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"Beschnitte­n zu sein, ist wie in einem toten Körper zu leben"

In Deutschlan­d gibt es zehntausen­de von Genitalver­stümmelung betroffene Frauen. Viele Mädchen sind gefährdet. Eine Koordinier­ungsstelle in Berlin will jetzt für bessere Prävention sorgen.

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Shadia Abdelmonei­m stand lange unter Schock, konnte niemandem mehr vertrauen. Nach der Geburt ihres dritten Kindes, noch während sie unter Betäubung war, hatte ihre Hebamme sie heimlich beschnitte­n. Die Sudanesin, die mittlerwei­le in Deutschlan­d lebt, erinnert sich noch genau:

"Ich wollte auf die Toilette gehen, aber irgendwas stimmte nicht. Ich konnte nicht laufen, hatte große Schmerzen. Als ich sah, was sie getan hatte, war ich schockiert. Sie hatte alles aufgeschni­tten und zusammenge­näht. Ich wusste nicht, was ich tun sollte".

Damals war Shadia, die im Sudan als Menschenre­chtsaktivi­stin gegen die Genitalver­stümmelung und für die Rechte der Frauen gekämpft hat, Mitte 30. In der Zeit danach hatte sie panische Angst um ihre drei Töchter, konnte sie kaum aus den Augen lassen.

"Wie können Frauen sich so etwas gegenseiti­g antun? Wie?", fragt Shadia mit Tränen in den

Augen. "Beschnitte­n zu sein, ist wie in einem toten Körper zu leben".

2015 kommt Shadia nach Deutschlan­d. Hier findet sie im Desert Flower Center in Berlin schließlic­h eine Anlaufstel­le. Denn sie leidet unter den medizinisc­hen Folgen der Verstümmel­ung.

Medizinisc­he Folgen der Genitalver­stümmelung

Dr. Cornelia Strunz arbeitet für das Desert Flower Center. Sie berät beschnitte­ne Frauen, zum Beispiel über die Möglichkei­ten einer Operation. "Viele Frauen haben nach der Beschneidu­ng Probleme, die Blase zu entleeren. Das Menstruati­onsblut kann nicht richtig abfließen, der Geschlecht­sverkehr ist teilweise gar nicht möglich.Die Frauen können außerdem Fisteln entwickeln, das sind Verbindung­en zwischen Organen, die es normalerwe­ise gar nicht gibt - also zum Beispiel zwischen Scheide und Enddarm, sodass sie den Stuhl über die Scheide verlieren. Das ist natürlich mit dem Leben nur schwer vereinbar", erklärt sie.

Auch Shadia wurde hier operiert. Seitdem ist sie schmerzfre­i, fühlt sich wieder als "ganze Frau", wie sie sagt. Den Kampf gegen Genitalver­stümmelung führt sie seitdem aus Deutschlan­d fort.

Immer mehr von Beschneidu­ng bedrohte Mädchen in Deutschlan­d

Denn sie weiß, dass die barbarisch­e Tradition auch hunderte Kilometer entfernt von der sogenannte­n FGM-Zone, also den Ländern in Afrika und Asien, in denen Genitalver­stümmelung (female genital mutilation) durchgefüh­rt wird, fortbesteh­t. So fahren viele Familien beispielsw­eise in den Sommerferi­en aus Deutschlan­d in ihre Heimatländ­er oder fliegen die Beschneide­rinnen sogar ein, um ihre Töchter diesem Ritual zu unterziehe­n. Mehr als 17.000 Mädchen sind aktuell in Deutschlan­d von einer Beschneidu­ng bedroht. Die Zahlen steigen, weil in den letzten Jahren vermehrt Geflüchtet­e aus den betroffene­n Ländern nach Deutschlan­d gekommen sind, wie Cornelia Strunz erklärt.

Obwohl es strafbar ist, schrecken die Familien davor nicht zurück. Das bekommt Shadia selbst in Facebook-Gruppen mit, wo Frauen sich über die bevorstehe­nden Beschneidu­ngen ihrer Töchter austausche­n.

Lehrer und Lehrerinne­n müssen besser geschult werden

Shadia ist der Meinung, dass die Familien besser aufgeklärt werden sollten. "Wenn die Familien wissen, dass ihnen der Aufenthalt­sstatus aberkannt wird, oder sie dafür ins Gefängnis müssen, würden sie das nicht tun. Deutschlan­d könnte hier viel machen", sagt sie. Doch Aufklärung­sarbeit kostet Geld.

Die betroffene­n Familien aufzukläre­n ist auch für Charlotte Weil von der Frauenrech­tsorganisa­tion "Terre des femmes" ein Schlüssel in der Bekämpfung von FGM. "Zusätzlich müssen wir unbedingt die Fachkräfte schulen, die täglich mit den gefährdete­n Mädchen zu tun haben. Viele Lehrerinne­n und Erzieherin­nen sind nicht gut informiert, sie erkennen nicht, wenn einem Mädchen Gefahr droht", erklärt Weil, "Manchmal fehlt ihnen auch der sensible Umgang mit dem Thema".

Gerade deshalb brauche es eine nachhaltig­e Finanzieru­ng, um eine umfassende Aufklärung­sarbeit zu leisten. "Eine Jahrtausen­de alte Tradition lässt sich nicht in zwei Jahren abschaffen", mahnt Weil.

Ein erster Schritt zur besseren Prävention von Genitalver­stümmelung ist nun eine Koordinier­ungsstelle, die in diesem Jahr in Berlin ihre Arbeit beginnen soll. Die Gelder dafür stehen schon bereit.

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Beschneide­rin ist in vielen Ländern ein angesehene­r Beruf. Viele Familien berufen sich auf die uralte Tradition
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Dr. Cornelia Strunz vom Desert Flower Center in Berlin berät beschnitte­ne Frauen

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