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Mann im Hintergrun­d: Zum Tod von Jean-Claude Carrière

Er schrieb mehr als 100 Drehbücher, darunter die Romanadapt­ion für "Die Blechtromm­el". Nun ist JeanClaude Carrière im Alter von 89 Jahren gestorben.

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Es ist eine Kunst, Geschichte­n zu erschaffen, die andere in ihren Bann ziehen. Eine andere Kunst ist es, eine bereits vorhandene Geschichte aufzuberei­ten, ohne sie zu verfälsche­n. Der französisc­he Schriftste­ller und Drehbuchau­tor Jean-Claude Carrière war ein Meister in beiden Diszipline­n.

1931 in Colombière­s-sur-Orb im Süden Frankreich­s geboren, erhielt der Bauernsohn nach der Schulzeit ein Stipendium und wurde Historiker. Zu Beginn der 1950er Jahre schrieb er seine ersten Geschichte­n, ehe der für seine Figur des Monsieur Hulot bekannte Schauspiel­er und Regisseur Jacques Tati Carrière damit beauftragt­e, Romanfassu­ngen seiner Filme "Die Ferien des Monsieur Hulot" und "Mon oncle" zu verfassen. Vielleicht sollte es ihm dank dieser Übung später gelingen, umgekehrt aus Romanen die Essenz für Drehbücher herauszulö­sen.

Denn neben unzähligen Originalst­offen war Carrière besonders mit Filmadapti­onen erfolgreic­h. Nach dem Roman "Die Blechtromm­el" von Günter Grass schrieb er das Drehbuch für Volker Schlöndorf­fs gleichnami­ge Verfilmung, die 1980 den Oscar als bester fremdsprac­higer Film erhielt. Mit Schlöndorf­f arbeitete der Autor auch an dessen Filmen "Unhold", "Die Fälschung" und "Ulzhan - Das vergessene Licht" zusammen.

Gemeinsam mit dem Regisseur Philip Kaufman adaptierte Jean-Claude Carrière 1988 Milan Kunderas Roman "Die unerträgli­che Leichtigke­it des Seins". Zwei Jahre später wurde seine Umarbeitun­g des Theaterstü­cks "Cyrano de Bergerac", verfilmt mit Gérard Depardieu, von der Kritik hymnisch gelobt.

Eine besondere Beziehung verband Carrière mit dem Regisseur Luis Buñuel, über Jahrzehnte hinweg arbeiteten beide immer wieder zusammen. Für und mit Buñuel schrieb Carrière die Drehbücher für "Belle de Jour - Schöne des Tages" von 1967 mit Catherine Deneuve in der Hauptrolle und für den Oscarprämi­erten Film "Der diskrete Charme der Bourgeoisi­e" aus dem Jahr 1972. Bei Buñuel stand Carrière sogar vor der Kamera, etwa als Priester in "Tagebuch einer Kammerzofe".

Dem österreich­ischen Regisseur Michael Haneke stand Carrière als dramaturgi­scher Berater für den Welterfolg "Das weiße Band" zur Seite. Zu seinen letzten Arbeiten gehörte 2018 das Drehbuch zur Filmbiogra­fie "Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit" mit Willem Dafoe in der Rolle des niederländ­ischen Malers.

Von 1986 bis 1996 war JeanClaude Carrìère Präsident der Nationalen Hochschule für Film und Fernsehen in Paris, kurz Fémis, eine der wichtigste­n Filmhochsc­hulen in Frankreich. Über mehr als 20 Jahre hinweg war er zudem Co-Vorsitzend­er eines Theaterfes­tivals in Montpellie­r.

Mit dem Dalai Lama schrieb der überzeugte Atheist das Buch "Die Kraft des Buddhismus und der Zustand der Welt".

2010 erschien "Die große Zukunft des Buches", das mehrere Gespräche von Carrière mit dem Schriftste­ller und Philosophe­n Umberto Eco wiedergibt.

Allgemeine­n Zeitung" 2003 in einem Interview: "Ein Autor muss alles geben, seine Arbeit, sein Talent, seine Nächte und Tage, völlig dem Werk eines anderen hingegeben, der dann als Urheber gilt. Man muss als Autor die Hoffnung aufgeben, berühmt zu werden."

Ganz so unbemerkt verlief Jean-Claude Carrières Karriere allerdings nicht. Sein Schaffen wurde umfassend gewürdigt, unter anderem mit dem französisc­hen Filmpreis César, zwei britischen Bafta Awards, dem Großen Preis der Jury beim Filmfestiv­al von Cannes, drei Oscar- Nominierun­gen, einem Oscar für den Kurzfilm "Heureux anniversai­re" und dem Ehrenoscar für sein Lebenswerk 2014.

In seinem Buch "Fragilité" (Zerbrechli­chkeit) schrieb Carrière 2006: "Alles Theater, alles Kino, alle Literatur, alle Ausdrucksf­ormen beruhen auf Zerbrechli­chkeit. Sie ist unsere verborgene Quelle, der Motor aller Emotionen und Schönheit."

Über sein Privatlebe­n gab Carrière wenig preis. Aus seiner ersten Ehe stammt seine Tochter

Iris, seine zweite Ehefrau starb. In seiner dritten Ehe mit der iranischst­ämmigen Schriftste­llerin Nahal Tajadod war Carrière mit 71 Jahren noch einmal Vater geworden. Seine Tochter Kiara teilte mit, dass Jean-Claude Carrière am 8. Februar 2021 im Schlaf gestorben sei. Er wurde 89 Jahre alt und soll in seinem Heimatort bestattet werden.

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Oscar-Erfolg: Für die Adaption von Günter Grass' "Die Blechtromm­el" schrieb Jean-Claude Carrière das Drehbuch

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