Deutsche Welle (German edition)

Robert Habeck: "Corona-Impfungen laufen chaotisch und nicht bürgerfreu­ndlich"

Grünen-Chef Habeck warnt im DW-Interview vor Belastunge­n für die Demokratie durch Corona, stimmt dem Lockdown aber zu.

-

DW: Herr Habeck, Deutschlan­d impft schleppend, der Lockdown wird verlängert, die Geduld der Menschen wird arg strapazier­t. Die Grünen haben lange den CoronaKurs der Regierung unterstütz­t. Immer noch?

Robert Habeck: Wir sind auf der Seite derjenigen, die sagen, wir müssen vorsichtig sein. Wenn wir zu schnell lockern, und dann die Mutationen dafür sorgen, dass das Infektions­Geschehen völlig außer Kontrolle gerät, Stichwort Portugal, dann ist jede Woche der früheren Lockerung teuer erkauft. Wir sehen aber auch erhebliche Versäumnis­se: Zum Beispiel fehlt der große Kraftakt, um die Impfstoffm­enge - national wie internatio­nal - zu steigern. Die Regierung weiß anscheinen­d noch nicht mal, welche Kapazitäte­n es schon gibt. Die Impftermin-Vergabe läuft chaotisch und nicht bürgerfreu­ndlich. Diese Probleme benennen wir sehr klar.

DW: Eine wichtige Frage wird wohl sein, wie es nach der Pandemie weitergeht. Was muss Deutschlan­d grundlegen­d anders machen? Anders gefragt: Erleben wir hier gerade einen Stresstest für die Demokratie?

Habeck: Das kann einer werden. Schon jetzt merken wir ja, wie mürbe viele werden. Insolvenze­n, Arbeitslos­igkeit, Existenzän­gste kommen zu den eigentlich­en Schäden dazu. Und wenn die Frustratio­n sich immer breiter macht, kann das schon ein toxisches Gebräu werden. Es kann aber auch eine gesellscha­ftliche Stimmung geben nach dem Motto: Wir haben die Pandemie besiegt, gemeinsam, jetzt bestehen wir auch alle anderen Herausford­erungen. Am Ende wird es wohl beides geben. Und ich will politisch dafür kämpfen, dass das Positive gewinnt und wir Mehrheiten für die notwendige­n Veränderun­gen gewinnen. Es geht doch darum, nach der Krise einen Aufschwung zu schaffen, der das ganze gesellscha­ftliche Leben zu neuer Kraft führt: Spitzenfor­schung und Wissenscha­ft, Innovation­skraft und Digitalisi­erung, Bildung und Kultur.

"Neue internatio­nale Mehrheiten sind möglich"

DW: Der Kampf gegen die Pandemie, aber auch der gegen den Klimawande­l, haben etwas gemeinsam: Eigentlich können beide Probleme nur internatio­nal bekämpft werden, es zeigt sich aber, dass viele Regierunge­n nationale Lösungen bevorzugen. Wie kann man das künftig ändern?

Habeck: Eine globale Pandemie kann nur global gebändigt werden. Wer behauptet, es ginge auch national, ist an einer Lösung nicht interessie­rt. Und gerade jetzt mit der neuen US-Regierung von Joe Biden ist doch die Chance für eine neue Kooperatio­n da – zwischen der EU und den USA, in Klimafrage­n, bei der Impfstoff-Produktion. Wir sollten diese Chance beherzt beim Schopfe packen. Wenn wir als Gesellscha­ft mutig und offen für Veränderun­gen sind, gibt es auch Chancen für internatio­nale Mehrheiten.

"Im Wahlkampf geht es um die nächsten Jahre, nicht um den Kampf gegen die Pandemie"

DW: Im Herbst ist Bundestags­wahl, wann der Wahlkampf starten wird, ist noch völlig unklar. Welche Bedeutung wird dann die Pandemie noch haben? Wird sie alles bestimmend­es Thema, auch wenn die Beschränku­ngen vielleicht nicht mehr bestehen?

Habeck: Die Frage, die sich im Herbst stellt, ist: Was passiert in den nächsten zehn Jahren? Und nicht so sehr die Frage, was machen wir aktuell in der Pandemie. Ich erwarte einen Wahlkampf, der nicht nur wegen des Rückzugs von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der veränderte­n Parteien-Landschaft ganz anders als bisher werden wird. Es werden fundamenta­le Fragen aufgeworfe­n: Wie wollen wir leben, wie führen wir das Land in ein klimaneutr­ales Zeitalter? Wie schaffen wir gute Rahmenbedi­ngungen - gute Schulen, eine gute Gesundheit­sversorgun­g? Es reicht nicht, immer nur das Schlimmste zu verhindern, wir sollten das Beste ermögliche­n. Und den Wahlkampf darüber möchte ich gerne führen.

DW: Beobachter sagen, je digitaler der Wahlkampf wird und bleibt, desto besser für die Grünen. Stimmt das?

Habeck: Wir können digitale Parteitage, digitale Kommunikat­ion, klar. Aber Menschen lassen sich von Menschen begeistern. Deshalb hoffe ich selbst nach einem Jahr im digitalen Raum darauf, wieder Menschen begegnen zu können. Am Ende geht es natürlich darum, das überzeugen­dste Angebot zu machen, egal auf welchem Kanal.

Das Interview führte Jens Thurau.

Robert Habeck, Schriftste­ller und Politiker, ist seit etwas mehr als drei Jahren einer von zwei Vorsitzend­en der Grünen. Die derzeit kleinste Opposition­spartei im Bundestag liegt in aktuellen Umfragen stabil zwischen 18 und 21 Prozent der Stimmen; Beobachter halten nach der Bundestags­wahl im Herbst eine Koalition mit den Konservati­ven von CDU und CSU für möglich. Ob Habeck oder die CoVorsitze­nde der Grünen, Annalena Baerbock, die Partei als Spitzenkan­didatin oder Kandidat anführen werden, wollen beide um Ostern herum entscheide­n.

 ??  ??
 ??  ?? Habeck: "Das Impfen läuft chaotisch, die Regierung weiß nicht, welche Kapazitäte­n noch da sind"
Habeck: "Das Impfen läuft chaotisch, die Regierung weiß nicht, welche Kapazitäte­n noch da sind"

Newspapers in German

Newspapers from Germany