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Corona: Neidischer Blick von Handel und Gastronomi­e auf die Friseure

Ab 1. März dürfen Friseure wieder arbeiten. Handel und Gastronomi­e aber bleiben im Lockdown. Konkrete Öffnungspe­rspektiven fehlen und die Finanzhilf­en tröpfeln nur. Das schafft Frust. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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5.900 Euro Abschlagsz­ahlung, mehr ist es nicht, was der Berliner Gastwirt Vincenco Berenyi bislang von den zugesagten staatliche­n Finanzhilf­en bekommen hat. "Wir warten auf rund 30.000 Euro", sagt der Inhaber der Kurpfalz-Weinstuben gegenüber der DW, die bereits Ende vergangene­n Jahres darüber berichtet hatte, wie das Restaurant versucht, im Lockdown über die Runden zu kommen.

Wie die gesamte deutsche Gastronomi­e sind auch die Weinstuben seit dem 1. November geschlosse­n. "Wir leben von unseren Rücklagen und vom Außer-Haus-Verkauf. Die Lage ist schwierig", klagt Berenyi.

Warum fließt das Geld nicht?

Nicht nur Gastronome­n beschweren sich darüber, dass das versproche­ne Geld nicht fließt. Anfang Februar schickten Friseure aus Bayern einen Hilferuf an den Bundestag und den Münchener Landtag. "Friseure verhungern gerade am ausgestrec­kten Arm des deutschen Staates", hieß es in einem offenen Brief. Die meisten Salons hätten bislang "0 Cent" staatliche Unterstütz­ung gesehen.

Zwar dürfen die 80.000 Friseursal­ons in Deutschlan­d am 1. März nun wieder öffnen, trotzdem bleibt die Frage, warum die umfangreic­hen staatliche­n Hilfsprogr­amme nur tropfenwei­se bei den Unternehme­n ankommen. Mehr als 81 Milliarden Euro hat der Bund allein für direkte Finanzhilf­en vorgesehen, die nicht zurückgeza­hlt werden müssen. Doch tatsächlic­h sind von der üppigen Summe bis Anfang Februar erst 21 Milliarden Euro abgeflosse­n.

Zu viel Bürokratie und digitale Probleme

Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Ende Dezember lief die sogenannte Überbrücku­ngshilfe II aus. Friseure, aber auch Einzelhänd­ler, die Mitte Dezember in den Lockdown geschickt wurden und diese Hilfe beantragte­n, mussten dafür mindestens 30 Prozent Umsatzverl­ust nachweisen. Daran scheiterte­n die meisten, weil sie vor der Schließung noch zwei Wochen Vorweihnac­htsgeschäf­t gemacht hatten.

Auf die Überbrücku­ngshilfe II folgte die Überbrücku­ngshilfe III, doch die konnte wochenlang gar nicht beantragt werden. Zuerst gab es Streit mit der Europäisch­en Kommission darüber, wie viel Geld jedem Betrieb höchstens gezahlt werden dürfte. Dann stritten die beteiligte­n Ministerie­n unter anderem darüber, in welcher Höhe Modegeschä­fte ihre nicht verkaufte Saisonware in Rechnung stellen dürfen. Das größte Problem aber war die Online-Plattform für die Antragstel­lung, die erst aufgebaut werden musste und dann nicht funktionie­rte.

Wirtschaft­sminister unter Beschuss

"Es wurde eine Bazooka versproche­n, aber aktuell ist es noch eine Steinschle­uder ohne Stein", wetterte CSUChef Markus Söder, kurz bevor am 10. Februar die Plattform für die Hilfsanträ­ge endlich freigescha­ltet wurde. Ab dem 15. Februar werde Geld fließen, verspricht Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier, der inzwischen selbst in den eigenen Reihen unter Beschuss ist. Kommende Woche will sich der CDU-Politiker mit Vertretern von 40 Wirtschaft­sverbänden zu einem Online-Gipfel treffen, um darüber zu beraten, wie es nun weitergehe­n soll.

Nicht nur in der Gastronomi­e, auch im Handel, beim Tourismus und in den anderen weiter geschlosse­nen Unternehme­n brodelt es. Mit einer gehörigen Portion Neid wird auf die Friseure und ihre Öffnungspe­rspektive geblickt. "Wir sind mehr als enttäuscht", sagte der Chef des Handelsver­bands Deutschlan­d (HDE), Stefan Genth, nach dem Beschluss der Kanzlerin und der

Ministerpr­äsidenten, den Lockdown vorerst bis zum 7. März zu verlängern.

Jeder zweite Einzelhänd­ler steht vor dem Ruin

Viele Einzelhänd­ler bringe das in eine ausweglose Lage. Jeder durch den Lockdown verlorene Verkaufsta­g koste die Einzelhänd­ler Umsätze in Höhe von rund 700 Millionen Euro.

In Deutschlan­d gibt es rund 350.000 Einzelhänd­ler. Lebensmitt­el, Medikament­e und ähnliches dürfen weiter verkauft werden, geschlosse­n sind rund 200.000 Betriebe. Mehr als die Hälfte von ihnen sei inzwischen in ihrer Existenz bedroht und es sei bereits absehbar, dass diese Geschäfte das Jahr nicht überstehen würden, wenn nicht finanziell nachgebess­ert werde, sagt HDE-Chef Genth.

Deutlich mehr Geld in Aussicht als 2020

Die Überbrücku­ngshilfe III ist im Vergleich zu den Hilfen des vergangene­n Jahres noch einmal deutlich aufgestock­t worden. Ein Unternehme­n kann maximal bis zu 1,5 Millionen Euro Zuschüsse erhalten. Je nach Höhe des Umsatzeinb­ruches werden 40 Prozent, 60 Prozent oder 90 Prozent der Fixkosten erstattet. Das allerdings ruft nun auch diejenigen auf den Plan, die bei den Überbrücku­ngshilfen bislang nicht berücksich­tigt wurden.

Nur kleine und mittlere Betriebe mit einem Umsatz von bis zu 750 Millionen Euro pro Jahr haben Anspruch auf direkte Finanzspri­tzen. Wer größer ist, hat lediglich erleichter­ten Zugang zu Krediten der staatliche­n KfW-Bank. Willkürlic­h und ungerecht finden das inzwischen die großen Markenhers­teller und Händler, die sich beschweren, sie würden aus dem Raster fallen.

Klagen gegen den Lockdown?

20 große Marken, darunter die Modelabel Hugo Boss und s.Oliver, der Schuhhändl­er Deichmann und der Buchhändle­r Thalia, haben sich zu einem Protest- Bündnis zusammenge­schlossen. Sie wollten "endlich von der Politik gehört werden", beschwert sich stellvertr­etend s.Oliver-Chef Claus-Dietrich Lahrs und fordert eine Kompensati­on für die Verluste.

Für mehr Gehör und Druck wollen auch die übrigen Branchen sorgen. Der Einzelhand­elsverband geht davon aus, dass Unternehme­r gegen den verlängert­en Lockdown vor Gericht Klage einreichen werden.

Regionale Geschäftsö­ffnungen in Aussicht

Wirtschaft­sminister Peter Altmaier muss sich beeilen, wenn er die Wogen noch glätten will. Regional müsse es möglich sein, ab einer Inzidenz von 35 (Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen) Geschäfte zu öffnen, sagt er. In Berlin liegt die 7-Tage-Inzidenz aktuell bei 58 (Stand 12.02.) Altmeier verspricht, auf dem Wirtschaft­sgipfel am Dienstag darüber reden zu wollen. "Das ist doch eine Perspektiv­e."

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Der Berliner Gastronom The Duc Ngo fragt, wo die "verfluchte Bazooka" bleibe
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