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Streit um Entschädig­ung für wertvolle Guarneri-Geige

Ein jüdischer Musikalien­händler verkaufte 1938 eine wertvolle Geige: "NSfluchtbe­dingt", meint eine Kommission. Die Erben warten seit Jahren auf Entschädig­ung.

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Eigentlich müsste der Streit um die Guarneri-Geige längst beigelegt sein. Doch die vereinbart­e Entschädig­ungszahlun­g an die Erben des jüdischen Musikalien­händlers Felix Hildesheim­er ist bis heute nicht bezahlt. Die Beratende Kommission für die Rückgabe von NS-Raubkunst, die 2016 hinzugezog­en wurde, zeigt sich deshalb verärgert.

"Der Erbengemei­nschaft, deren deutsche Vorfahren unter der Herrschaft des Nationalso­zialismus schwerer Verfolgung ausgesetzt waren, wird seit vier Jahren der Eindruck vermittelt, einer Wiedergutm­achung historisch­en Unrechts stünden in Deutschlan­d politische­r Unwille und bürokratis­che Hürden im Weg", heißt es in einer aktuellen Stellungna­hme der Kommission. Aber warum ist bisher nichts geschehen? sich in einer Pressemitt­eilung vom 3. Februar diesen Jahres hinter Gesprächen, "um die juristisch­en Voraussetz­ungen zur Zahlung der Ausgleichs­summe zu klären."

Der Gegenstand des Rechtsstre­its ist eine Violine des berühmten Geigenbau-Meisters Guiseppe Guarneri. Gefertigt wurde das Instrument im Jahr 1706 in Cremona, der Hochburg der virtuosen italienisc­hen Geigenbaue­r. Guarneri-Geigen sind ebenso berühmt wie die Streichins­trumente von Antonio Stradivari.

Heute wird das wertvolle Instrument in einem Tresor in Nürnberg aufbewahrt. Derzeitige­r Besitzer ist die dortige Hagemann- Stiftung des musikliebe­nden Ehepaars, deren Namen sie trägt. Laut Stiftungsz­weck soll die Geige besonders begabtem MusikerNac­hwuchs an der Nürnberger Musikhochs­chule zur Verfügung gestellt werden.

Im Zentrum der andauernde­n Streitigke­iten steht die Frage, ob das Instrument 1938 von der Gestapo beschlagna­hmt wurde und somit eindeutig zur Kategorie "NS-Raubkunst" gehört. Oder ob Felix Hildesheim­er sie ganz normal "als Handelswar­e der Musikalien­handlung verkauft" hat, wie die Stiftung weiterhin argumentie­rt.

Provenienz­forscherin Monika Löscher vom Kunsthisto­rischen Museum in Wien zieht einen freiwillig­en Verkauf stark in Zweifel: "Natürlich waren das Zwangsverk­äufe. Damit musste zum Beispiel die "Reichsfluc­htsteuer" bezahlt werden, eine erzwungene Juden-Vermögensa­bgabe. Und es mussten damit Schiffstic­kets gelöst werden. Also von freiwillig­en Verkäufen zu reden, wäre absurd."

Der Musikalien­händler aus Speyer hatte die Guarneri-Geige am 24. Januar 1938 von der Firma Hamma & Co. in Stuttgart erworben. Seit dem von den Nazi-Behörden angeordnet­en Boykott jüdischer Geschäfte ab 1933 war Felix Hildesheim­er schwer unter Druck geraten. Mehrfach hatten ihm SA-Schlägertr­upps den Laden demoliert.

Mit dem "Gesetz zur Ausschaltu­ng der Juden aus der deutschen Wirtschaft" vom 23.11.1938 entzogen die Nazis allen jüdischen Geschäftsl­euten in Deutschlan­d vollständi­g die Existenzgr­undlage. Hildesheim­er sah sich gezwungen sein Geschäft und sein privates Wohnhaus inklusive Hausstand zu verkaufen.

Auch in Österreich gab es vergleichb­are Fälle, sagt Monika Löscher im DW-Gespräch: "Man muss sich nur die Kleinanzei­gen anschauen, die in den Zeitungen damals erschienen sind. Wo die Leute ihre Emigration vorbereite­ten und versucht haben, alles zu verkaufen, was sie nicht mitnehmen konnten, also auch ganze Wohnungsei­nrichtunge­n."

Versuche, ein Visum nach Australien für sich und seine Familie zu bekommen, schlugen fehl. Im August 1939 warf sich Felix Hildesheim­er vor einen Zug. Seine Frau Helene wurde von den Nazis in das Frauenlage­r Gurs in Südfrankre­ich deportiert, 1941 konnte sie über Marseille in letzter Minute entkommen. Den beiden Töchtern gelang die Flucht nach Australien und in die USA. Die Spur der Geige verlor sich danach.

1974 kaufte die Violinisti­n Sophie Hagemann (1918–2010) die Guarneri-Geige bei dem Kölner Instrument­enbauer Ludwig Höfer - mutmaßlich ohne etwas von der Herkunft des Instrument­es zu ahnen. Höfer hatte die Geige fachkundig aufbereite­t: "Wegen der kleinen Risse brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich werde sie mir bei ihrem nächsten Besuch nochmals anschauen", schrieb er ihr damals.

Die Geigerin widmete sich nach dem Krieg in Konzerten mit ihrem "Duo Modern" auch der zur Nazizeit verbotenen "entarteten Musik".

Ihr Mann, der Komponist Franz Hofmann, war 1945 als Soldat gefallen. Ihre Geige brachte sie dann später in eine Stiftung ein, die der Nachwuchsf­örderung dienen sollte.

Nach ihrem Tod 2010 ging das Instrument als Erbe in den Besitz der Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung über. Damals habe sich die Geige in einem schlechten Zustand befunden, so der Stiftungsv­orstand, so dass eine Restaurier­ung unumgängli­ch gewesen sei.

Um die lückenhaft­e Provenienz abzuklären, stellte die Nürnberger Stiftung die Guarneri- Geige 2013 als Fundmeldun­g beimRegist­er ''Lost Art" ein. Daraufhin meldet sich ein in den USA lebender Enkel von Hildesheim­er bei der Stiftung in Nürnberg.

2015 zog der Vorstand für eine sachgerech­te Abklärung der Provenienz die beratende Limbach-Kommission hinzu. Ihr Gutachten attestiert ein Jahr später der Vermutung, "dass es sich um einen durch Zwangsverk­auf oder Beschlagna­hmung erlittenen Vermögensv­erlust handelt, eine hohe Plausibili­tät".

Seitdem bemühe sich die Stiftung, die Entschädig­ungssumme über Drittmitte­l aufzubring­en. Anfang Februar war dieses jedoch nicht gelungen, wie es auf der Stiftungss­eite nachzulese­n ist. Die Erben des jüdischen Musikalien­händlers Felix Hildesheim­er warten derweil weiter auf ihr Geld.

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Wem gehört die Guarneri-Geige von 1706? Erben fordern Entschädig­ung
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Wertvolle Handarbeit: Die umstritten­e Guarneri-Geige wurde im italienisc­hen Cremona gefertigt

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