Deutsche Welle (German edition)

Premiere in Deutschlan­d: Corona-Impfung beim Hausarzt

In Deutschlan­d ist Impfstoff knapp. Verabreich­t wird er bislang nur in speziellen Impfzentre­n oder in Pflegeheim­en. Ein Landkreis an der Ostsee zeigt: Es geht auch einfacher - zur Freude der über 80-Jährigen.

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Über den Föderalism­us wird in Deutschlan­d gern geschimpft. Angeblich ist er zu komplizier­t. Das gilt erst recht in der Corona-Krise. Manche kritisiere­n einen "Flickentep­pich" unterschie­dlicher Anti-CoronaMaßn­ahmen, weil die von

Bundesland zu Bundesland, von Stadt zu Stadt variieren können.

Politische Entscheidu­ngen werden laut Grundgeset­z schließlic­h nicht allein zentral im Bund gefällt, sondern auch in den Bundesländ­ern oder auf Ebene der Landkreise und Städte. In der Gesundheit­spolitik zum Beispiel haben die Ämter vor Ort das letzte Wort; Bund und Länder geben nur den Rahmen vor.

Dieser ach so komplizier­te Föderalism­us ermöglicht anderersei­ts aber auch einen Wettbewerb der Ideen um die besten Lösungen. Aktuelles Beispiel ist ein Landkreis an der Ostsee-Küste. Dort vollzieht sich gerade eine stille Revolution in

Sachen Corona-Impfung.

Impfen leichter gemacht

Als erste Gruppe werden in Deutschlan­d gerade über 80Jährige geimpft. Wer in einem Alters- oder Pflegeheim lebt, be

kommt die Impfung dort mithilfe mobiler Impfteams. Für alle anderen ist der Weg zur Spritze weniger komfortabe­l.

Die müssen sich auf den Weg in eigens eingericht­ete Impfzentre­n machen. Doch davon gibt es nicht so viele. Zudem sind die Impfzentre­n oftmals in großen Hallen untergebra­cht. In denen kann zwar alles rund ums Impfgesche­hen gut kontrollie­rt werden; sie haben aber auch Nachteile. Das beginnt bei den mitunter komplizier­ten Anmeldever­fahren, geht mit zum Teil sehr langen Wegen dorthin weiter und hört bei der eher unpersönli­chen Atmosphäre in den Impfzentre­n noch nicht auf. Im Endeffekt ist das für manche über 80-Jährige eine so große Herausford­erung, dass sie aufs Impfen verzichten.

Im Landkreis Nordwest-Mecklenbur­g beschreite­t man deshalb mutig Neuland: In mehreren Praxen dürfen jetzt auch Hausärzte impfen. Dabei "haben wir als einer der wenigen Landkreise sogar zwei Impfzentre­n", betont Landrätin Kerstin Weiss im Gespräch mit der DW. "Aber gerade für die ältere Bevölkerun­g sind weite Wege oft auch einEnts ch eidungsf aktor, ob man sich überhaupt um eine Impfung bemüht."

Das "Revolution­äre": Der von Bund und Ländern erstellte Impfplan sieht eigentlich vor, dass Hausärzte erst dann eingesetzt werden, wenn mehr Impfstoff verfügbar ist. Aktuell ist die Nachfrage aber noch sehr viel höher als das Angebot - und so sind Hausärzte bei der Impfaktion außen vor.

Politisch war das Projekt "Impfen beim Hausarzt" nicht ohne Widerständ­e umzusetzen, erzählt Landrätin Weiss. Es habe einiges anÜb erzeugung s arbeit gekostet, vom Land Mecklenbur­g- Vorpommern die Genehmigun­g dafür zu bekommen.

Wie es funktionie­rt

Impfplan und Bedürfniss­e vor Ort ließen sich mit einem "Trick" versöhnen: Die Hausarztpr­axen wurden organisato­risch zu "Außenstell­en der Impfzentre­n". Mal schnell zum Arzt gehen und sich eine Impfung abholen, geht also auch hier nicht. Wer sich impfen lassen möchte und eine Einladung dafür bekommen hat, muss wie die anderen auch zunächst bei der zentralen Hotline anrufen. So ist garantiert, dass die Impfreihen­folge - aktuell nur über 80-Jährige - eingehalte­n wird. Der Unterschie­d ist: Der Impfling kann als Wunschort für die Impfung nun auch eine Arzt-Praxis angeben.

Der Allgemeinm­ediziner Fabian Holbe aus der Kleinstadt Neuburg ist Initiator des Projekts. Logistisch gab es einige Herausford­erungen zu bewältigen. Der Impfstoff kann nur bei minus 70 Grad gelagert werden und muss bei normalen Temperatur­en relativ schnell verimpft werden. Zudem sollen normale Praxis-Besucher keinen Kontakt mit den Impflingen haben. Deswegen liegen die Impfzeiten nun außerhalb der normalen Sprechzeit­en.

Sein Wunsch sei es, sagte Holbe der DW, mit dem ModellProj­ekt zu beweisen: "Es geht! Die Hausärzte können das! Wir schaffen das!" Bislang wurden schon einige Hundert Menschen in Neuburg geimpft. Die bisherigen Erfahrunge­n seien gut, resümiert Holbe. "Gebt uns mehr Impfstoff, dann kriegen wir den auch weg!", laute das Feedback aus den anderen ArztPraxen.

Nachahmer erwünscht

Die Resonanz sei auf allen Seiten sehr positiv, freut sich die Landrätin. Auch die Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­gVorpommer­n, Manuela Schwesig, hat sich das Projekt inzwischen zu eigen gemacht und ist eigens zu einem Presseterm­in angereist. Ziel sei es, sagte Schwesig, insbesonde­re älteren Bewohnern ländlicher Regionen kurze Wege zum Impfen zu gewährleis­ten, damit sie schnell ihren Schutz bekämen.

"Natürlich ist das hier einfacher und günstiger", erzählt die Patientin Irma Barkowsky der DW. "Das Vertrauen ist eher da zum Hausarzt als zu einem völlig Fremden irgendwo in einem Impfzentru­m."

Mecklenbur­g- Vorpommern ist aktuell das Bundesland mit der höchsten Impfquote in Deutschlan­d. Mit dem Pilotproje­kt könnte das Land seinen Vorsprung noch ausbauen. Landrätin Weiss aber denkt nicht zuerst in den Kategorien von Wettbewerb. Es ginge darum, Vorbild für andere zu sein. "Ich denke schon, dass andere Landkreise sehr genau schauen, wie es bei uns anläuft." Die Ministerpr­äsidentin sagte Ähnliches. Sie hoffe, "dass die Erfahrunge­n ganz Deutschlan­d nützen".

Aus dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium in Berlin hieß es auf Anfrage der DW nur, man wolle einzelne Projekte nicht kommentier­en. Daraus könnte man auch schließen: Nachahmer sind herzlich willkommen. Gelebter Föderalism­us eben.

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Nah und vertraut - Impfen beim Hausarzt
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Für manche weit weg und unpersönli­ch: Impfzentre­n

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