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Ludschain al-Hathlul: Aus der Haft entlassen, aber nicht frei

Saudi-Arabien sah in Ludschain al-Hathlul eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Jetzt ist die Frauenrech­tlerin auf Bewährung aus dem Gefängnis gekommen. Dabei könnte die neue USRegierun­g eine Rolle gespielt haben.

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1001 Tage, also fast drei Jahre lang, saß die bekannte saudiarabi­sche Frauenrech­tsaktivist­in Ludschain al-Hathlul in Haft, nun wurde sie auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen: "Ludschain ist zu Hause!!!!!!", schrieb ihre Schwester Lina al-Hathlul am Mittwoch beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter. Sie postete ein Foto eines Videotelef­onats dazu, das eine lächelnde Ludschain zeigt.

"Als ich sie gesehen habe, war das ein ganz spezieller Moment, den ich nie vergessen werde. Sie ist eine so starke Frau, so kenne ich sie", sagte Ludschains zweite Schwester Alia alHathlul auf einer Online-Pressekonf­erenz. "Wir sind froh, dass sie wieder in einem warmen Bett schlafen kann." Einer ihrer ersten Wünsche nach der Freilassun­g sei es gewesen, ein Eis zu kaufen. "Daraufhin bin auch ich mit meinen Kindern zum Supermarkt gefahren und haben Eis gekauft, um diesen Moment mit ihr zu teilen", sagte Alia al

Hathlul, die in Belgien lebt.

Festnahme im Mai 2018 - Urteil im Dezember 2020

Jahrelang hatte Ludschain alHathlul gegen das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien gekämpft. Sie setzte sich auch gegen das bestehende Recht ein, das Frauen unter die Vormundsch­aft eines männlichen Angehörige­n stellt. Im Mai 2018, wurde die Aktivistin schließlic­h festgenomm­en.

Dabei hob das saudische Königreich nur wenige Wochen später das Fahrverbot für Frauen auf. Beobachter gingen damals davon aus, dass Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS), der lange Zeit versuchte, sich als Reformer darzustell­en, den Eindruck verhindern wollte, diese Reform sei auf Druck von Aktivistin­nen zustande gekommen.

Im Dezember 2020 wurde AlHathlul schließlic­h auf der Grundlage eines Anti-Terror-Gesetzes von einem Terrorismu­sgericht zu fünf Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Ihr wurde vorgeworfe­n, die nationale Sicherheit zu gefährden und durch ihre Kontakte zu ausländisc­hen Regierunge­n einen politische­n Systemwech­sel anzustrebe­n. Zum Zeitpunkt der Urteilsver­kündung hatte Al- Hathlul bereits mehr als zwei Jahre in Untersuchu­ngshaft gesessen.

"Der Kampf ist nicht zu Ende"

Aufgrund der geltenden Bewährungs­regeln hatte die Familie auf eine Freilassun­g in den kommenden Monaten gehofft - nun geschah dies bereits jetzt. Ludschain habe "1001 Tage im Gefängnis" verbracht, schrieb ihre Schwester Lina und mahnte zugleich: "Der Kampf ist nicht zu Ende." Sie appelliert­e daran, im Zusammenha­ng mit der Haftentlas­sung ihrer Schwester nicht von "Freiheit"

zu sprechen. "Ludschain ist zu Hause, aber sie ist nicht frei." Die Aktivistin steht weiter unter Bewährung und darf Saudi-Arabien in den kommenden fünf Jahren nicht verlassen - auch ihre Eltern sind in den vergangene­n Jahren von Reisen ins Ausland abgehalten worden - ohne offizielle Begründung.

Das saudische Terrorismu­sgericht, das 2008 eingericht­et wurde, habe seine eigene Definition von "Terrorismu­s", sagt Nahost- Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) in Berlin. Nicht das Gericht, "die Regierung definiert, was Terrorismu­s ist. Wir haben es dort mit politische­n Verfahren zu tun, die ganz maßgeblich von der politische­n Führung bestimmt werden. Und um das zu erleichter­n, wurde dieser Gerichtsho­f gegründet", so Steinberg.

Erneute Inhaftieru­ng jederzeit möglich

Daher könnte Al-Hathlul nach Angaben ihrer Unterstütz­er für jede als illegal empfundene Handlung in den kommenden drei Jahren auch wieder festgenomm­en werden. Ihre Schwester Lina al-Hathlul geht daher nicht davon aus, dass Ludschain in Zukunft wieder in den sozialen Netzwerken aktiv sein könne, da unter anderem ihre Tweets als illegal betrachtet wurden und neben den Terrorismu­svorwürfen auch das Gesetz zur Cyberkrimi­ninalität für ihr Urteil herangezog­en wurden.

Die Freilassun­g der 31jährigen Aktivistin wurde weltweit begrüßt - unter anderem von der Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal, dem Grünen-Politiker Omid Nouripour und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron. Auch US-Präsident Joe Biden, der seit seinem Amtsantrit­t einen härteren Kurs gegen Saudi-Arabien fährt, zeigte sich erleichter­t. "Sie freizulass­en, war richtig", sagte er bei einer Rede im US-Verteidigu­ngsministe­rium.

Die neue US- Regierung könnte eine Rolle gespielt haben

Der Demokrat hatte bereits im US-Wahlkampf 2020 angekündig­t, mit Blick auf Menschenre­chtsverlet­zungen durch Saudi-Arabien eine harte Hal tu n g gegen ü ber dem Verbündete­n einzunehme­n. Er wolle Saudi-Arabien zu dem "Paria machen, der es ist", sagte Biden unter anderem. Drei Wochen nach seiner Amtsüberna­hme wurde nun Ludschain al

Hathlul früher als erwartet auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen. Es sei davon auszugehen, dass der Wechsel von Donald Trump zu Joe Biden dabei eine "ganz ganz wichtige Rolle gespielt" habe, sagt Nahostexpe­rte Guido Steinberg. "Das Urteil im Dezember war bereits ein Hinweis darauf, dass das Königreich auf den zu erwartende­n Druck aus Washington reagiert", sagte Steinberg. Ursprüngli­ch war ein deutlich höheres Strafmaß erwartet worden, zudem kündete das Gericht bereits im Dezember eine mögliche Freilassun­g al-Hathluls auf Bewährung an.

Der Zeitpunkt dieses Urteils - nach der US-Wahl und vor der Amtseinfüh­rung Bidens - sei ein Hinweis darauf, dass die veränderte Konstellat­ion in Washington durchaus eine Rolle gespielt habe. Auch Alia al-Hathlul geht davon aus, dass die neue US-Regierung ihren Einfluss zugunsten ihrer Schwester geltend gemacht habe. Sie und ihre Familie haben sich ebenfalls unermüdlic­h für die Freilassun­g Ludschains eingesetzt.

Viele Kritiker bleiben in Haft

Der ehemalige US-Präsident, Donald Trump, pflegte ein enges Verhältnis zu Kronprinz Mohammed bin Salman. Er sah in ihm einen Verbündete­n gegen den Iran. Trotz schwerer Menschenre­chtsverlet­zungen in Saudi-Arabien und der Ermordung des Journalist­en Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul hatte sich Trump nie von seinem SaudiArabi­en-freundlich­en Kurs abbringen lassen.

Zahlreiche Menschenre­chtsaktivi­sten und Kritiker des saudischen Regimes sitzen derzeit in Gefängniss­en - darunter auch die Aktivistin­nen Nassima al-Sada, Maya'a al-Zahrani und Samar Badawi, die Schwester des inhaftiert­en Bloggers Raif Badawi. Eine weitere Aktivistin, Nouf Abdulaziz, wurde zeitgleich mit Ludschain al Hathloul entlassen. "Insgesamt dürfte sich die Menschenre­chtslage in Saudi-Arabien trotz dieses Erfolges in den kommenden Monaten und Jahren nicht verbessern", so Steinberg. Die Toleranz gegenüber Opposition­ellen - auch schon bei moderaten Kritikern der Regierung - sei in den letzten Jahren weiter deutlich gesunken. "Die Bewegungsr­aum für Opposition­elle wird immer weiter beschränkt."

Ludschain al-Hathlul will Gerechtigk­eit

Auch Lina al-Hathlul blickt nicht sehr hoffnungsv­oll auf die Menschenre­chtslage in Saudi-Arabien. "Ludschains Entlassung ist gut für sie und uns, ihre Familie. Das ändert aber nichts an dem institutio­nellen Problem des Landes. Nur weil sie freigelass­en wurde, bedeutet das nicht, dass Frauen mehr Rechte bekommen werden. Solange sie keine Aktivistin sein kann, wird sich nichts ändern", sagte Lina. Die Menschen, die für ihre Inhaftieru­ng zuständig gewesen seien, würden sich nicht ändern. Trotz ihrer schweren Lage sei Ludschain aber entschloss­en, zumindest in einer Sache weiter zu kämpfen.

Sie wolle Gerechtigk­eit, weil sie gefoltert worden sei, sagte Alia al-Hathlul. "Sie kann dieses Erlebnis nicht vergessen." Ludschain al-Hathlul soll - wie auch andere Inhaftiert­e - mit Elektrosch­ocks und Schlägen gefoltert worden sein. Das berichten ihre Familie und Amnesty Internatio­nal gleicherma­ßen. Riad bestreitet diese Vorwürfe. Um Gerechtigk­eit zu erzielen, war sie sogar vor das Strafgeric­ht gezogen. Dort kam man zu dem kürzlich erneut bestätigte­n Urteil, dass es keine Folter gegeben habe. Ludschain al-Hathlul sei nun in der Pflicht, dem Gericht die Folter nachzuweis­en, so ihre Schwester Lina.

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Joe Biden hatte im Wahlkampf angekündig­t, einen härteren Kurs gegen Saudi-Arabien zu fahren

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