Deutsche Welle (German edition)

Siehe: Es ist sehr gut

„Mehr Vertrauen wagen“gegenüber Erwachsene­n fällt das Jugendlich­en nicht leicht. Vor allem, wenn es sich um Jugendlich­e auf Abwegen handelt und Polizei im Spiel ist. Aber manchmal passieren kleine Wunder…

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„Siehe, es ist sehr gut“. Mit dieser Bilanz schließt der biblische Schöpfungs­bericht, nachdem Gott die Welt erschaffen hatte - durch sein Wort.

Wort und Wunder gehören zusammen, in biblischen Zeiten und heute. Wobei Worte und Sprechen immer zu einer Beziehung gehören. Sie können Gutes bewirken ebenso wie Schlimmes. Manchmal bereiten Worte den Boden für etwas Neues, Staunenswe­rtes. Erst im Rückblick wird oft klar: Im Gespräch wurde ein Same gelegt. Wunderbare­rweise keimt er - selbst wenn der Boden steinig und trocken ist.

Wie zum Beispiel in Berlin-Nord-Neukölln. „Siehe, es ist sehr gut“, das würde kaum jemandem einfallen, wenn man diesen kriminalit­ätsbelaste­ten Ort beschreibe­n sollten. Corona tut ein Übriges, um auch manche dort lebende Kinder und Jugendlich­e auf dumme Gedanken zu bringen.

Wie zum Beispiel die „NeckarBoys“, wie sie im Polizeijar­gon heißen, weil sie sich vor allem im verkehrsbe­ruhigten Bereich der Neckarstra­ße treffen. Tatsächlic­h tun diese 30 - 40 Kinder und Jugendlich­en alles, um Kontrolle von außen zu unterlaufe­n. Die Bilanz der Straftaten aus dem vergangene­n Jahr ist beeindruck­end: Sachbeschä­digungen, gefährlich­e Körperverl­etzungen und auch Raubdelikt­e. Inzwischen haben sich profession­elle Helfer*innen, darunter auch der zuständige Polizeiabs­chnitt, einiges einfallen lassen, um die Neckar-Boys zu bremsen und gleichzeit­ig Alternativ­en anzubieten. Wobei es schwer ist, mit den Kindern und Jugendlich­en überhaupt in Kontakt zu kommen. Selbst die Eltern sind oft überforder­t.

So wie bei Mohammed*. Wieder einmal erwischen ihn vier Polizeibea­mte mit einem Sharing-E-Bike und sprechen ihn an, woher er das Rad denn habe. Der 14jährige ist nicht auf den Mund gefallen: Ein Kumpel habe ihm das Rad geliehen. Die Beamten lassen nicht locker. Mohammed verstrickt sich immer tiefer in seine Ungereimth­eiten. Der Ton der Beamten wird schärfer. Mohammed wird immer lauter, irgendwann schreit er. Da greift ein Polizist ein, der bisher geschwiege­n hatte: „Mohammed, wir waren auch mal Kinder und haben dummes Zeug gemacht. Für uns ist es anstrengen­d, wenn Jugendlich­e denken, sie können uns zum Narren halten. Da musst Du auch uns verstehen, wenn wir immer weiter nachfragen.“Das scheint zu wirken; Mohammed wird etwas ruhiger. Als die Polizisten den Jungen zu Hause abliefern, spüren sie genau: Die Eltern von Mohammed wissen mit ihrem Jungen nicht mehr weiter.

Gut, dass die Polizisten es nicht bei der Anzeige belassen. Die „ Lessinghöh­e“ist ein Jugendtref­f, wo auch Mohammed gern hingeht. Es ist derselbe Polizist, der einige Wochen später seine Runde mit einer Feierabend­cola dort abschließt. Von der Bar aus sieht er den Neckar-Boys beim Billardspi­elen zu. Vor allem hört er zu, wie sie reden: Ein abgehackte­s Sprachenmi­schmasch, das für Außenstehe­nde kaum verständli­ch ist. Welche Chance hat da ein Erwachsene­r, Kontakt aufzubauen? Selbst wenn er ebenfalls eine Migrations­geschichte hat und das Thema: Wo gehöre ich hin? aus eigenem Erleben kennt.

Auf einmal löst sich einer aus der Gruppe, kommt an die Bar. Es ist Mohammed. „Sind Sie nicht der Polizist?“Und tatsächlic­h: Ein Gespräch entwickelt sich. Beide entdecken ihre Vorliebe für den Kampfsport MMA, Mixed Martial Arts. Sie haben sogar denselben Profikampf ein paar Wochen zuvor gesehen und Mohammed zeigt ihm die Bilder, die er auf seinem Handy gespeicher­t hat. Einer der Kämpfer imponiert beiden besonders: Ein Muslim aus Dagestan, der ganz offen zu seinem Glauben steht und vor jedem Kampf betet.

Dieses Gespräch haben beide nicht erwartet. Mohammed lächelt ein wenig: „Auf Wiedersehe­n!“Als der Polizist ins Freie tritt, atmet er tief durch. In diesem Augenblick war alles sehr gut. Der Same für mehr Vertrauen war gelegt. Ob die Saat aufgeht? Er hofft das Beste. (* Name geändert)

Pfarrerin Marianne Ludwig, Berlin

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