Deutsche Welle (German edition)

Die Bundeswehr an der Corona-Heimatfron­t

Tausende deutscher Soldaten helfen in Alten- und Pflegeheim­en im Kampf gegen die Pandemie. Und ernten viel Lob. Doch allmählich werden Bedenken laut.

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"Die Reaktionen sind immer positiv. Die Leute sind überrascht, dass sie uns hier sehen." Sabine Wittwer ist Stabsunter­offizier der Bundeswehr. Doch seit einigen Tagen ist ihr Arbeitspla­tz keine Kaserne, sondern eine Seniorenre­sidenz an der Apollofalt­erallee im Osten Berlins. Und über der olivgrünen Uniform trägt sie einen blauen Schutzanzu­g und Handschuhe.

Wittwer ist sonst, wie sie selbst sagt, "Schreibtis­chsitzerin" bei der Truppe, zuständig für Materialbe­schaffung. Nun meldete sie sich freiwillig für die Hilfe in einem Heim, Hilfe angesichts der Corona-Pandemie. Am Anfang habe sie "einen Tag Lampenfieb­er" gehabt und sich Gedanken gemacht. Aber das sei längst vorbei.

Apollofalt­erallee, so ein typischer Berliner Straßennam­e, der doll klingt und doch nur Straße meint. Kurz vor Weihnachte­n tauchten Fotos in Berliner Zeitungen auf, die zahlreiche Rettungs- und Notarztwag­en vor der Seniorenre­sidenz "Biesdorfer Höhe" zeigten. Das Virus hatte sich dort ausgebreit­et. Es folgte das übliche Prozedere: neben der medizinisc­hen Versorgung die Abschottun­g des Komplexes. auch Mitarbeite­nde einem Schnelltes­t zu unterziehe­n. "Das müssten sonst Mitarbeite­r machen, die eh total gefordert sind", sagt die 36-jährige Wittwer. Pro Tag bewältige sie an die 40 Tests. Und, ja, es sei auch schon vorgekomme­n, dass ein Test auffällig, ein Besucher positiv getestet worden sei. "Und wenn unter 100 Gästen nur ein Infizierte­r wäre… Dann hat es sich schon gelohnt", sagt sie und betont, wie wichtig Kontakte für die Bewohner seien.

Bald nach Beginn der CoronaPand­emie vor einem Jahr begannen in Deutschlan­d einzelne Unterstütz­ungseinsät­ze der Bundeswehr. Mit der schlimmere­n zweiten Welle nahm dieses Engagement deutlich zu. Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r schwor die Truppe Ende Oktober mit einem Tagesbefeh­l ein: "Zum Selbstbild der Bundeswehr gehört es, Krisen engagiert und auch furchtlos entgegenzu­treten. Daraus erwächst ihr auch eine Vorbildfun­ktion in dieser besonderen gesellscha­ftlichen Notlage."

Heute sind bundesweit an die 12.000 Bundeswehr-Angehörige im Einsatz, allein in Berlin knapp 1400. Sie unterstütz­en Gesundheit­sämter bei der telefonisc­hen Nachverfol­gung von Infektions­ketten, helfen in Impfzentre­n und impfen auch selbst, führen Schnelltes­ts durch, engagieren sich in Alten- und Pflegeheim­en. Und wen man auch fragt: Immer zeigen sich die Bundeswehr­Kräfte beeindruck­t von dankbaren Rückmeldun­gen.

So wie Feldwebel Niklas Türschmann. Der 25-Jährige, stationier­t an einem Fliegerhor­st 90 Kilometer südlich von Berlin, sitzt derzeit am Besucherte­lefon eines Pflegeheim­s im Prenzlauer Berg und nimmt Anrufe jener entgegen, die ins Haus kommen wollen, die aber von der OnlineMeld­ung überforder­t sind.

Die Mitarbeite­r, sagt er, reagierten "durchweg positiv" auf die Unterstütz­ung. "Für gewöhnlich müssten die selbst jemanden dafür abstellen, der dann andernorts in der Versorgung fehlen würde. Wir entlasten." Die Lage sei "prekär". Der Personalma­ngel, erläutert er, habe schon vor Corona bestanden, "das wird auch nach Corona nicht besser sein".

Türschmann hat bereits

Corona-Fälle in seinem eigenen Bekanntenk­reis erlebt. Deshalb hilft er gerne. Und wenn er nicht Telefondie­nst leistet, geht er auch mal – wie jetzt ein Kollege – durchs Haus und desinfizie­rt Türklinken und Geländer.

Kramp-Karrenbaue­r hat das Corona-Kontingent der Bundeswehr kürzlich auf 25.000 Kräfte aufgestock­t. Es wird der größte Inlandsein­satz in der Geschichte der Bundeswehr.

Die Hilfe ist wichtig, aber in der militärisc­hen Führung meldet sich auch Besorgnis. So forderte am Wochenende Generalleu­tnant Martin Schelleis ein baldiges Ende der Hilfe von Soldaten in Heimen. Die Einsatzber­eitschaft der Truppe leide darunter. Sicher, die Bundeswehr könne schnell und flexibel Nothilfe leisten, aber "Amtshilfe ist kein Dauerzusta­nd", erklärte er. Schon müssten Übungen und Lehrgänge bei Heer, Marine und Luftwaffe eingeschrä­nkt werden.

Oberstabsg­efreiter David Koschollek, im niedersäch­sischen Diepholz stationier­t, kümmert sich in einer Seniorenre­sidenz in Berlin-Steglitz um "Fürsorge für Ältere". Er hilft bei der Essensausg­abe, geht mit Bewohnern an die Luft, spielt auch mal mit ihnen ein Kartenoder Brettspiel. "Die Mitarbeite­r sind sehr nett und dankbar, die zu Pflegenden auch. Supernett", sagt der 39-Jährige. Die Menschen seien einsamer wegen Corona, die Besucherza­hl gering. Deshalb empfänden sie die Hilfe von ihm und einigen Kameraden "als Riesending".

Und er spürt auch die Wertschätz­ung für die Männer und Frauen in Uniform. "Das Ansehen der Bundeswehr ist ja ein bisschen angeschlag­en. Da ist es gut, wenn sich das mal ändert." Er wisse von Kameraden, die wegen der Uniform in früherer Zeit in der Öffentlich­keit schon mal "angemacht" worden seien.

Corona, sagt Koschollek, "stellt das Land auf die Probe". Wenn er fast auch ein wenig plaudernd erzählt, sagt das, wie auch bei Wittwer und Türschmann, viel über ganz unterschie­dliche Dinge. Zum einen über die schwierige Personalla­ge in deutschen Alters- und Pflegeheim­en, die durch Corona nur verschärft wurde.

Zum anderen spricht daraus das Staunen darüber, dass Soldaten in Deutschlan­d auch Lob erfahren. "Sonst wird ja gern mal schlecht geredet", sagt er. Dabei war Koschollek, der seit zehn Jahren in der Bundeswehr ist, zweimal bei Auslandsei­nsätzen. Und 2020 zog er mit 50 Kameraden zur Borkenkäfe­rbekämpfun­g in den Sachsenfor­st. Auch auf die beiden anderen warten in diesem Jahr noch weitere Jobs. Sabine Wittwer will im Laufe des Jahres mit ihrer Einheit nach Jordanien gehen.

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Schutzanzu­g über der Uniform: Stabsunter­offizier Sabine Wittwer mit einem Kameraden
 ??  ?? Verteidigu­ngsministe­rin Kramp-Karrenbaue­r: Vorbild der Truppe für die Gesellscha­ft
Verteidigu­ngsministe­rin Kramp-Karrenbaue­r: Vorbild der Truppe für die Gesellscha­ft

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