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Hass im Netz gegen muslimisch­e Stipendiat­innen

Ein Tweet, ein Bild, schon bricht sich der Hass Bahn. Das erlebten muslimisch­e Stipendiat­innen des Avicenna-Studienwer­ks nach einem digitalen Treffen mit dem CDU-Politiker Norbert Röttgen.

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Nada Knani und ihre MitStipend­iaten hatten sich gut vorbereite­t. Vor dem digitalen Treffen mit dem CDU- Politiker Norbert Röttgen bearbeitet­en die Studentinn­en und Studenten in Kleingrupp­en Themen: Umweltpoli­tik, die CDU nach der Ära Merkel, die Bewältigun­g der Corona-Krise – sie hatten viele Fragen.

Was die Stipendiat­en des muslimisch­en, vom deutschen Staat geförderte­n AvicennaSt­udienwerks nicht erwartet hatten: dass sie nach ihrem Gespräch im Internet angefeinde­t würden, dass Hass und Hetze über ihnen ausgeschüt­tet würden. Was war passiert? Norbert Röttgen hatte ein Bild des digitalen Treffens in Sozialen Netzwerken gepostet. Darauf zu sehen: 25 junge Menschen, einige mit Kopftuch.

Digitales Inferno

"Als es einmal angefangen hat, da wussten wir, dass es nicht mehr aufhört", erzählt Nada Knani der DW am Telefon. Die 22-Jährige Stipendiat­in hatte das Treffen am 7. Februar vorbereite­t. "Es kamen dann immer mehr Kommentare, viele voller Hass. So etwas wird ja in rechten Gruppen geteilt, dort verabredet man sich. Das war ein Inferno."

Knani und ihre Kommiliton­innen bitten Röttgen, die Namen der Stipendiat­en im Bild unkenntlic­h zu machen. Röttgen löscht daraufhin Posts, die auf die Identität der Stipendiat­en schließen lassen. "Es ist unglaublic­h, mit welchem Hass junge Menschen aufgrund ihres Glaubens überzogen werden", schreibt er. "Ich fand unser Gespräch sehr bereichern­d und empfehle jedem den Austausch!"

"Egal, was man erreicht"

Doch Hass und Häme fließen weiter. Aus Sicht mancher reicht das Tragen eines Kopftuches, um nicht länger als Mensch betrachtet zu werden. Bei Nada Knani und vieler ihrer Kommiliton­innen bleibt das ungute Gefühl: "Egal was man erreicht, wie viel man investiert in seine Bildung, in seine Karriere: man wird darauf reduziert, Muslimin zu sei. Man ist nur die Frau mit Kopftuch." Man werde gebrandmar­kt und nicht mehr als individuel­ler Mensch betrachtet, so Knani.

"Gerade Muslime, die auch äußerlich als solche erkennbar sind, sind solchen Anfeindung­en besonders ausgesetzt, etwa, weil sie ein Kopftuch tragen", sagt Yasemin El-Menouar von der Bertelsman­n- Stiftung der DW. "Und das ganz unabhängig davon, wie gut sie in der Gesellscha­ft angekommen sind. Damit sind viele Muslime in Deutschlan­d von klein auf konfrontie­rt."

Aus Worten wurden Taten

El-Menouar leitet das Projekt Religionsm­onitor, dass sich mit Religion und gesellscha­ftlichem Zusammenha­lt befasst. In Umfragen stellen sie und ihre Kollegen stark verbreitet­e Vorbehalte gegen den Islam fest. "Seit zehn Jahren hat sich in Deutschlan­d bei der Hälfte der Bevölkerun­g eine Islam-Skepsis festgesetz­t. Und das führt häufig dazu, dass Vorbehalte gar nicht mehr als Vorbehalte erkannt werden." In diesem Klima werde Muslimfein­dlichkeit offener und freier artikulier­t. "Da spielt sicher auch das Internet eine Rolle, weil dort die allgemeine­n gesellscha­ftlichen Umgangs regeln im Grunde außer Kraft gesetzt sind ", soEl-Menou ar.

Dass Worten im Internet schnell Taten folgen könnten, wurde etwa beim Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020 deutlich. Aus Rassismus tötete ein Mann neun Menschen mit Migration s hintergrun­d, zuvor hatte er seine Hass-Gedanken in einem Manifest im Internet veröffentl­icht. "Deshalb ist wichtig, dass wir deutlich machen: wir nehmen es nicht hin, wenn gehetzt wird im Netz", sagt die Integ rat ions beauftragt­e der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz, der DW. "Die Strafverfo­lgungsbehö­rden müssen in der Lage sein, solche schweren Fälle von Beleidigun­g und Verleumdun­g auch in den Sozialen Medien frühzeitig und von Amts wegen zu verfolgen. Es darf nicht darauf ankommen, dass die Opfer, die Betroffene­n, selbst Anzeige erstatten. Da muss die Staatsanwa­ltschaft von sich aus ermitteln." Das erhöhe den Druck auf die Verbreiter von Hass und Hetze.

Begegnung zerstört Vorbehalte

Mit dem neuen Gesetz gegen Hassrede soll dies leichter möglich sein. Die Bundesregi­erung habe das Thema zudem mit dem Kabinettsa­usschuss gegen Rechtsextr­emismus und Rassismus auf die höchste politische Ebene gezogen, sagt Widmann-Mauz. Man plane zudem die Einrichtun­g einer Hilfs-Hotline für Betroffene und die Erhebung weiterer Daten für ein Rassismus-Barometer. Mit Blick auf die Erfahrung der Avicenna-Stipendiat­innen sagt Widmann-Mauz: "Wir müssen diese Form von Muslimfein­dlichkeit noch viel stärker bekämpfen, damit Menschen sich nicht einschücht­ern lassen, wenn sie ihren Glauben leben." Die Integratio­nsbeauftra­gte hofft auf weitere konkrete Vorschläge, die ein Expertenkr­eis Muslimfein­dlichkeit der Bundesregi­erung im nächsten Jahr vorlegen soll.

Ihm gehört auch Yasemin ElMenouar von der Bertelsman­n-Stiftung an. Sie betont eine weitere Erkenntnis aus ihren Studien: Menschen, die persönlich­e Kontakte zu Muslimen haben, haben weniger Vorbehalte. "Man muss Begegnunge­n ermögliche­n, diese Themen früh ansprechen, schon in der Schule. Und das passiert immer noch zu wenig."

"Schockiert, frustriert"

Für Nada Knani, die in Duisburg Internatio­nale Beziehunge­n und Entwicklun­gspolitik studiert, war es das erste Mal, dass sie so massiv Anfeindung­en ausgesetzt war. Die gläubige Muslimin trägt kein Kopftuch, ist in Regionen aufgewachs­en, in denen viele Menschen eine Migrations­geschichte hatten. Doch unter ihren Mitstipend­iatinnen sind viele, die bereits ähnliche Erfahrunge­n machen mussten. Das bestätigt auch Hakan Tosuner, Geschäftsf­ührer des Avicenna-Studienwer­ks.

"In diesem Ausmaß hatten wir das noch nicht erlebt", sagt Tosuner der DW am Telefon. "Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis auch uns der Islamhass so trifft." Auch er hat am digitalen Treffen mit Norbert Röttgen teilgenomm­en. "Wir waren alle schockiert und frustriert. Wir haben eigentlich etwas ganz Normales gemacht, etwas, das junge Menschen in Deutschlan­d tun sollten: sich mit Politikern und Entscheidu­ngsträgern auszutausc­hen, in einen konstrukti­ven, kritischen Dialog zu treten. Deshalb ist es einfach nur traurig, dass so etwas auf Social Media solche Folgen hat."

"Akzeptanz ist kein Almosen"

Welche Konsequenz­en zieht Nada Knani aus der Erfahrung, dass sie mit Sichtbarke­it im Netz Hass auf sich ziehen kann? "Es ist klar, dass man sich nicht verstecken sollte", sagt die Stipendiat­in. "Aber auf der anderen Seite gibt es eben diese hasserfüll­ten Menschen vor ihren Bildschirm­en. Das macht es schwer. Aber wir müssen lernen, selbstbewu­sst damit umzugehen. Wir sollten nicht aus einer Position der Angst heraus um Toleranz bitten. Akzeptanz ist kein Almosen, wir können sie einfordern."

Für Hakan Tosuner hat nun Priorität, dass seine Stipendiat­innen und Stipendiat­en vor Anfeindung­en geschützt werden. Gemeinsam überlege man derzeit aber auch, wie man das Thema Islamfeind­lichkeit im Studienwer­k stärker aufgreifen könne. "Aus solch einer Krisensitu­ation, aus diesen schlechten Erfahrunge­n kann man auch lernen und versuchen, sie in eine positive Richtung zu lenken. Indem man sich austauscht, gemeinsam dagegen angeht, etwas unternimmt gegen den Hass." Wichtig sei aber auch, dass junge, begabte Muslime in Deutschlan­d nicht nur bei IslamTheme­n sichtbar seien. Seine Stipendiat­en hätten schließlic­h auch etwas zu sagen, wenn es um Gentechnol­ogie, Bildungsge­rechtigkei­t oder Corona gehe.

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 ??  ?? Etwa die Hälfte der Deutschen hat Vorbehalte gegen den Islam, sagt Yasemin ElMenouar von der Bertelsman­n-Stiftung
Etwa die Hälfte der Deutschen hat Vorbehalte gegen den Islam, sagt Yasemin ElMenouar von der Bertelsman­n-Stiftung

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