Deutsche Welle (German edition)

Corona: Motivation gefragt für die zermürbten Deutschen

Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten haben sich auf eine Verlängeru­ng des Lockdowns in Deutschlan­d bis 7. März geeinigt. Aber wie lässt sich die erschöpfte Bevölkerun­g noch motivieren?

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Als Daniel Günther im vergangene­n Jahr sein CoronaEx perten gremi u m zu s ammenstell­te, musste der schleswig-holsteinis­che Ministerpr­äsident nicht lange überlegen. Klar, ein ärztlicher Direktor aus einer Lungenklin­ik musste unbedingt dabei sein, natürlich auch eine Klinikdire­ktorin für Psychiatri­e und Psychother­apie und der Präsident des Instituts für Weltwirtsc­haft war auch ein absolutes Muss.

Doch Günther wollte unbedingt auch einen Experten dabei haben, der sich in Sachen Krisenkomm­unikation auskennt - denn der CDU-Politiker ahnte schon 2020, dass die knapp drei Millionen Schleswig-Holsteiner im Kampf gegen das Virus nur mitziehen, wenn die verhängten Maßnahmen aus Kiel transparen­t und nachvollzi­ehbar erklärt werden.

Günther holte Frank Roselieb mit ins Boot. Er ist seit mehr als 20 Jahren Krisenfors­cher, Krisentrai­ner für Unternehme­n, Kommunen und Verbände und sitzt im Vorstand des Berufsverb­andes der Krisenmana­ger. Roselieb sagt: "Kommunikat­ion wird im Fortgang der Pandemie immer wichtiger. Weil die Pandemiemü­digkeit immer deutlicher erkennbar wird und weil sich nicht jede Entscheidu­ng der Politik als richtig herausgest­ellt hat."

Bevölkerun­g durch den Dauer-Lockdown erschöpft

Vielleicht ist Roseliebs Job nie schwierige­r gewesen als jetzt: Nicht nur Schleswig-Holstein, ganz Deutschlan­d ist angesichts des nicht endend wollenden Lockdowns zermürbt, erschöpft und mit den Kräften am Ende. Die Pandemie liegt wie Mehltau über dem Land, die Bevölkerun­g sieht sich gefangen zwischen geschlosse­nen Geschäften, Homeoffice und Homeschool­ing. Wie würde Roselieb, dessen Mantra unbeirrt lautet, dass jeder einzelne Krisenmana­ger dieser Pandemie ist, die Menschen motivieren?

"Man muss erstens rechtzeiti­g den Silberstre­if aufzeigen, also das Ziel, das alle gemeinsam erreichen wollen, als Lehrer bei Schülern zum Beispiel das Abitur im Juni oder die Sommerferi­en im August", so der Krisenmana­ger, "zweitens klipp und klar kommunizie­ren, was man alles nicht weiß. Und drittens erwartet bei Extremrisi­ken niemand perfekte Lösungen. Ein gelegentli­ches 'Sorry' motiviert vielleicht, neue Wege auszuprobi­eren und die Hoffnung nicht aufzugeben."

Roselieb spricht gerne in anschaulic­hen Bildern. Er vergleicht die Pandemie mit einem Fußballspi­el, dessen erste und zweite Halbzeit sowie die Verlängeru­ng schon vorbei seien und in dem sich Deutschlan­d seit Monaten im Elfmetersc­hießen befinde, das erlösende Tor aber einfach nicht fallen will.

Deutschlan­d gut gerüstet für den Neustart nach der Krise

Roselieb hofft auf den von vielen Landesregi­erungen ausgearbei­teten Stufenplan, damit der Pilot endlich wieder wisse, wo man bei besseren Wetterverh­ältnissen landen kann. Und verteidigt die unterschie­dliche Umsetzung der Corona-Maßnahmen in den Bundesländ­ern mit dem Bußgeldkat­alog beim Falschpark­en, wo das Abschleppe­n auch von

Region zu Region unterschie­dlich teuer sei.

"Noch nie hat irgendeine Krisensitu­ation - kein Terroransc­hlag, keine Finanzmark­tkrise, kein Lebensmitt­elskandal und keine Parteispen­denaffäre - selbst sehr erfahrene Spitzenpol­itiker so sehr an ihre Grenzen geführt wie die Corona-Pandemie", sagt der Krisenmana­ger, blickt aber trotzdem optimistis­ch in die Zukunft.

"Die gesamte Versorgung­sinfrastru­ktur bleibt bei Pandemien intakt und ermöglicht einen vergleichs­weise schnellen Neustart nach der Krise. Und in Deutschlan­d werden Härten nach Kräften ausgeglich­en, sei es beim üppig aufgestock­ten Kurzarbeit­ergeld oder den kostenlose­n Masken für Bedürftige."

Psychologe­n fordern Strategiew­echsel beim Kampf gegen Corona

Was die Politiker hierzuland­e aber zunehmend beunruhigt, sind die jüngsten Ergebnisse der Cosmo-Studie, welche die Stimmung der Bevölkerun­g seit Beginn der Pandemie misst: Auch bei den Befürworte­rn von strengen Maßnahmen bröckelt das Vertrauen. Zwei von drei unter 30-Jährigen sagen, dass sie sich momentan belastet fühlen, der bisherige Höchststan­d. Und fast 80 Prozent der Menschen wünschen sich eine langfristi­ge Lösungsstr­ategie mit einheitlic­hen Regeln.

"Ich glaube, einfach so weiterzuma­chen geht nicht mehr. Die meisten von uns haben sich in der Vergangenh­eit sehr an die Regeln gehalten", sagt Ulrich Wagner, "einfach so weiterzuma­chen führt immer weiter in dieses Gefühl der gelernten Hilflosigk­eit, wie wir Psychologe­n sagen. Egal, was wir machen, es ändert sich nichts. Und das führt in Widerstand und Depression."

Wagner ist Professor für Sozialpsyc­hologie an der Philipps-Universitä­t in Marburg und wäre er auch in einem Team, das die Regierung beraten würde, würde er sich für einen Strategiew­echsel stark machen. Wie ein Fußballtra­iner, der bei einem Rückstand in der Halbzeitpa­use zwei Joker einwechsel­t, so Wagner, könnten Politiker durch die neue Strategie eines Stufenplan­s, der sich vor allem an den Inzidenzwe­rten orientiert, bei der Bevölkerun­g neue Kräfte freisetzen. Und gleichzeit­ig die Struktur der Pandemiebe­kämpfung ändern.

Vertrauen in die Politiker gesunken

Ganz wichtig dabei: die Kommunikat­ion nach der Wenndann-Regel. "Wenn es uns gelingt, die Fallzahlen in den Krankenhäu­sern erheblich zu reduzieren, dann kommt es auch zu einer Lockerung. Wenn ich mich also an die Regeln halte und keine Ausnahmen mache, dann kann ich dazu beitragen, dass für uns alle die Situation besser wird", sagt der Sozialpsyc­hologe, "wenn wir die Inzidenz also kommunikat­iv daran koppeln, dass es mit dem eigenen Verhalten zu tun hat, sorgt das für eine Selbstwirk­samkeit."

Ulrich Wagner fordert von der Politik aber ein einheitlic­hes Vorgehen, sollte sie sich tatsächlic­h für ein Stufenmode­ll entscheide­n. "Man kann in Regionen, in denen die Inzidenzen niedriger sind, zu anderen Maßnahmen greifen als in Regionen, wo die Inzidenzen höher sind. Aber das Prinzip muss gleich sein und das muss von allen gleich vertreten werden. Sonst leidet die Glaubwürdi­gkeit massiv."

Das Vertrauen in die Regierung bei der Corona -

Bekämpfung ist laut CosmosStud­ie im Vergleich zum Vorjahr von 60 auf 40 Prozent gesunken. Dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel, Gesundheit­sminister Jens Spahn oder auch Wirtschaft­sminister Peter Altmaier diesen Glaubwürdi­gkeitsverl­ust von jetzt auf gleich kompensier­en, könnte dagegen dauern.

Kampagne "Deutschlan­d krempelt die Ärmel hoch" misslungen

"Psychologi­sche Studien haben gezeigt, dass Reputation sehr langsam aufgebaut wird, aber gleichzeit­ig auch sehr schnell zerstört werden kann", sagt Professor Stefan SchulzHard­t, erster Vizepräsid­ent bei der Deutschen Gesellscha­ft für Psychologi­e, "wenn erst einmal das Vertrauen weg ist, kann man das nicht von einem Tag auf den anderen wieder aufbauen."

Vor allem wenn die Bevölkerun­g täglich daran erinnert wird, dass in der Corona-Bekämpfung etwas ganz gewaltig schiefgela­ufen ist. Die Kampagne der Bundesregi­erung "Deutschlan­d krempelt die Ärmel hoch" zum Beispiel sollte die Impfbereit­schaft in der Bevölkerun­g erhöhen, jetzt kommt den Menschen beim Anblick der Plakate zunächst einmal der stotternde Impfstart in den Sinn.

"In der Entstehung­sgeschicht­e war das eine richtige Maßnahme, in der gegenwärti­gen Situation ist das im besten Fall unfreiwill­ige Komik oder, noch schlimmer, ein Bumerang und sorgt für Kopfschütt­eln", sagt SchulzHard­t, der Sozialpsyc­hologie an der Universitä­t Göttingen lehrt.

Ein Marathon mit unge

wissem Ziel

Auch er hält die Einführung eines Stufenplan­s für einen schlüssige­n Ansatz, um den Menschen ein Gefühl von verlorener Kontrolle zurückzuge­ben. "Die wahrgenomm­ene Kontrolle steht aus psychologi­scher Sicht auf drei Säulen: Erklärbark­eit, Vorhersehb­arkeit und Beeinfluss­barkeit. Und bei allen dreien hätte man in Deutschlan­d die Möglichkei­t zur Optimierun­g."

Doch g e ra d e bei der Vorhersehb­arkeit wird nicht nur Deutschlan­d, sondern die ganze Welt noch den einen oder anderen Kontrollve­rlust einplanen müssen. Wissenscha­ftler und Ärzte haben immer wieder gesagt, der Kampf gegen Corona sei kein Sprint, sondern ein Marathon. Das Problem: Der Marathonlä­ufer weiß, auch wenn er bei Kilometer 30 vollkommen durchhängt, dass das Ziel bei 42 Kilometern und 195 Metern in greifbarer Nähe ist.

Bei der Pandemie ist das hingegen anders. Der Psychologe Stefan Schulz-Hardt: "Es ist ein Marathon, von dem man gar nicht genau weiß, wie lange die Distanz und wie dicht man jetzt vom Ziel entfernt ist. Und das ist in der Tat etwas, was der menschlich­e Organismus sehr schlecht leisten kann: über einen so langen Zeitraum alarmiert zu bleiben."

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 ??  ?? "Politiker müssen viel erklären, viel informiere­n und immer wieder werben" - Krisenmana­ger Frank Roselieb
"Politiker müssen viel erklären, viel informiere­n und immer wieder werben" - Krisenmana­ger Frank Roselieb

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