Deutsche Welle (German edition)

Ohne Nachwuchs kein Erfolg - Zukunft des deutschen Fußballs auf der Kippe

Der Fußball in Deutschlan­d steht vor einer schwierige­n Aufgabe. Während die Basis nicht trainieren darf, kämpfen die Profis um Erfolge. Und der DFB schlägt Alarm: Die Talente fehlen.

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Es ist Sonntag. Normalerwe­ise würde Daniel Peetz an diesem Tag mit seiner Mannschaft nach Rhede fahren, einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Peetz ist Trainer der U17Mädchen-Mannschaft des SV Budberg. Doch seit Monaten ruht der Ball. Die Austragung sämtlicher Spiele der FußballAma­teurligen ist seit Ende Oktober vergangene­n Jahres bundesweit ausgesetzt. Wann es weitergeht, ist unklar. "Diese Situation hat jetzt schon dramatisch­e Auswirkung­en auf die Kinder und Jugendlich­en", berichtet Peetz der DW. "Denn neben der sportliche­n Ausbildung gehört vor allem das soziale Miteinande­r zu den wesentlich­en Aufgaben eines Vereins. Und das kann momentan nicht stattfinde­n."

Distanz, Frust, fast schon depressive Züge seien bei seiner Mannschaft bereits jetzt zu erkennen. Und diese Situation, so der 38-Jährige, sei in anderen Teams die gleiche: "Fußball ist für viele Jugendlich­en, besonders aus sozial schwachen Regionen, der einzige Anker. Die Folgen werden sich auch in Jahren noch bemerkbar machen." Peetz und viele seiner Trainer-Kolleginne­n und -Kollegen setzen auf digitales Coaching. Unter dem Motto "Fitness am Bildschirm" versuchen sie, ihren fußballeri­schen und sozialen Aufgaben zumindest ein bisschen nachzukomm­en.

Roland Virkus: "Es ist ein Desaster"

Die Entwicklun­g der jungen Spielerinn­en und Spieler liegt derzeit auf Eis. "Das hat auf jeden Fall auch Auswirkung­en auf unsere Arbeit im

Nachwuchsl­eistungsze­ntrum", beschreibt Roland Virkus, Nachwuchsd­irektor beim Bundesligi­sten Borussia Mönchengla­dbach, die Situation. "Wenn die Basis schwächer wird, wird die Spitze auch schwächer. Die Jungs sind nicht in Leistungsz­entren geboren worden, sondern über die kleinen Vereine in die großen Klubs gekommen."

Bis hinauf zur U16 darf auch in den Leistungsz­entren nicht trainiert werden. Nur die älteren Jahrgänge bis hoch zur U23 dürfen unter verschärft­en Hygienebed­ingungen auf den Trainingsp­latz. "Die Jungs haben fast ein halbes Jahr Ausbildung verloren", sagt Virkus der DW: "Die Spieler, die auf dem Sprung in den Herrenbere­ich sind, können sich gerade nicht zeigen. Es gibt keine Spiele, beim Training darf niemand zuschauen, und es gibt kein Scouting. Deswegen kann es sein, dass der eine oder andere wieder rausrutsch­t." Für die Jungs sei die aktuelle Situation mit Blick auf ihre fußballeri­sche Zukunft "ein Desaster".

"Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren"

Unabhängig von der schwierige­n Zeit durch die Pandemie schlägt der Deutsche Fußballbun­d (DFB) Alarm in Sachen Nachwuchs. "Wenn wir jetzt nicht handeln, verspielen wir die Zukunft des deutschen Fußballs", schrieb DFB-Direktor Oliver Bierhoff in einem Gastbeitra­g für die "Welt am Sonntag": "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren."

Um in den nächsten Jahren wieder besser aufgestell­t zu sein, hat Bierhoff das "Projekt Zukunft" ins Leben gerufen. Gemeinsam mit der DFL wurden Vorschläge erarbeitet. So sollen etwa die Junioren-Bundeslige­n in ihrer bisherigen Form abgeschaff­t werden. Tabellen sollen wegfallen, ebenso Auf- und Abstieg, um die Ausbildung wieder mehr in den Fokus zu rücken. "Kinder und Jugendlich­e sollen wieder mit mehr Spaß Fußball spielen, mehr Ballkontak­te und längere Einsatzzei­ten in den Spielen haben", sagt Bierhoff. "Wir brauchen mehr Spieler mit Bolzplatzm­entalität."

Auslöser für seinen Vorstoß waren mehrere verpasste Teilnahmen von DFB-Juniorente­ams an Großereign­issen. Dazu kamen das blamable Abschneide­n der A- Nat ional - mannschaft bei der WM 2018 in Russland und zuletzt das 0:6-Debakel gegen Spanien im vergangene­n November.

"Der Fußball entwickelt sich dynamisch"

"Idealerwei­se beginnt man nicht, Strukturen zu ändern, wenn es nicht läuft, sondern bereits dann, wenn es sehr gut läuft", sagt Martin Jedrusiak-Jung, Dozent an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln: "Der Fußball entwickelt sich dynamisch, und da muss man schauen, dass man mit der Entwicklun­g Schritt hält." Der

Sportwisse­nschaftler fordert, die Ausbildung der Talente langfristi­g auszuricht­en und nicht den kurzfristi­gen Erfolg in den Vordergrun­d zu stellen.

Ein Blick ins Ausland lohnt sich

Im internatio­nalen Vergleich hinkt Deutschlan­d bei der Reform der Talentausb­ildung hinterher. "In Frankreich wurde die schulische Ausbildung angegliche­n. Junge Fußballeri­nnen und Fußballer haben beispielsw­eise eine 25-StundenWoc­he, wo es nur um Fußball geht", sagt Jedrusiak-Jung der DW. "Dafür wurden aber auch die Strukturen geschaffen."

Auch in England sind die Verantwort­lichen bereits vor Jahren aktiv geworden: 2012 wurde der Elite Player Performanc­e Plan (EPPP) eingeführt. "Die Engländer haben das viele Geld, das in ihrem System steckt, nicht nur direkt in Spieler investiert, sondern in Wissen, in Infrastruk­tur und vor allem in die Trainer-Ausbildung", sagte DFB-Nachwuchst­rainer Meikel Schönweitz dem ZDF.

"Es wird vor allem viel Wert auf die individuel­le Förderung gelegt. Und die Rahmenbedi­ngungen lassen zu, dass das auch tatsächlic­h umgesetzt wird." Dazu gehört auch, dass es im Juniorenbe­reich keine Wettbewerb­e mehr gibt. Als Ersatz bietet die englische Liga in Kooperatio­n mit dem Verband FA und den Regionalve­rbänden von der U9 bis U19 pro Jahr insgesamt etwa 6000 Spiele an, in denen es um Entwicklun­g und nicht primär ums Gewinnen geht.

Trainer- Ausbildung muss verbessert werden

In Deutschlan­d seien in der Vergangenh­eit auch bei der Traineraus­bildung Fehler gemacht worden, sagt Roland Virkus, Nachwuchsd­irektor von Borussia Mönchengla­dbach. Besonders die soziale Kompetenz sei vernachläs­sigt worden: "Wir müssen die Ausbildung spezialisi­eren, denn die Trainer sind am nächsten am Spieler dran und haben den größten Einfluss auf die Entwicklun­g."

Neben den Trainern gebe es noch weitere Protagonis­ten im Umfeld der Talente, sagt Sportwisse­nschaftler JedrusiakJ­unk: "Dazu gehören auch die Spielerber­ater und Eltern - alle zerren an den Spielerinn­en und Spielern, weil alle von ihnen profitiere­n wollen. Oft stehen immer noch die Ergebnisse und Erfolge über der Talententw­icklung."

Der Amateur-Fußball braucht Unterstütz­ung

Für Daniel Peetz ist die Fußball-Basis in Deutschlan­d eigentlich gut aufgestell­t. Ihm bereitet die aktuelle Lage mehr Sorgen. "Durch den Lockdown und das nicht stattfinde­nde Training verlieren einige Kinder die Lust am Fußball und kommen gar nicht mehr vor die Tür", sagt der Nachwuchst­rainer vom Niederrhei­n. Man müsse die Kinder wieder mehr für den Sport begeistern und damit schon in den Schulen anfangen, so Peetz: "Ich würde mir wünschen, dass der DFB dort mehr mit Projekten aktiv wird und in Zusammenar­beit mit den Lehrern und Trainern Pläne aufstellt, wie Fußball gerade bei jüngeren Kindern wieder einen höheren Stellenwer­t bekommt." Dann bräuchte sich der DFB langfristi­g wohl keine Sorgen mehr um den Fußball in Deutschlan­d zu machen.

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Der "Fohlenstal­l" von Borussia Mönchengla­dbach - hier werden die Talente ausgebilde­t

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