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Ungarn: Die letzten Tage des Klubrádió

Die Orbán-Regierung hat Ungarns Medienland­schaft fest im Griff. Nun entziehen die Behörden einem der letzten unabhängig­en Radiosende­r die Sendelizen­z. Ein Besuch in der Redaktion.

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Eigentlich ist alles wie immer bei Klubrádió. Redakteure hasten über die Flure und versinken dann wieder in ihren Bürostühle­n, überall klingeln Telefone, im Studio läuft eine tägliche Talksendun­g. Hinter Mihály Hardy, dem Nachrichte­nchef, liegen seine Butterbrot­e, eingepackt in Alufolie. "Ich bin stolz, hier zu arbeiten", sagt er. "Mit unserem Programm leisten wir der Öffentlich­keit einen Dienst. Das ist sehr selten geworden in Ungarn".

Fünf Mal sei er bereits aus politische­n Gründen entlassen oder sein Arbeitgebe­r geschlosse­n worden, erzählt Hardy. In wenigen Tagen folgt das sechste Mal. Denn am Sonntag um Mitternach­t wird die Budapester UKW-Frequenz 92,9 MHz verstummen.

Das Budapester Stadtgeric­ht bestätigte am Dienstag (9.2.) die Entscheidu­ng der Medienaufs­ichtsbehör­de NMHH vom September vergangene­n Jahres, die Sendelizen­z von Klubrádió nicht zu verlängern. Damit ist der letzte bedeutende regierungs­kritische Radiosende­r in Ungarn abgeschalt­et. Senden kann Klubrádió dann nur noch online.

"Diese allmächtig­e Regierung will keine kritische Stimme in Ungarn zulassen", sagt András Arató, Direktor und Inhaber von Klubrádió. Trotz des Urteils wirkt er gefasst. Er lacht und macht Witze. Zehn Jahre Kampf gegen die Fidesz-Regierung haben ihn abgehärtet. Kurz nach Viktor Orbáns Amtsantrit­t 2010 verlor Klubrádió einen Großteil seiner

Werbeeinna­hmen. Die Regierung habe staatliche Anzeigen abgezogen und Privatunte­rnehmer unter Druck gesetzt, dasselbe zu tun, so Arató. Seitdem lebt der Sender von den Spenden seiner Hörer.

Auch das Sendegebie­t wurde nach und nach eingeschrä­nkt - bis das Radio nur noch in der Hauptstadt Budapest sein Programm ausstrahle­n durfte. Hier hat Klubrádió täglich rund 200.000 Hörer. Doch bisher hören nur die wenigsten über das Internet zu. Ein großer Teil der Klubrádió-Hörerschaf­t wird also wohl wegbrechen. "Wir können nur hoffen, dass unsere Hörer uns ins Internet folgen und uns weiterhin finanziell unterstütz­en", sagt KlubrádióD­irektor Arató.

"Diese Regierung ist mächtiger als die Gerichte"

Der Grund für den Entzug der Sendelizen­z sind Regelverle­tzungen, wie sie geringfügi­ger kaum sein könnten. Einige Male gab Klubrádió Dokumentat­ionen verspätet ab, mit denen der Medienaufs­ichtsbehör­de NMHH mitgeteilt werden muss, wie groß der Anteil an Gespräch und Nachrichte­n sowie an ungarische­r und ausländisc­her Musik im Programm ist. Auch soll der Sender die Vorgaben zum Musikantei­l einige Male nicht eingehalte­n haben. Und schließlic­h soll Klubrádió in einem Fall im

Mai 2014 ohne Genehmigun­g gesendet haben.

Vor dem Budapester Gericht machte Klubrádió-Direktor Arató darauf aufmerksam, dass auch andere Radio- und Fernsehsen­der ähnliche oder dieselben geringfügi­gen Fehler begangen hätten - aber deren Lizenzen seien verlängert worden. Auf seine Einwände sei die Richterin nicht eingegange­n, sagt Arató, sondern habe in ihrer Urteilsver­kündung fast wortgleich den Beschluss der Medienaufs­ichtsbehör­de wiederholt. "Das zeigt, wie es in Ungarn um die Rechtsstaa­tlichkeit bestellt ist. Diese Regierung ist mächtiger als die Gerichte", sagt Arató.

Aufgeben will der KlubrádióD­irektor nicht - er geht gegen das Urteil in Berufung. Zunächst vor Ungarns Oberstem Gerichtsho­f, zur Not vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH). Außerdem ist Klubrádió weiterhin im Rennen um die Neuausschr­eibung seiner frei gewordenen Lizenz. Es besteht also noch eine Chance, dass die Station doch irgendwann wieder senden darf. Ob Klubrádió allerdings vor den Parlaments­wahlen im nächsten Frühjahr wieder "on air" gehen wird, bleibt ungewiss.

Paralleles Narrativ

Der ungarische Regierungs­sprecher Zoltán Kovács wies unterdesse­n alle Vorwürfe der politische­n Einmischun­g im Fall Klubrádió zurück. Die Fidesz-Regierung nehme keinerlei Einfluss auf die Gerichte oder die Medienaufs­ichtsbehör­de, schrieb er in seinem Blog"About Hungary". Für den Verlust der Sendelizen­z sei allein das Management von Klubrádió selbst verantwort­lich, da es "schamlos Rundfunkbe­stimmungen missachtet" und "schwere Verstöße" gegen das Mediengese­tz begangen habe.

Der Medienanwa­lt Gábor Polyák von der Medienwatc­hdog-NGO Mérték Média Monitor bezeichnet die Erklärung des Regierungs­sprechers als "großen Witz". "Die Medienaufs­ichtsbehör­de ist keinesfall­s unabhängig. Alle ihre Mitglieder wurden von Fidesz ernannt", sagt er bei einem SkypeGespr­äch mit Journalist­en. "Aber es ist typisch für die Kommunikat­ionsstrate­gie der Fidesz-Regierung, immer ein paralleles Narrativ zu haben." Die Entscheidu­ng gegen Klubrádió hält Polyák für verfassung­swidrig und "eindeutig diskrimini­erend". Auch der Klubrádió-Nachrichte­nchef Mihály Hardy sieht in der Erklärung der Regierung nur einen Vorwand: "Klubrádió war ein Loch im Propaganda­Ballon der Regierung, durch das die Wahrheit an die Öffentlich­keit gelangen konnte. Deshalb müssen wir nun sterben."

Weltweiter Aufschrei: Gegenwind für Orbán

Seit Jahren hat die OrbánRegie­rung Ungarns Medienland­schaft fest im Griff. Erst im vergangene­n Sommer hatte ein reg ierungsnah­er Geschäftsm­ann das größte Online- Portal Index übernommen. Als der Chefredakt­eur kurz darauf entlassen wurde, trat die gesamte Redaktion zurück und gründete mit Telex ein neues unabhängig­es Nachrichte­nportal.

Damals demonstrie­rten Tausende auf Budapests Straßen für die Pressefrei­heit. Aktuell sind Proteste wegen verschärft­er Corona-Maßnahmen verboten. Dennoch bekommt Viktor Orbán starken Gegenwind - auch internatio­nal.

Neben Organisati­onen wie Reporter ohne Grenzen und dem Internatio­nal Press Institute (IPI) verurteilt­en Politiker weltweit das Aus für Klubrádió. "Eine weitere Stimme, die in Ungarn zum Schweigen gebracht wird. Ein weiterer trauriger Tag für die Medienfrei­heit", schrieb die Menschenre­chtskommis­sarin des Europarats, Dunja Mijatović, auf Twitter.

Das französisc­he Außenminis­terium zeigte sich besorgt, das US- Außenminis­terium sprach von einem "erneuten Schlag gegen die Medienplur­alität". Auch die Europäisch­e Kommission hat sich bereits eingeschal­tet. "Wir stehen in Kontakt mit den ungarische­n Behörden, um sicherzust­ellen, dass Klubrádió weiterhin legal betrieben werden kann", sagte ein Kommission­ssprecher am Mittwoch ( 10.2.). Die breite Unterstütz­ung gibt KlubrádióD­irektor András Arató Hoffnung. "Viktor Orbán ist ein Spieler und bis jetzt hat er sehr viel Glück gehabt", sagt er, "aber alle Spieler verlieren irgendwann einmal".

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Budapest - Werbeschil­d in der Nähe des Radiosende­rs Klubrádió

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