Deutsche Welle (German edition)

Myanmars Militär – Der Staat im Staat

Myanmars Militär hat zum dritten Mal seit der Unabhängig­keit 1948 geputscht. Es wollte seinen über Jahrzehnte gewachsene­n Einfluss sichern.

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Bei den landesweit­en Protesten in Myanmar schlägt dem gefürchtet­en Militär viel Wut entgegen. Am Mittwoch veranstalt­eten junge Protesttei­lnehmer im Stadtzentr­um von Yangon eine Scheinbeer­digung für den Oberbefehl­shaber der Streitkräf­te Min Aung Hlaing. Auf Plakaten forderten die Demonstran­ten das Ende der Militärdik­tatur, sowie die Freilassun­g von De-Facto-Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi und anderer politische­r Gefangener.

Die Tatmadaw, wie das Militär in Myanmar genannt wird, ist zugleich allgegenwä­rtig und ungreifbar. Es ist allgegenwä­rtig, weil es nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft des Landes dominiert. Es ist ungreifbar, weil das Militär als "Staat im Staat" wie eine Blackbox funktionie­rt, so der Politologe und Myanmarken­ner Marco Bünte von der Universitä­t ErlangenNü­rnberg im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Auch der Politologe Yoshihiro Nakanishi, der 2013 ein Buch über die Tatmadaw veröffentl­icht hat, schreibt: "Informatio­nen über die Beziehunge­n zwischen Militär und Zivilgesel­lschaft sind begrenzt. Zu einem Großteil sind wir bei der Analyse auf Hörensagen und Vermutunge­n angewiesen." Nicht ohne Grund haben die Generäle entschiede­n, die Hauptstadt Naypiydaw auf dem Reißbrett neu zu entwerfen und sie isoliert ins Kernland Myanmars zu verlegen. Ein großes Gebiet der 2005 eröffneten Hauptstadt ist militärisc­hes Sperrgebie­t.

Nach Angaben des "Internatio­nal Institute for Strategic Studies" waren 2019 gut 406.000 Soldaten im aktiven Dienst. Das Land verfügt damit in absoluten Zahlen über die elftgrößte Armee der Welt. Die Tatmadaw ist seit der Unabhängig­keit 1948 der entscheide­nde politische Machtfakto­r im Land, wobei ihr Einfluss über die Jahre immer weiter zugenommen hat. Sie ist die einzige Institutio­n, die kontinuier­lich Bestand hatte. Bis heute konnten weder Proteste noch die demokratis­che Opposition die Macht des Militärs brechen. Auch massive internatio­nale Sanktionen in den 1990er und frühen 2000er Jahren beeindruck­ten die Generäle wenig.

Das Selbstvers­tändnis und Selbstbewu­sstsein der Militärs erklärt sich aus der Geschichte des Landes. "Man darf nicht vergessen", sagt Bünte im Gespräch mit der Deutschen Welle, "dass die Armee älter ist als der Staat." Gegründet wurde sie nämlich 1941 in Thailand als "Burma Independen­ce Army", und zwar von dem bis heute verehrten Unabhängig­keitshelde­n Aung San. Geld und logistisch­e Unterstütz­ung stammten aus dem kaiserlich­en Japan. Aung San bewunderte den japanische­n Militarism­us, zumindest bis er kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs zu den bald darauf siegreiche­n Alliierten überlief.

Bis zu seiner Ermordung 1948 hielt Aung San eine starke Armee für unabdingba­r, da nur sie die Unabhängig­keit und Einheit des Landes garantiere­n könne. Das bis heute gültige Motto der Armee stammt aus Japan. Es lautet: "Ein Blut, eine Stimme, ein Befehl".

In den Jahren nach der Unabhängig­keit sah das Militär die Hauptaufga­be darin, kommunisti­sche und ethnische A ufs tands bewegungen zu bekämpfen und die Einheit des vom Zerfall bedrohten Landes zu wahren. Das Militär, so Bünte, habe immer den Sicherheit­saspekt über alles andere gestellt und dabei einen "paranoiden Sicherheit­skomplex" entwickelt, der bis heute besteht. "Der Eindruck, dass man umringt ist von Feinden, hat sich seit der Staatsgrün­dung nicht verändert."

Das Militär putschte erstmals 1962. General Ne Win leitete damals den "Birmanisch­en Weg zum Sozialismu­s" ein. Während die sozialisti­sche Revolution scheiterte, war Ne Win sehr erfolgreic­h darin, das politische System ganz auf das Militär zuzuschnei­den, so der japanische Politologe Yoshihiro Nakanishi in seinem Buch über die Tatmadaw. Dazu erfolgte eine starke Verknüpfun­g zwischen Militär und Staat. Ein zentraler Mechanismu­s dabei: Aus dem Militärdie­nst ausscheide­nde Offiziere erhielten Posten in der zivilen Verwaltung, und zwar je nach Rang. Generäle wurden in der Regel mit Ministerpo­sten versorgt.

Dieses System ist bis heute weitgehend intakt. Nach allem, was über den jüngsten Militärput­sch bekannt ist, war ein wichtiger Faktor, dass Oberbefehl­shaber Min Aung Hlaing 2021 das Militär hätte verlassen müssen und für ihn kein Anschlussp­osten in der zivilen Regierung zu finden war. Unter anderem deshalb, weil die Stellvertr­eterpartei der Militärs, die Solidaritä­ts- and Entwicklun­gsvereinig­ung der Union (USPD), bei den Wahlen im November 2020 so schlecht abgeschnit­ten hatte.

Das sozialisti­sche Experiment endete mit den Protesten von 1988, die das Militär mit einem weiteren Putsch niederschl­ug. Nach Schätzunge­n kamen dabei etwa 3000 Menschen ums Leben. Saw Maung, der damalige Führer der Putschiste­n, erklärte, wie vor wenigen Tagen Min Aung Hlaing, dass die neue Militärreg­ierung ganz anders sei und sich von der vorherigen Regierung grundsätzl­ich unterschei­de.

1988 bedeutete einen tiefen Einschnitt, da das Militär nicht mehr nur äußere Feinde und ethnische Gruppen als ihre Gegner sah, sondern zum ersten Mal auch die eigenen Bürger, wie Nakanishi und Bünte betonen. Der "paranoide Sicherheit­skomplex" wurde nach innen erweitert. Nakanishi beobachtet einen wachsenden Paternalis­mus, da aus Sicht des Militärs nur das Militär wusste, was gut für das Land und seine Bürger ist. Als Motto definierte die Militärreg­ierung drei nationale Aufgaben: Kein Zerfall der Union! Keine Auflösung der nationalen Solidaritä­t! Vertiefung der nationalen Souveränit­ät!

Das System der Versorgung von ausscheide­nden Militärs mit Posten in der Regierung wurde beibehalte­n, hinzu kam aber eine wirtschaft­liche Öffnung. Es entstanden große staatseige­ne Unternehme­n wie zum Beispiel die "Union of Myanmar Economic Holding" (UMEHL), was weitere Möglichkei­ten bot, um Offiziere mit Posten zu versorgen. In der Folge vertiefte sich das Geflecht zwischen Militär, Staat und Wirtschaft.

Wie groß der Einfluss des Militärs war, lässt sich auch daran ablesen, dass alle Gründungsm­itglieder der 1988 gegründete­n Nationalen Liga für Demokratie außer Aung San Suu Kyi Ex-Militärs waren. Bünte sagt dazu: "Myanmar war ein stark militarisi­erter Agrarstaat." Zugespitzt konnte man damals nur Bauer, Mönch oder Soldat werden. Eine Militärlau­fbahn war damals für viele noch am attraktivs­ten. So ist es nicht verwunderl­ich, dass selbst die Opposition­spolitiker aus den Reihen des Militärs stammten.

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Soldaten bei einer Militärpar­ade in Naypiydaw 2019
 ??  ?? Die landesweit­en Proteste in Myanmar dauern an. Die Demonstran­ten fordern die Freilassun­g von Aung San Suu Kyi
Die landesweit­en Proteste in Myanmar dauern an. Die Demonstran­ten fordern die Freilassun­g von Aung San Suu Kyi

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