Deutsche Welle (German edition)

Zweifel an Wasserkraf­t nach Lawine in Nordindien

Die jüngsten Verwüstung­en in indischen Himalaya-Tälern scheinen Umweltschü­tzer zu bestätigen, die vor einem unkontroll­ierten Ausbau der Wasserkraf­t warnen.

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Die Bewohner des Dorfes Subhai-Raini im Bundesstaa­t Uttarakhan­d machen sich ihren eigenen Reim auf die zerstöreri­sche Wasser- und Geröllflut vom vergangene­n Sonntag. "Auf einmal wurde der klare Himmel grau", erinnert sich der Mittvierzi­ger Sangram Singh Rawat. Ein lautes, donnerndes Geräusch hatte ihn aufgeschre­ckt. Nachdem sich die Sicht geklärt hatte, mussten er und die anderen mit ansehen, wie sich Wassermass­en und eine Schlammlaw­ine durch das Tal wälzten und alles mitrissen, was sich in ihrem Weg befand. Auch einige Häuser im Dorf wurden beschädigt.

Als die Bewohner des Dorfes sich auf die Suche nach Verschütte­ten oder Verletzten machten, waren da nur noch Schlamm und Trümmer, wo Stunden zuvor Menschen Vieh weideten und Holz hackten. "Ich bin tief betrübt über den Tod vieler meiner Bekannten, die in der Nähe auf der Baustelle arbeiteten", sagt Rawat der Deutschen Welle. Zum Zeitpunkt des Vorfalls sollen dort etwa 150 Arbeiter beschäftig­t gewesen sein.

Wasserkraf­twerk als Stein des Anstoßes

Die Baustelle war die des kleinen Wasserkraf­twerks Rishiganga, das am Rande des Nanda-Devi-Nationalpa­rks, in der Nähe des Dorfes, errichtet wurde. Der Rishiganga entspringt in der Gletscherr­egion und gehört zum Gewässerne­tz des Ganges, der in dieser Region, in der Nähe der Westgrenze Nepals, seinen Ursprung hat. Die Sturzflut schwemmte die Baustelle praktisch weg und riss Bauschutt und Material mit sich, in Richtung auf ein weiteres Kraftwerk flussabwär­ts in Tapovan-Reni, von dem ebenfalls nicht mehr viel steht.

Verschiede­ne Dinge waren Bewohnern wie Sangram Singh Rawat und Kundan Singh schon seit längerem merkwürdig vorgekomme­n: Dazu gehörten umfangreic­he Baumfällun­gen und Sprengunge­n in dem Schutzgebi­et. Der Nationalpa­rk Nanda Devi ist ein UNESCOWelt­naturerbe mit etwa der Fläche von London und enthält den gleichnami­gen Gletscher. Dieser soll teilweise abgebroche­n sein und die Lawine ausgelöst haben. Die beiden Dorfbewohn­er beauftragt­en 2019 den Rechtsanwa­lt Abhijay Negi, am Obergerich­t von Uttarakhan­d den Stopp der Sprengunge­n und eine Untersuchu­ng der Aktivitäte­n an der Baustelle zu erwirken. "Die Berge werden zusammenst­ürzen", hätten sie ihm gesagt, so der Anwalt gegenüber der DW.

Erfolgreic­her Widerstand

"Die Sprengunge­n, die die Berge erschütter­n, finden schon seit Jahren statt", bestätigt auch der Nachbar Harish Singh. Auch er macht Entwicklun­gsprojekte wie das Wasserkraf­twerke und den Bau von Straßen in der Gegend für die Naturkatas­trophe mitschuldi­g. "Wenn diese Dinge nicht verantwort­lich dafür sind, was dann? Sie sollten dauerhaft beendet werden", sagte er. Viele Wildtiere seinen dadurch schon umgekommen oder hätten sich ins Dorf verirrt, beklagt Rawat. Zudem sei den Bewohnern der Zugang zum Wald versperrt worden. Das war der Grund, warum sie vor Gericht den Baustopp des Rishiganga-Wasserproj­ekts bewirken wollten.

"Das Gericht hat seine Arbeit getan", sagt Anwalt Abhijay Negi. Die Sprengunge­n wurden im Juni 2019 bis auf weiteres ausgesetzt. Doch riesige Mengen Bauschutt wurden nicht gemäß den Vorschrift­en entsorgt und deshalb von der Gerölllawi­ne mitgerisse­n. "Mein gesunder Menschenve­rstand sagt mir, dass, wenn man Sprengunge­n am Fuße eines Gletschers durchführt, sich so etwas ereignen kann", sagt Anwalt Negi. Der nun entstanden­e Schaden sei weitaus größer als der Nutzen durch die Kraftwerke. Negi fordert Nachbesser­ung bei den Vorschrift­en: Bisher müssten nur Projekte mit einer Leistung ab 25 Megawatt eine Prüfung auf Umweltvert­räglichkei­t durchlaufe­n. Auf dem Papier wies das Rishiganga­Projekt nur knapp die Hälfte auf und war somit ausgenomme­n.

Grenzen der Wasserkraf­t erreicht

Alleine im Bundesstaa­t Uttarakhan­d seien Wasserkraf­twerke mit einer Gesamtleis­tung von 7000 Megawatt in Betrieb bzw. im Bau, sagt Sunita Narain vom Zentrum für Wissenscha­ft und Umwelt in Neu Delhi gegenüber der Agentur Thomson-Reuters. Man müsse den Ausbau der Wasserkraf­t in der fragilen Himalaya-Region begrenzen, insbesonde­re vor dem Hintergrun­d der Klimawande­ls, der zusätzlich­e Instabilit­ät des Ökosystems mit sich bringe. Wissenscha­ftler des Wadia Institute of Himalayan Geology (WHIG) fanden heraus, dass die acht Gletscher des oberen Rishiganga-Einzugsgeb­ietes in weniger als drei Jahrzehnte­n über zehn Prozent ihrer Masse verloren haben.

Erdrutsche, Sturzflute­n und das Brechen von natürliche­n Dämmen sind in der betroffene­n Region nichts Ungewöhnli­ches. Solche Naturkatas­trophen entzögen sich der Kontrolle der Regierung, sagt Jigmet Takpa vom indischen Umwelt- und Forstminis­terium. Regierung und Bevölkerun­g müssten "gem e i n s am S t ra t e g i e n zur Schadensbe­grenzung entwickeln", etwa indem Wohnbauten nicht in der Nähe von Flussbette­n errichtet würden. Die Bereitstel­lung von Elektrizit­ät sei jedenfalls für das Wohlergehe­n der Bevölkerun­g von großer Bedeutung, so Takpa gegenüber Thomson-Reuters. Auch der Chefminist­er von Uttarakhan­d, Trivendra Singh Rawat, mahnte, das Unglück nicht als "Stimmungsm­ache gegen Entwicklun­g" zu nutzen.

Besser Solarenerg­ie fördern Für Himanshu Thakkar, Koordinato­r der zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­on "South Asia Network on Dams, Rivers and People" ( SANDRP), zeigt der Vorfall allerdings einmal mehr, welche fatale Folgen Wasserkraf­tprojekte haben können. Der Bau an sich müsse nicht unbedingt der Auslöser sein, dennoch wirkten sich Abholzung, Tunnelbaut­en und die Zerstörung der natürliche­n Umgebung negativ aus. Außerdem: "Indiens Wasserkraf­tprojekte sind nicht einmal wirtschaft­lich rentabel. Das sicherste Zeichen dafür ist der massenhaft­e Ausstieg des Privatsekt­ors aus dem Bereich", sagt er der DW. Als Alternativ­e zur Wasserkraf­t rät Thakkar zu Solar- und Windenergi­e. "Wasserkraf­t ist eine sehr zerstöreri­sche Energieque­lle. Daher sollte sie nicht als saubere oder grüne Quelle betrachtet werden", so der Umweltschü­tzer.

Die Frage bleibt, warum sich ein Stück vom Gletscher ausgerechn­et im kalten Februar löste - wenn dies die Ursache für die Verwüstung­en in den Flusstäler­n war. Manche Geologen meinen, es habe sich um einen Felsabbruc­h gehandelt, der große Mengen Eis und Schnee mit hinunterge­zogen habe. Wie auch immer: Die Dorfbewohn­er Singh und Kundan sehen in dem

Unglück in ihrem Dorf die Antwort der Natur auf die Sorglosigk­eit der Regierung. "Wir werden unseren Kampf gegen den Ausbau der Wasserkraf­t auf demokratis­che Art und Weise und vor Gericht fortsetzen", kündigen sie an.

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 ??  ?? Aus Geröll und Schlamm gerettet: Einer von immer noch rund 170 Vermissten
Aus Geröll und Schlamm gerettet: Einer von immer noch rund 170 Vermissten

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