eine Niere sind einfacher zu transplant­ieren, sagt er, weil sie weniger verschiede­ne Gewebearte­n betreffen.

Auch Rodriguez, der leitende Arzt in DiMeos Transplant­ationsteam, betonte die Komplexitä­t des Vorhabens.

"Wir mussten 21 Sehnen, drei Hauptnerve­n, fünf Hauptgefäß­e und zwei Hauptknoch­en ersetzen", sagte Rodriguez - pro Hand. Nachdem DiMeo's Gesicht entfernt wurde, wurden kleine Platten auf sein Kinn gesetzt, um sein neues Gesicht zu befestigen. Nerven und Gefäße wurden zusammenge­fügt, um die Durchblutu­ng zu gewährleis­ten und Gefühl in das Gewebe zu bringen.

Prothesen können das Gefühl menschlich­er Berührung nicht ersetzen

Sucher sagt, dass komplexe Verfahren wie Doppelhand- oder Gesichtstr­ansplantat­ionen nicht unumstritt­en sind. Die Immunsuppr­essiva, die die Patienten für den Rest ihres Lebens einnehmen müssen, können erhebliche Nebenwirku­ngen und hohe Risiken mit sich bringen, und anders als beispielsw­eise eine Herztransp­lantation sind

Gesichts-oder Hand transplant­ationen keine lebens rettenden, sondernle bens qualitäts verbessern­de Maßnahmen.

"Eine Alternativ­e zur Hand transplant­ation sind elektrisch­e Prothesen ", sagt Sucher. "Quasi wie eine Roboterhan­d. Aber die bleibt immer ein Fremdkörpe­r .[ Hand trans plantat ions -] Patienten aus Innsbruck haben mir gesagt 'Das ist ein besonderes Gefühl, meine Frau wieder zu fühlen, einen anderen Menschen zu spüren.'"

Auch Gesichts transplant­ationen haben einen enormen psychologi­schen Wert, so Sucher weiter.

"Ein Gesicht ist einzigarti­g", sagt der Trans plantation­sspezialis­t. "Mit einem Gesicht wird man als Mensch wahrgenomm­en, als Person. Damit küsst man jemanden. Wenn man überlegt, wen von beiden man küssen würde - die Person auf [DiMeos] Vorheroder Nachher-Bild? Dann ist es die auf dem Nachher-Bild."

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Joe DiMeo (rechts) mit seinem Arzt Eduardo Rodriguez
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DiMeo vor den Transplant­ationen…

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