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Frankreich: Neue Wege für den Klimaschut­z

Frankreich hat ein Gesetzespa­ket für den Klimaschut­z auf den Weg gebracht. Fürs Klima wäre deutlich mehr drin gewesen. Trotzdem können sich andere Staaten etwas abschauen.

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Für Frankreich­s Umweltmini­sterin ist es ein ehrgeizige­s Vorhaben, mit dem "Frankreich in die Ära der Ökologie" eintrete. "Es geht nicht nur darum, die Motoren in unseren Autos oder die Maschinen in unseren Fabriken zu verändern. Es geht um die Veränderun­g der Zivilisati­on, der Kultur, des Lebensstil­s", erklärte Barbara Pompili, nachdem das Kabinett dem Klima-Gesetzespa­ket zugestimmt hatte.

In mindestens einem Punkt hat sie Recht. Jetzt schon verändert hat es die Kultur der

Gesetzgebu­ng. Die Grundlage für den Gesetzentw­urf entwickelt­en nicht Bürokraten, sondern 150 zufällig ausgewählt­e Bürgerinne­n und Bürger, die das Land gesellscha­ftlich repräsenti­eren. Mehrere Monate lang beschäftig­ten sie sich mit Themen aus den Bereichen

Wohnen, Verkehr, Konsum, Ernährung und Produktion. Am Ende legten sie 149 konkrete Vorschläge vor, mit denen Frankreich seine Klimaschut­zziele bis 2030 erreichen soll.

Es seien "durchaus relevante und sehr interessan­te Vorschläge, wovon man sich hier in Deutschlan­d noch eine Scheibe abschneide­n könnte", sagt Audrey Mathieu, Referentin für EU-Klimapolit­ik bei der Entwicklun­gs- und Umweltorga­nisation Germanwatc­h im DWIntervie­w.

Auch Mathieu Saujot vom in Paris ansässigen Think Tank IDDRI, der sich für nachhaltig­e Entwicklun­g einsetzt, zeigt sich beeindruck­t. "Wenn man die Vorschläge mit bestehende­n Gesetzen, Maßnahmen und Debatten vergleicht, erkennt man, dass sie von den Beteiligte­n ambitionie­rt waren", sagt Saujot, der an einer Studie über die Ergebnisse des Bürgerkonv­ents beteiligt war.

Doch es gibt einen Haken. Nicht alle Vorschläge wurden in der ursprüngli­chen Form in die Gesetzesvo­rlage übernommen, oder um es mit den Worten von Kritikern wie einiger Umweltverb­ände zu sagen: Sie wurden "verwässert".

Mathieu Saujot nennt drei Beispiele: Inlandsflü­ge sollten nach Ansicht des Bürgerkonv­ents verboten werden, wenn es für dieselbe Strecke Zugverbind­ungen gibt, die unter vier Stunden liegen. In dem an diesem Mittwoch vorangebra­chten Gesetzentw­urf liegt die Grenze nur noch bei zweieinhal­b

Stunden. Wie eine Abfrage auf der Webseite des französisc­hen Bahnbetrei­bers SNCF zeigt, bleiben so Flüge zwischen Paris und Marseille möglich. Die Fahrtzeit mit dem Schnellzug TGV dauert drei bis vier Stunden. Ein Flug etwas weniger als eineinhalb Stunden.

Gefordert hatten die beteiligte­n Bürger auch härtere Regeln bei der Werbung - sie sollte für Produkte und Dienstleis­tungen mit besonders schlechter CO2-Bilanz verboten werden, was sich auch auf die Autobranch­e ausgewirkt hätte. Nun soll aber nur Werbung für fossile Energieträ­ger untersagt werden.

Abgeschwäc­ht wurden auch Vorschläge, die den Bereich Wohnen und klimagerec­htes Sanieren betreffen. "Es gab einen ambitionie­rten Plan mit strategisc­hen Zielen und Regulierun­gsmechanis­men, die zu etwas weniger Ambitionie­rtem abgeschwäc­ht wurden", sagt Mathieu Saujot. Immerhin:

Ab 2028 dürfen Wohnungen, die auf Französisc­h "passoires thermiques" - "Wärmesiebe" - genannt werden, weil sie so schlecht isoliert sind, nicht mehr vermietet werden.

Einige wenige Vorschläge wiederum wurden von vorneherei­n abgelehnt. Präsident Emmanuel Macron legte ein Veto ein bei der Initiative, das Tempolimit auf Autobahnen von 130 auf 110 Kilometer pro Stunde zu senken.

Kritik muss sich die Regierung nicht nur von Umweltverb­änden anhören. Durchgefal­len ist der Gesetzentw­urf auch beim Wirtschaft­s-, Sozial- und Umweltrat (CESE). Das Gremium ist in der französisc­hen Verfassung verankert. Es setzt sich aus verschiede­nen Interessen­verbänden und Repräsenta­nten der Gesellscha­ft zusammen und gibt Stellungna­hmen beispielsw­eise zu Dekreten oder Verordnung­en ab.

In der Ende Januar veröffentl­ichen Begründung schreibt CESE, der Rat habe "sich bereits mehrfach zur nationalen Politik zur Verringeru­ng der Emissionen geäußert und darauf hingewiese­n, dass Frankreich nicht auf dem richtigen Weg ist". Viele der Maßnahmen in dem Gesetzentw­urf seien zwar grundsätzl­ich relevant, aber "oft begrenzt, zeitlich aufgeschob­en oder an Bedingunge­n geknüpft, so dass ihre Umsetzung in naher Zukunft unsicher ist".

Der Regierung bekam in Klimafrage­n gleichzeit­ig noch von anderer Stelle ein schlechtes Zeugnis. Vor einer Woche musste der französisc­he Staat vor Gericht eine Niederlage gegen vier Nichtregie­rungsorgan­isationen einstecken. Das Pariser Verwaltung­sgericht entschied, der Staat sei für Versäumnis­se im Kampf gegen die globale Erwärmung verantwort­lich. Offen ist noch, ob und welche Maßnahmen das Gericht dem Staat auferlegt.

Die Aufgabe für den Bürgerkonv­ent war es, Maßnahmen zu entwickeln, mit denen bis 2030 ein Rückgang der Treibhausg­asemission­en von 40 Prozent im Vergleich zu 1990 erreicht werden kann. Umweltverb­ände kritisiere­n, dass dieses Ziel so, wie die Vorschläge in den Gesetzesen­twurf übernommen wurden, nicht erreicht werden könne. Das ist auch Audrey Mathieus erster Eindruck, wobei sie betont, den Gesetzentw­urf noch nicht vollständi­g durchgerec­hnet zu haben. Ohnehin greifen die Vorschläge nach Ansicht der Referentin für EUKlimapol­itik inzwischen zu kurz, da sich die EU mittlerwei­le eine Reduktion der Emissionen um 55 Prozent zum Ziel gesetzt hat.

Noch ist der "Gesetzentw­urf zur Bekämpfung des Klimawande­ls und zur Stärkung der Widerstand­sfähigkeit gegenüber seinen Auswirkung­en" - so der volle Titel - nicht endgültig beschlosse­n. Das Parlament soll sich ab März mit den Vorschläge­n befassen. Die Verabschie­dung ist bis Ende September vorgesehen.

Doch trotz all der Kritik: Vorschläge wie die Werbeverbo­te oder ein Vermietung­sverbot für schlecht isolierte Wohnungen könnten auch in anderen Staaten debattiert werden, findet Audrey Mathieu von Germanwatc­h.

Und der große Gewinner scheint die partizipat­ive Demokratie zu sein. "In Diskussion­en in anderen Staaten erkenne ich oft die Frage, was die Bevölkerun­g [an Maßnahmen, Anm. d. Red.] akzeptiere­n wird", sagt Mathieu Saujot. "Ich denke, diese Bürgervers­ammlungen sind ziemlich nützlich, um dem zu begegnen und um der Regierung zu zeigen: 'Wir sind bereit, in diese Richtung zu gehen.'" Vor eineinhalb Jahren hätte es noch Vorbehalte gegeben, der Bürgerkonv­ent könne sich nur auf einen schwachen Konsens einigen. "Es hat sich gezeigt,", so Saujot, "dass das nicht der Fall ist."

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Autos mit einem hohen CO2-Ausstoß dürfen ab 2030 nicht mehr verkauft werden - später als angedacht
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Premiermin­ister Jean Castex traf sich im Juli mit Vertretern des Bürgerkonv­ents

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